Damit die Nacht zu einer gelungenen wird, muss sie nicht zwangsweise lange sein. Sechs Minuten können auch reichen. Wenn sie denn intensiv genug sind. Den Beweis tritt der Audi RS 3 an.
Fotos: Hersteller
Vielleicht war es Hybris, vielleicht fehlendes Talent, vielleicht eine zu kurze Eingewöhnungsphase, oder halt alles zusammen. Jedenfalls haben wir uns gerade gedreht und ein Hütchen abgeräumt. Im brandneuen Audi RS 3, der höchsten Eskalationsstufe des A3, zu dessen Fahrpräsentation die Ingolstädter nach Griechenland luden. Während sich bei mir also ein leicht gesteigerter Adrenalinspiegel bemerkbar macht, der Puls sowieso schon jenseits der 150 liegt, vermittelt der Renn- und Entwicklungsfahrer (und jetzt gerade mein Beifahrer) Frank Stippler eine in sich ruhenden Gelassenheit, die du nur hast, wenn du ein buddhistischer Mönch bist. Oder wenn du den Audi RS 3 schon einmal durch die grüne Hölle gejagt hast, und zwar in 7:40,748 Minuten. Was im Übrigen Klassenrekord ist, wie seitens Audi nicht zu selten erwähnt wurde. Wirklich beeindruckend wird die Zeit aber erst, wenn man den RS 3 selbst bewegt hat. Weil: Dass er einem handgerissenen Fronttriebler mit sehr viel weniger Leistung auf über 20 Kilometern fünf Sekunden abnimmt – naja.
Während besagter Fronttriebler, der super-radikale Renault Mégane R.S. Trophy-R, ein straßenzugelassener Rennwagen ist, ohne Komfort und Rückbank, dafür mit Überrollkäfig, kann der Audi RS 3 allerdings beides: Nordschleife und den Weg dorthin. Er hat eine Federung, die es verdient, als solche bezeichnet zu werden und die Lenkung, die Befehle über ein herrlich dünnes, perfekt bemessenes, sehr griffiges und auf Wunsch mit hochwertigem Alcantara überzogenes Volant diktiert bekommt, ist nicht zu schwergängig. Und eigentlich sieht er auch gar nicht so böse aus. Was sich eventuell ein wenig skurril liest, wenn das Abbild einer RS 3 Limousine neben dem Text gedruckt ist, in „Kyalami Green“ und mit einem Kühlergrill bestückt, auf dem man eine ganze Kuh rösten könnte, und ein paar Halloumis für die Veggie-Fraktion dazu. Aber verglichen zu manch Flügelmonstern aus Fernost oder den von Splittern übersäten Mercedes-AMG A 45 S? Fast schon Understatement.
Der Benz ist übrigens der einzige Kompaktsportwagen, der noch mehr Pferdchen am Datenblatt stehen hat. Was völlig irrelevant ist, weil ob 400 oder 421 PS – g’hupft wie g’hatscht. Außerdem übertrifft der Audi diesen in allen anderen Autoquartett-Disziplinen: In 3,8 Sekunden geht’s im RS 3 von 0 auf 100 km/h. Nachsatz von den Leuten aus Ingolstadt: „Die schafft er immer.“ Als wären 3,8 Sekunden, die er jedes zweite Mal oder so schafft, nicht schon absurd genug. Damit verbläst er einen Lamborghini Gallardo. Obwohl der doppelt so viele Zylinder hat, nämlich zehn. Unter der muskulösen Haube des neuen Audi RS 3 werkelt also weiterhin der legendäre Fünfzylinder, 2,5 Liter groß und mittels Turbolader auf eben erwähnte 400 PS und 500 Nm hochgezüchtet (plus 20 Nm im Vergleich zum Vorgänger). Vermutlich tut er das zum letzten Mal, bevor er dann der Polarkappen wegen von einer permanenterregten Synchronmaschine abgelöst wird und für immer verstummt. Jetzt aber noch: der Sturm vor der Ruhe. Und was das für ein Sturm ist! Klar schluckt der Partikelfilter ein bisschen Sound weg, für 2021 röhrt der 2,5-TFSI mit der Zündfolge 1-2-4-5-3 aber völlig entfesselt. Unverwechselbar kernig, tief, und auch ein bisserl räudig, im allerbesten Sinne des Wortes. Die schon erwähnten 3,8 Sekunden, die er immer schafft? Erzählen viel zu nüchtern über die massive Übermotorisiertheit und die Endorphin-Produktion, die dieses Triebwerk im Hypothalamus auslöst, besonders ab 3.000 Umdrehungen. Höchstgeschwindigkeit? 250, 280 oder 290 km/h, je nach Bereitschaft zur Überzahlung. Die muss man beim Konfigurieren ohnehin mit bringen, weil bei den 71.548 Euro Einstiegspreis (Limousine: 72.676 Euro) wird’s nicht bleiben, wenn man etwa eine Sitzheizung will. Immerhin: Der Fünfzylinder ist serienmäßig mit an Bord.
