Nach drei Stunden im harten, kurvig-istrischen Straßengeläuf ward die Kurve, in der dem M4 Cabrio die Straße ausgeht, nicht gefunden. Um einen übermütig werden zu lassen ist die Überlegenheit dieses Automobils sowieso viel zu freundlich.
Von Franz J. Sauer
Zunächst gehts gemächlich dahin. Dach weg, voll, mitten im Oktober. Die neue Wärme in der Übergangszeit (übrigens, im Frühling war es gar nicht so warm, wie jetzt alle tun. Und der Oktober war auch schon im Vorjahr warm) kommt einem wie ihm sehr entgegen. 22 Grad sind die beste Temperatur für ein Auto wie ihn (gänzlich ungegendert). Da kann man nur durch den Fahrtwind die Sonnenhitze auf der Stirn kompensieren und kann die Belüftung auf Pause schicken. Das mag ein BMW aktueller Bauart gar nicht gern, er fragt zwei Mal nach, bevor man die Lüftung weghat. Überhaupt, nachfragen: Das scheint bei modernen Autos eines der allerwichtigsten Features überhaupt zu sein. Doch dazu später.
Kein Drift im Kreisverkehr
Jedenfalls – irgendwann ist sie weg, nurmehr Fahrtwind. Man strömt dahin, hat ein paar langsame Einheimische vor sich, während man durch Medveja hindurch die idyllische Ortschaft Mośčenička Draga gewinnt, die mit dem tollen Kreisverkehr, wo es nach oben hin in die Berge, nach unten hin ans Meer und geradeaus richtung Labin weitergeht. Dieser Kreisel ist neu und griffig wie nur. Ich habe hier einmal mit einem kleinen Flitzer, ein Abarth Esseesse war es glaub ich, probiert ins Driften zu kommen, was erst durch wirklich behezrten Handbremseinsatz gelang und fast im Blumenbeet mittig des Betonrundeau endete. Mit dem M2 Coupé dann später stand die gleiche Testanordnung an. Ich scheiterte – um ehrlich zu sein: schon in Medveja. Mir fehlten schlichtweg die Eier um eine Kaltverformung bei diesem Kunstwerk von Sportprotzigkeit zu riskieren. Obwohl es mit der Leistung auf der Hinterachse sicher vergleichesweise einfach gewesen wäre, das Auto in eine dynamische Querbewegung mit den Seiten- als Windschutzscheiben zu bringen. Aber wie gesagt – ich traute mich nicht. Und ein Röhrl oder Aaltonen ist ja selten zur Hand, wenn man ihn gerade wirklich braucht.
Mit dem M4, noch dazu geöffnet, kommt man gar nicht auf so blöde Ideen. Erstens fehlt der permanente Stachel der Supersportlichkeit im Hintern, den man bei einem M2 oder auch einem Esseesse andauernd spürt. Der M4 gibt den Freund, den Gemütlichen, er stresst dich nicht, niemals. Stellt bereitwillig Bequemlichkeit bereit, so weit das ein Auto mit 510 PS, Allradantrieb, entsprechendem Fahrwerk und ebensolchen Sitzen (wenigstens hat man hier nicht die affigen Schalensitze aus dem M3 Touring verbaut …) halt schafft. Ausserdem wirst Du vor dem Kreisverkehr ziemlich arg vor selbigem gewarnt. Die ganze Armaturentaf…, also, das Display, das sich vom Blinkerhebel bis zum Handschuhfach erstreckt, leuchet rot auf und blinkt in feister Alarmbereitschaft, dass nicht auch noch irgendwas kreischig zu piepsen beginnt, scheint ein wohlmeinender Kollege vor mir bereits deaktiviert zu haben. Warum hat das Ding bloß so Angst vor Kreisverkehren? Ach so! Weil hier eine Vorrang-Geben-Tafel scheu am Straßenrand stand. Echt jetzt? Und deswegen all der Terz?
Die runde Linie des Motorradlers
Also – keine Stunts im Kreisverkehr. Und auch nicht danach. Eine Baustelle wartet, mit Ampel vorm einspurigen Gegenverkehrsbereich. Davor den, was ist das nochmal?, ein alter Kangoo, also davor den zerlemperten Kastenwagen überholen bringt nix, ausser vielleicht beschimpft zu werden bei der roten Ampel gleich danach. Bloß ein Motorradler mit einer gelben Warnweste, auf der irgendetwas kroatisches steht, zieht nicht unriskant nach vor, schleift sich bei der Ampel ein und sticht schon in den geregelten Bereich, als noch der letzte Entgegenkommende nicht ganz vorbei ist. Dann der Kangoo, dann ich. Also, wir, der M4 und ich. Nach der Baustelle ist dann eine lange Gerade, ohne Überholverbot, da kommt uns eine Menge Autos entgegen. Ein paar Kurven, dann wieder Gerade, wieder Gegenverkehr. Schließlich biegt der Kangoo ab. Freie Bahn. Nein – der Kradler, der es an der Baustelle so eilig hatte. Der sich als äußerst stümperhafter Zweiradler entpuppt. Auf der Geraden Vollgas, vor der Kurve Vollbremsung. Dann um die Ecke stottern, wieder Gas. Womit Überholen mal wieder schwierig wird – klar hat der mit seinem Leistungsgewicht Vorteile, wenn man nicht aus allen verfügbaren Rohren des M4 schießen mag. Also wieder langsamer werden. Und …
Biker von hinten. Mit Beifahrerin. Dreckiger Bock, alt, schirch, mit Topcase. Und ein gottvoller Fahrer. Strömt vorbei. An mir. Und an der Gelbweste vor mir. Letztere nimmt er in der Kurve mit, indem er den Radius nur ganz wenig erweitert. Auch das Depperte Angasen auf der Geraden bringt dem Stümper nix; Der Göttliche hat schon beim Überholen so viel Schwung mitgenommen, dass er längst genug Vorsprung hat, um davon zu ziehen.
