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Audi e-tron GT: Elektro-Schönling

Elektro-Schönling

Der Audi e-tron GT

Der Fahrer im Aston Martin baut fast einen Unfall, so gefangen ist sein Blick. Die Passanten bleiben mitten im Lauf stehen, und überall klicken die Foto-Handys: So viel Aufmerksamkeit hat ein Audi schon lange nicht mehr erregt. Erst recht nicht in Downtown Los Angeles, wo sie sie so ziemlich alles gewohnt sind, was die automobile Eitelkeit so zu Tage fördert. Doch das ist kein Audi wie jeder andere und keiner, den man erst auf den dritten Blick einer Baureihe zuordnen kann. Sondern ein paar Tage nach der Weltpremiere auf der LA Autoshow ist hier der neue e-tron GT auf seiner Jungfernfahrt und läuft sich schon einmal warm für das Rennen gegen Tesla Model S & Co.

Von Thomas Geiger
Denn während sich die alte Autowelt erst einmal mit elektrischen Crossover-Modellen auf den neuen Gegner eingeschossen hat, die alle ein bisschen hochbeinig und schwerfällig daherkommen, will Audi es jetzt auch mit der Lust und der Leidenschaft einer eleganten Coupé-Limousine versuchen und die Studie in zwei Jahren deshalb ziemlich genau so in Serie bringen. Dass das keine leere Versprechung bleibt, liegt an der geschickten Familienplanung: Denn der knapp fünf Meter lange aber nur 1,38 Meter hohe e-tron GT teilt sich die Plattform mit dem kommenden Porsche Taycan und kann sich deshalb auch dann rentieren, wenn die Stückzahlen nicht durch die Decke gehen sollten. Nicht umsonst ist das Projekt schließlich bei der Sport GmbH angesiedelt und nicht bei der AG in Ingolstadt.
Mit der festen Produktionsabsicht vor Augen, beweist der e-tron GT im Gegensatz zu so vielen anderen Showcars deshalb auch eine gewisse Bodenhaftung – und zwar nicht nur, weil er natürlich ein quattro ist. Sondern vor allem, weil sich das Team um Designchef Marc Lichte so ziemlich alle Spinnereien und Spielereien verkniffen hat. Das vegane Interieur ist da noch die größte Extravaganz, und selbst das hat durchaus Chancen, weil Kunden immer öfter danach fragen.
Deshalb findet man sich hinter dem Lenkrad auch sofort zurecht. Schließlich ist das Cockpit nur eine weitere Evolutionsstufe der neuen Klarheit, die mit dem A8 Einzug gehalten hat: Die Bildschirme sind wieder ein bisschen größer geworden, die Grafiken ein bisschen bunter und die Knöpfe noch ein bisschen weniger. Aber fürs erste interessiert ohnehin nur der kleine Schieberegler auf dem Mitteltunnel, mit dem man auf D wechselt und endlich die Fahrt beginnt.
Dann müssen die Cops auf ihren betagten Harleys, die dem neuen Schönheitskönig unter den Stromern Geleitschutz geben, ordentlich am Gas reißen, um überhaupt noch hinterher zu kommen. Nicht umsonst leisten die beiden E-Maschinen zusammen 590 PS und katapultieren die in jeder Hinsicht elektrisierende Alternative zum A7 in etwa 3,5 Sekunden auf Tempo 100. Und wo für den ersten e-tron, der jetzt gerade so langsam zu den Händlern rollt, bei 200 Sachen Schluss ist, bekommt der GT Auslauf bis mindestens 240 km/h. Da können die Maschinen aus Milwaukee noch so laut pöttern und bleiben doch ohne Chance – der e-tron summt ihnen still und leise aber dafür um so schneller davon.
Was den Harleys der Cops an Leistung fehlt, machen ihre Fahrer allerdings mit Autorität wieder wett und sorgen damit für Ordnung auf dem Boulevard der eiligen Eitelkeiten. Beherzt bremsen sie den elektrischen Beau ein und führen ihn schön langsam durch Downtown. Das freut nicht zuletzt den Aston Martin-Fahrer, der eben fast einen Unfall gebaut hätte. Denn jetzt, wo er seine Sprache wiedergefunden hat und sich wieder auf die Straße konzentrieren kann, kann er wenigstens einen zweiten Blick riskieren auf das Auto, das seinem Rapide da so erfolgreich die Schau stiehlt.
Natürlich wird der GT hier in Downtown Los Angeles nie ausgefahren, und so richtig lang ist die Jungfernfahrt auch nicht. Aber über die Tage läppert sich das Programm dann doch, irgendwann sind die 90 kWh großen Akkus für eine Normreichweite von 400 Kilometern trotzdem leer und der Ausflug in die Wirklichkeit braucht eine Zwangspause. Allerdings nur eine kurze. Denn dank seines 800 Volt-Laders zapft der e-tron binnen 20 Minuten den Strom für weitere 300 Kilometer. Dabei wäre diesmal so viel Eile gar nicht nötig: Die nächste Ausfahrt ist erst für Ende 2020 geplant – dann aber im dem Serienmodell.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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