Der perfekte Kompromiss
Die Alfa Romeo Giulia Veloce
Text: Jakob Stantejsky
Es ist ein Arbeitstag wie jeder andere, als ich mich auf die Socken mache, um eine Alfa Romeo Giulia Veloce als Testwagen abzuholen. Klar, auf so ein Auto freue ich mich schon eine gute Portion mehr als es bei manch anderem Vehikel der Fall ist. Aber von Ekstase zu sprechen, wäre auch wieder reines Marketinggewäsch. Als ich dann jedoch vor der blitzblauen Schönheit stehe, reißt es mir tatsächlich den Boden unter den Füßen weg. Denn diese Farbe akzentuiert die mitreißenden Formen der Italienerin derart perfekt, dass sie fast schon supersportwagenartiges Aufsehen erregt. Das bestätigt mir auch unser Fotograf, der mit der Giulia den Nürburgring besucht und dort laut eigener Erzählung mehr bewundernde Blicke geerntet hat als so manch deutlich seltenerer Bolide.
Nach dem Einstieg verkommt der Sturm der Emotionen übrigens auch nicht zum lauen Lüfterl, wenngleich das Interieur doch nicht ganz mit dem spektakulären Äußeren mithalten kann. Doch der Materialmix, der einen guten Mittelweg zwischen fesch, simpel und gemütlich findet, hilft eben auch dabei, dass der Preis der Giulia Veloce nicht explodiert. Diese Bemühungen erkennt man auch an den Türen, die nicht ganz so satt ins Schloss fallen wie bei manch deutschen Fahrzeugen. Es mag nicht das Luxusklassefeeling sein, aber auch im Innenraum strahlt der Alfa Souveränität und Schnittigkeit aus. Die superduperbequemen Ledersitze verwöhnen ihre Insassen allerdings sehr wohl mit 1A-Gemütlichkeit und kräftigem Seitenhalt. Die ewig langen, filigranen Schaltpaddles hinter dem Lenkrad sind Geschmackssache, fügen sich aber elegant ins Geschehen ein. Ei
Doch kommen wir zu dem, weswegen wir alle hier sind: Dem Autofahren! In unserer Test-Giulia geht ein 210 PS-Dieselmotor zu Werke, der seinen Job sehr cool und überlegen erledigt. Wer jetzt ein langes Gesicht macht, harre bitte noch ein wenig aus. Denn auch wenn die 280 Pferde der Benzin-Veloce sicher für noch mehr Wirbelwind sorgen würden, legt der Selbstzünder eine wahrlich flotte Sohle aufs Parkett. Dank Allradantrieb spielen die 210 Rösser scheinbar mühelos mit der Giulia. Das fällt besonders in fetzigen Kurven auf: Hier klebt der blaue Alfa zwar in allerbester Allradlermanier auf der Straße und gibt dem Fahrer ein herrliches Gefühl der Sicherheit. Gleichzeitig jedoch vergönnt die Giulia ihrer Hinterachse eine schöne Portion Spieltrieb und wenn mich einmal die Abenteuerlust überkommt, meldet sich das Heck jederzeit freudig zum Quergehdienst, ohne jedoch unkontrollierbar zu werden.
Die Automatik macht ihren Job übrigens top. Die Gänge sind stets wohlsortiert und die drei Fahrmodi bieten perfekte Abstimmungen fürs nervtötende Kriechen in der Rush Hour, das entspannte Gleiten mit der ganzen Familie an Bord und die übermütige Tollerei, wenn man das Auto endlich mal für sich allein hat. Denn per Druck auf den entsprechenden Knopf spannt die Giulia ihr Fahrwerk gewaltig an und brettert auf Krawall gebürstet über den Untergrund.
Ach, habe ich schon die knallbgelben Bremssättel erwähnt, die bei beiden Veloce-Versionen serienmäßig zupacken? Die mögen zwar rein kosmetisch sein, sorgen aber für einen lebensfrohen Effekt und machen einfach noch mehr Lust aufs Einsteigen und losspurten. Da tut es der Freude überhaupt keinen Abbruch, dass die Italienerin nicht so perfekt ist wie ein deutsches Premiummodell. Denn gerade diese südländischen Lässigkeiten, wie die viel zu kleine Kofferraumluke oder das eher hausbackene Infotainmentsystem, verleihen ihr einen Charme, den kein von A bis Z stramm stehendes Auto besitzt. Man erfreut sich irgendwie an den wenigen kleinen Fehlern, die der Schönheit ein fast menschliches Gemüt geben.
Egal von welcher Seite man die Alfa Romeo Giulia Veloce begutachtet, sie gibt sich immer verführerisch und scheint zu allen Schandtaten bereit. Man addiere zu dem umwerfenden Aussehen noch Wohlfühlfeeling im Innenraum, gute Anpassungsfähigkeiten und Fahrfreude allererster Güte und fertig ist ein Auto, das sich als Begleitung geradezu aufdrängt. Und wenn eine Dame derart bestimmt darauf besteht, einem Gentleman Gesellschaft zu leisten, dann lehnt der auch unter keinen Umständen ab. Wäre ja unhöflich. Außerdem winkt einem mit der Giulia Veloce viel zu viel Spaß, als dass man sich ihr verschließen könnte oder sollte.