Mir kommt vor, ich höre den M4 flüstern. Irgendwas in der Art von: „Geht schon – das schauen wir uns noch ein bissl an, oder?“
Der M1-Knopf
Über der linken Lenkradspeiche lugt vorwitzig ein kleiner, roter Regler hervor, M1 steht drauf. Genauso wie ich mir zuvor die BMW-Stimme einbildete, bilde ich mir nun ein, das Ding blinkt mich an. Also drück ich drauf. Das bislang lautlose Achtgang-Getriebe schaltet zwei Gänge runter, der Auspuff erwacht aus dem Sommerschlaf und die Gaspedal-Kennlinie schärft so fürsorglich nach, dass das Überholmanöver am Trauerbiker vorbei quasi ohne jede Anstrengung von Statten geht. Die nächsten 5 Kilometer, über die wunderbaren Kurven vor der Abfahrt nach Brestova, am Vidikovac vorbei am Plomin-Fjord vorbei fast bis nach Labin werden zum Genuß-Cruise. Ich hänge mich hinter den Biker, der wirklich jede Kurve ausmalt wie Bob Ross in seinen besten Zeiten. Musik liegt in der Luft und die Groove liefert die dreckige Suzuki oder was auch immer das da vorne ist. Walzer? Bossa? Oder doch eher ein Jive? So rund sah ich noch selten jemanden ein Fahrzeug bewegen. Es ist eine Freude hinterherzuströmen, nicht mal illegal, diesfalls, es geht nicht um Speed sondern um Effizienz. Und ganz nebenbei fällt mir auf: Der BMW ist das ideale Gerät um damit Motorrad zu fahren. Allen physikalischen Voraussetzungen zum Trotz.
Bei Labin fährt der Biker rechts ran, er ist angekommen. Als ich vorbeifahre grüßen wir uns, er hat unser Doppelpassspiel scheints genauso genossen wie ich. Als ich durch die Ortschaft fahre, mit braven 50, man ist neuerdings eher streng in Kroatien, was Tempolimits betrifft, merke ich, wie übertrieben ich daherbrabble, in der Vierten statt in der Siebten und mit dem lauten Auspuff hintendran. Also wieder aufs M-Knöpfchen und es fühlt sich an, wie wenn der Knight Rider dereinst die Flügeln eingefahren hat, wenn der Super Pursuit Mode nicht mehr vonnöten war (Spätgeborene: Bitte gugln).
Steif-Tierchen
Bei Supersportwagen ohne Dach, und, gemeint sind solche, die es auch mit Dach zu kaufen gäbe, also bei diesen High Performance Cars, die die Steifigkeit ihrer eigenen Karosserie und somit die eigene Konkurrenzfährigkeit für aus sportlicher Sicht einzig und allein modischen Schnick Schnack opfern, fehlt mir immer ein bisserl der, hm, Respekt. Ich meine: Was jetzt? Willst Du schick sein, oder schnell? Und natürlich ging es mir zunächst auch beim M4 so, zumal der ja noch dazu ein viersitziges Cabrio gibt, den Albtraum für jede Art von Verwindungssteife. Tatsächlich ist bei härteren Bodenwellen (und derlei gibts hier viele) ein klitzekleines, minimales Gewackle spürbar zwischen Vorder- und Hinterwagen, wenn man sich die Trennung ungefähr genau dort vorstellt, wo normalerweise die B-Säule wäre. Tatsächlich ist das einem hochgezüchteten Supersportler wie dem M4, der schließlich auf so viele Art und Weisen elektronischer wie mechanischer Natur gegenzusteuern vermag, herzlich wurscht. Nach Labin, nach dem Abstecher runter ans Meer, nach Most Raśa, dieser Huckleberry-Finn-Landschaft im besten Sinne, geht es hier in herrlich kurviges Geläuf. Solide ausgebaut, leitbeplankt und sogar mit zwei Kehren für Feinspitze. Zeit also für den M-Knopf. Sollen wir den auf der anderen Seite? Bei dem M2 steht…? Ach nein, der Einser reicht auch. Der Motor heult auf, das Getriebe schaltet runter, die Kennlinie bringt die ganze Fuhre auf Linie, ein Ruck geht durch das Auto. Hinunter zur ersten Kehre sind ein paar böse Bodenwellen im Weg, der M4 bügelt sie wie mit Dampfeinsatz. Ein kurzer Rutscher, sofortiges Ausrichten beim Gas geben. Brüll. Es geht hinauf am Berghang und der Sechszylinder dreht und dreht und dreht dass es eine Freude ist. Erst ganz spät schaltet er, mit viel Getöse, das es natürlich nicht bräuchte, aber es is eh nix gescheites im Radio. Recht, links, rechts, grad, kurz rechts, lang links und der Zug hört nicht auf. Speedcheck: oje, hoffentlich sind die auf Pause. Schließlich noch einmal kurz rechts, dann kurz links, gerade und rein in die lange, breite Linkskehre.