„Schon mal gedriftet?“ fragt Frank Stippler. Über Aspropyrgos, einem Vorort von Athen, ist inzwischen die Nacht hereingebrochen. Es ist stockfinster, lediglich die zu zwei Kreisen platzierten Hütchen sind beleuchtet, ebenso wie die Streckenbegrenzungen. Schon mal gedriftet? Klar, aber vor allem auf Schnee oder Rutschbelägen, selten auf Asphalt. Und noch seltener in einem Audi RS 3, der für vieles berüchtigt ist, aber sicher nicht für ein heckbetontes Fahrverhalten. „Dann kennst du ja die Basics.“ Wir kreisen an der Grenze zum Untersteuern den Hütchen entlang, die mit Liebe zum Detail designten (oder: programmierten) Digitalarmaturen zeigen etwa Tempo 50 an. Dann: ein beherzter Gasstoß. Was jetzt passiert, konterkariert die Aussagen vom Knauss-Hansi: Der „quattro“ hält die Spur nämlich gar nicht. Stattdessen geht der RS 3 quer. Und bleibt auch quer, zumindest bei adäquatem Umgang mit Gaspedal und Lenkung. Bei weniger adäquatem Umgang räumst du das Hütchen ab. „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“, so der Rat von Alman-Annika in der Beschreibung ihres Insta-Profils. Frank Stippler gibt einen besseren: „Auf den Pendler nach Außen aufpassen. Wenn du merkst, dass er sich fängt, sofort wieder Gegen-Lenkwinkel zurücknehmen.“ Versuch Nummer zwei. Wieder: An der Grenze zum Untersteuern kreisen. Gasstoß – und zack. Mit weniger Selbstüberschätzung und mehr Erfahrung und Konzentration halte ich diesmal den Drift. Und zwar solange, bis mich Stippler bittet, doch die Richtung zu wechseln, weil der Reifen rechts hinten schon einen angeschlagenen Eindruck macht. Nach den insgesamt sechs Minuten, die den anwesenden Journalisten und mir jeweils für den „Night Drift“ zur Verfügung standen, ist auch der linke Hinterreifen in Rauch aufgegangen. Keine Ahnung, wie viele Gummis im Laufe der mehrwöchigen Fahrpräsentation das Zeitliche gesegnet haben. Es müssen einige gewesen sein.
Es ist nicht weniger als eine kleine Revolution: Audi hat sich vom eher faden, die Spur haltenden Haldexsystem getrennt und packt stattdessen zwei Lamellenkupplungen nach hinten, eine auf jede Antriebswelle. Sie ermöglichen echtes Torque Vectoring, die Kraft kann also zwischen den Hinterrädern verteilt werden. Und zwar so, dass bis zu 1.750 Nm an eines der beiden gelangen. In Kombination mit dem „RS Torque Rear“-Fahrmodus macht das dann eben gepflegtes Driften möglich. Eine nervöse Heckschleuder ist er aber nicht, und verglichen zu einem, sagen wir, BMW M2 wirkt er etwas gequält im Quergang, wie die meisten Allradler. Und überhaupt: Wie oft hat man ein verlassenes Frachtzentrum der griechischen Eisenbahn zur Verfügung, das so groß ist, dass hier eine Boeing 747 landen könnte?
Auch wenn das Reifenvernichten auf solch einem Gelände in der Nacht natürlich Freude bereitet, so profitiert der Audi RS 3 im Realgebrauch vor allem in Landstraßen- oder Rennstreckenkurven vom neuen System. Dort kommt das Heck beim Einlenken willig mit und beim Rausbeschleunigen wird endlich mehr geschoben und weniger gezogen. Kopflastig ist er nur noch auf dem Papier (Achslastverteilung: 59 Prozent vorne, 41 hinten). Der ganze Rest? Hat beim RS 3 eh immer schon gepasst, passt jetzt noch mehr. Von dem her gibt’s eigentlich keinen Grund mehr, sich dieses Auto nicht zu kaufen. Außer natürlich den Polarkappen. Und dem Kreditkartenlimit.
Audi RS 3
Motor: 5-Zylinder-Viertakt-Motor mit Turbolader
Hubraum: 2480 ccm
Leistung: 400 PS
Drehmoment: 500 Nm/2.250 bis 5.600 U/min
Verbrauch: 8,8-8,2 Liter
Beschleunigung: 0-100: 3,8 s (immer)
Spitze: 290 km/h
Gewicht: 1.645 kg (Limousine: 1.650 kg)
Preis: ab 71.548 Euro