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Audi Grand Sphere Concept: Spacesuit als Smoking

Als Audi 1988 den V8 und sechs Jahre später den ersten A8 präsentiert hat, gab es aus Stuttgart und München offiziell ein anerkennendes Nicken und hinter vorgehaltener Hand lautes Gelächter. Denn Audi und Premium – das wollte damals partout nicht zusammenpassen. Mehr als 30 Jahre und drei Generationen A8 später, sind die Herren der Ringe zwar längst in der Oberklasse angekommen. Doch so richtig ernst werden sie von Managern, Magnaten und Monarchen rund um den Globus noch immer nicht genommen. Aber damit soll es bald endgültig vorbei sein. Denn statt S-Klasse und Siebener weiter nachzueifern, setzen die Bayern in einem gewagten Manöver zum Überholen an. Wenn sie nächste Woche auf der IAA ihr Grand Sphere Concept ins Rampenlicht rücken, ist das deshalb nicht bloß eine träumerische Fingerübung wie der Sky Sphere aus Pebble Beach oder ein Experiment wie der bereits für Peking im Frühling 2022 als Nobelvan angekündigte Urban Sphere. Sondern der 5,35 Meter lange, mit ganz wenigen Linien in fließenden Formen gezeichnete Luxusliner will nicht weniger, als die Oberklasse auf den Kopf stellen und seiner Zeit dabei so weit voraus sein, dass die Modelle der Konkurrenz ins Museum müssen. Statt eines Smokings trägt man deshalb besser einen Weltraum-Anzug, so futuristisch kommt die Flunder daher.

Ein wesentlicher Treiber dieses Projekts ist Designchef Marc Lichte, der sehr wohl um das Wagnis weiß. „Aber Audi war immer dann erfolgreich, wenn wir mutig waren.“ Deshalb hat er allen Mut beisammen genommen und alles über Bord geworfen, was bislang in der Oberklasse als gesetzt galt: Statt Lametta am Bug gibt’s eine für Audi fast schon dezente Lichtinszenierung, der protzige Singleframe-Grill wird zu einem Technik-Schaufenster für Kameras und Sensoren, die endlose Motorhaube schrumpft zu einem Stummel, der kürzer ist als bei jedem anderen Audi seit dem seligen A2, und das Heck sprengt alle Kategorien. Denn während die Dachsäulen auslaufen wie bei einem Sportback, knickt dazwischen messerscharf und entgegen der Fahrrichtung eine kleine Scheibe ab und macht so Platz für einen konventionellen Kofferraum-Deckel. Klingt ungewöhnlich, ist unkonventionell und hat vor allem nichts mehr mit Audi zu tun – sieht aber klasse aus. 

Natürlich ist auch der Grand Sphere wie alle Studien noch ein wenig überzeichnet. Doch auch wenn er sich damit selbst den Überraschungseffekt bei der Premiere des nächsten A8 in drei, vier Jahren kaputt macht, verspricht Lichte einen großen Serienbezug: „80 Prozent des Grand Sphere werden wir auf der Straße wiedersehen“. 

Das gilt nicht nur für das Exterieur, sondern auch für das Innenleben – zumal das bei diesem Projekt zum ersten Mal am Anfang der Entwicklung gestanden hat. „Wir haben erst die Kabine gestaltet, und dann die Karosserie drum herum“, sagt Lichte und bittet zur Sitzprobe in einem neuen Erlebnisraum auf Rädern. Denn auch innen bricht der Grand Sphere mit den klassischen Konventionen: Nicht mehr Lack und Leder geben den Ton an, sondern Leere und Leichtigkeit sind die vorherrschenden Eindrücke – und ein Luxus, der vor allem auf die nahtlose Vernetzung mit der digitalen Lebenswelt der Insassen fußt. Was man eben noch zuhause auf dem Bildschirm hatte, flimmert mit dem Einsteigen als Projektion über das, was in der Zukunft vom Armaturenbrett noch übrig ist, selbst die Licht- und Duftwelt wird auf die persönlichen Vorlieben abgestimmt, vom Sound ganz zu schweigen. 