„Na los, trau Dich. Bis jetzt hast Du ja auch ganz brav getan. Und jetzt verlierst Du auf einmal das Vertrauen?“ Da ist sie wieder, die BMW-Stimme. Beim harten Bremsen schaltet das Getriebe knallend runter, gleich zwei Gänge, genau richtig. Plötzlich geht die Zeitlupe an. Was haben wir also: Gang 3, knapp sechseinhalb Tausend Touren, Gewicht: Hart vorne rechts. Auto federt rechts hinten ein, der Reifen klebt. Der linke Hinterhaxen schickt sich dazu an, leicht abzuheben, man gönnt sich ja sonst nix. Das ganze Auto streckt sich zuerst, staucht sich dann zusammen, folgt unbeirrt der Nase. Im Augenwinkel nehme ich im Digital-Display unten leicht rechts der Mitte ein nicht unwichtiges Kürzel wahr, das hier in all dem Cyber-Wahnsinn erfrischend altmodisch, nämlich als simpler Schriftzug materialisiert: 4WD. Erst jetzt trau ich mich, dem Ding richtig reinzulatschen. Vollgas.
Mahlzeit!
Das Bistro Valkane ist eigentlich eine Kantine. Die vom riesigen Tennisplatz hier, am Lungomare von Pula. Über die Straße ist das Meer, einer der vielen Fjorde von Pula. Das Essen ist dennoch fein, Steak gibts, Pjukanci dazu, frischen Salat und den Blick auf das Auto, das, nun wieder geschlossen, zufrieden vor sich hin brazzelt, kann man schon vorzüglich genießen. Das Dunkelrot steht ihm gut, es kaschiert die Mega-Niere, die hier neuerdings verbaut wird. Alles übt sich in Understatement, die schwarzen Felgen schauen kleiner aus, als sie sind. Nur das Emblem verrät ihn. Und der Sound, gegebenenfalls. Das ganze Abendessen lang, bis hin zum herrlich vollmundigen Espresso, freue ich mich auf die Rückfahrt nach Lovran. Die Lust ist geweckt, das Selbstvertrauen ist da, der Schulterschluß mit dem Auto hat stattgefunden. Jeglicher Art von Übermut begegnet die Dunkelheit, es ist mittlerweile Abend geworden. Und dann ist da noch der M4. Der einem schnell klar macht: „Die Grenze ist weit, sehr weit. Und um diese auszuloten ist so viel Extrawahnsinn nötig, so viel Speed-Überschuss, so viel Trottelei – echt jetzt: So blöd wirst Du ja nicht sein, oder?“
Auch am Rückweg wird ein paar Mal angegast, warum auch nicht, aber nie übertrieben schnell, es geht eher um den Haftungsgenuß in der Kurve, da ist man innerhalb des Tempolimits unterwegs und trotzdem gibt einem die Fliehkraft picksüß zu verstehen, wie sehr sich dieses Auto mit all seinen Ingredienzien in die Straße krallt. Auf der Geraden angasen kann schließlich ein jeder und da jetzt noch schnell ein Reh oder ein Katzerl oder sonst ein unschuldiges Geschöpf, das hier mitten in der Nacht die Straße überquert, deppert auf die Hörner zu nehmen, dafür steht gar nichts.
Wer spricht denn da?
Es war ein Erlebnis, mit diesem Auto durch das südliche Istrien zu fahren. Ein tolles Erlebnis. Etwas, das man sich heutzutage ja nicht mehr traut, einfach so fahren gehen. Nichtmal die Ausrede, ich muss die Dinger ja für meine Berichte testen, zählt mehr. Also hab ich mir die Strände angeschaut, im eher unerschlossenen Teil der Halbinsel, da wo die Küstenstraße nicht vorbeizieht. Freier Blick, ohne Karosserie-Steher, das ist es, wofür Cabrios gebaut wurden. Puncto Aufregung, puncto Sportlichkeit, puncto Erfahrung hätte freilich auch der Basis-Vierer gereicht, ein 420i mit 184 PS. Nicht aber puncto Einzigartigkeit. Weil der hätte ziemlich sicher nicht zu mir gesprochen. Vor allem nicht in dieser Tonart.