Was man dagegen vergebens sucht bei der ersten Sitzprobe im Grand Sphere, das sind Lenkrad und Pedale: Denn auch wenn das Projekt Artemis mittlerweile wieder eingestellt ist, hofft Audi aufs autonome Fahren und legt das Showcar deshalb auf den so genannten Level 4 aus: Der Fahrer wird dann immer öfter zum Passagier, kann die Hände in den Schoß legen, sich allerlei Nebentätigkeiten widmen oder gleich ein Nickerchen machen.

Damit einher geht eine weitere Neuerung für Luxusliner dieser Art: „Wir bieten den Insassen mit dem neuen Raumerlebnis und der Materialauswahl nicht nur ein Upgrade von der Business in die First-Class“, sagt Lichte. „Sondern wir kehren auch die Sitzordnung um.“ Der beste Platz sei jetzt nicht mehr hinten rechts, sondern in der ersten Reihe – denn wenn das Fahren keine Arbeit mehr ist, kann man vorn viel besser den Ausblick genießen oder entspannen. Nicht umsonst werden die Sitze mit 40 Grad Lehnenneigung zur Kino-Lounge oder mit 60 Grad zur Ruheliege.

Dass der Innenraum so großzügig wirkt, liegt nicht allein an der schlanken Möblierung, der weit nach vorne gerückten Scheibe, dem Verzicht auf ein klassisches Cockpit und natürlich der kommenden PPE-Plattform, bei der die Achsen wegen der 120 kWh-Batterie dazwischen gewaltige 3,19 Meter weit auseinander rücken.

Sondern dazu trägt auch ein Trick bei, mit dem Lichte bereits bei der damals noch relativ weitschweifenden Ai:Con-Studie gespielt hat. Anders als heute stehen die Seitenscheiben nahezu senkrecht und knicken dafür oben besonders weit ein. Zusammen mit dem komplett verglasten Dach schafft das so viel Raum um die Schultern und den Kopf, dass man sich fast wie einem Cabrio wähnt – und zwar mit offenem Verdeck. 

Zwar wettet Audi mit dem Grandsphere Concept und seinem revolutionären Innenraum einmal mehr auf das Autonome fahren. Denn ohne Level 4 wird man weder in den kuschligen Schalensitzen bei 60 Grad-Lehnenneigung loungen können, noch wird man mit der Holoride-Brille auf virtuellen Rennbahnen gehen oder auf das Armaturenbrett Kinofilme projizieren können. Und wo eben noch weiter Raum war, wird dann eben doch ein Lenkrad prangen müssen, selbst wenn das künftig filigraner sein wird und ohne viele Tasten auskommt. 

Aber auch Lichte weiß, dass diese Chancen dafür zum Marktstart gering sind. Zumal Audi schon beim aktuellen A8 der Zeit voraus war und so lange auf die Zulassung des damals angekündigten Autopiloten nach Level 3 warten musste, dass die Bayern das Projekt wieder eingestampft haben. „Doch selbst wenn wir erst einmal nur 20 Prozent der Zeit autonom fahren könnten, bietet dieses Konzept der Kundschaft ein völlig neues Erlebnis und damit einen bislang unerreichten Mehrwert.“ 

Und für den Rest der Zeit haben Lichte und seine Kollegen schließlich vorgesorgt. Denn dort, wann und wo immer Level 4 noch nicht funktionieren sollte, wird der Grand Sphere wird zur Fahrerauto – mit einnehmender Sitzposition und jeder Menge Spaß. Nicht umsonst leisten die Motoren bis zu 530 kW und beschleunigen mit knapp 1.000 Nm in weniger als vier Sekunden auf Tempo 100. Solange die Straße frei ist, bleibt der Autopilot damit erfreulich verzichtbar.

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