V12-Motor oder 800 Volt-Batterie? Höchstgeschwindigkeit oder Reichweite? Lack und Leder oder Bildschirm-Diagonale und Bio-Merino – das gelernte Koordinatensystem für die Oberklasse ist aus den Fugen geraten und die alten Werte erodieren zunehmend. Denn während die eine Hälfte der Besserverdiener an den alten Werten hängt und sich nur zögerlich auf die neue Welt einlässt, fordert die andere Hälfte vehement den Fortschritt und giert eher nach Revolution als Evolution. Wenn BMW jetzt – Pandemie-bedingt im Internet statt auf der Motorshow in Peking das Tuch vom neuen Siebener zieht, reagieren die Bayern auf dieses Dilemma mit einem Doppelschlag, der es beiden Lagern gleichermaßen recht machen soll. Denn um auf der einen Seite die neue Mercedes S-Klasse und den alten Audi A8 zu überholen und auf der anderen Seite den Anschluss an Mercedes EQS, Tesla Model S und Lucid Air zu finden, wird es gleich zwei neue Siebener geben: Zu Preisen von etwa 100.000 Euro (D) aufwärts kommt er als klassischer Verbrenner und für gute 140.000 Euro (D) wird es auch einen i7 mit reinem Elektroantrieb geben.
Optisch unterscheiden sich beide Varianten nur im Detail – und sind für europäische Geschmäcker eine schwere Prüfung, weil sie vor allem auf die asiatischen Gepflogenheiten zugeschnitten sind. Während die Niere deshalb ins Unermessliche wächst und auch noch von einem LED-Rahmen inszeniert wird, schrumpfen die Scheinwerfer zu Schlitzen, von denen es jetzt jeweils zwei übereinander gibt. Und dass der Siebener in Höhe und Breite nochmal um fünf Zentimeter zugelegt hat, mag zwar gut sein für die Präsenz und natürlich fürs Platzangebot. Aber der Eleganz ist das nicht eben förderlich.
Aber nicht nur die Designer haben sich dem chinesischen Gusto verpflichtet, sondern auch die Produktplaner: Weil zuletzt siebzig Prozent der Siebener nach Asien verkauft wurden und dort genau wie in Amerika nur die Langversion am Start ist, wird der kurze Siebener kurzerhand gestrichen und der lange wird sogar noch einmal länger: Der Radstand wächst zwar nur um einen halben Zentimeter und misst jetzt 3,22 Meter. Doch insgesamt steckt sich der Siebener um 13 Zentimeter und kratzt jetzt an 5,40 Metern. Kein Wunder also, dass es sich im Fond jetzt noch vornehmer räkeln lässt – erst recht auf den neuen Loungeliegen, die noch bequemer sein sollen und noch mehr elektrische Bewegungsfreiheit bekommen.
Zum neuen Platzangebot gibt es auch ein völlig neues Ambiente, das den beim iX eingeschlagenen Kurs noch einmal verschärft: Rings um das schlanke Curved-Display hinter dem Lenkrad finden sich deshalb noch mehr Konsolen aus Kristallglas und noch weniger Schalter, es gibt Sensorfelder für die Klimaregelung und erstmals voll elektrische Türen und die Hinterbänkler wähnen sich im Regiestand eines TV-Studios. Denn als wäre die riesige Kinoleinwand nicht schon genug, die auf Wunsch mit ihren 31 Zoll von der Decke klappt, gibt es statt Schaltern selbst in den Türen noch zwei Displays von der Größe eines Smartphones.
Zwar bedient der Siebener die alte und die neue Welt, doch beim Fahren macht BMW keine Unterschiede – und zielt bei Dynamik und Komfort gleichermaßen auf die Spitze. Egal ob mit Sprit oder Strom fühlt sich der Luxusliner tatsächlich sehr viel handlicher verbindlicher und engagierter an als seine Konkurrenten – und das, obwohl der Prototyp noch einmal mehr Radstand hat als die bisherige Langversion und sich auf knapp 5,40 Meter streckt. Wo man sich in EQS und selbst in der S-Klasse ein wenig über den Dingen wähnt und buchstäblich abgehoben ist, bleibt der Fahrer im Siebener deshalb immer im Zentrum des Geschehens und freut sich daran, dass vor ihm so ein griffiges Lenkrad prangt.
Wer in die zweite Reihe wechselt, der fühlt sich plötzlich in einem ganz neuen Auto, liegt butterweich auf seinem Ledersofa und bekommt von der Welt da draußen kaum etwas mit. Haben die Zweikammer-Luftfederung, die Hinterachslenkung und die aktive Wanksteuerung eben noch die Nerven gekitzelt und den Blutdruck in die Höhe getrieben, wirkt der Luxusliner auf seinen schaumgefüllten Reifen jetzt wie eine feste Burg, die sowohl im Tiefflug auf der Autobahn als auch bei der flotten Landpartie in kurvigem Geläuf jeder Anregung trotzt.
Und das ist noch nicht einmal alles. Denn das Fahrerlebnis bietet bald noch eine dritte Dimension und zur Perspektive als Fahrer oder als Passagier gesellt sich noch die des Passagiers auf dem Fahrersitz: Nicht gleich zum Start aber zumindest im Lauf des Modellzyklus soll der Siebener mit EQS und S-Klasse gleichziehen und autonomes Fahren nach Level 3 bieten, so dass man auch hinter dem Lenkrad die Hände in den Schoß legen kann. Und wer so lange nicht warten will mit der Autonomie, der kann den Luxusliner jetzt zumindest auf dem Parkplatz auch von außen in vergleichsweise komplizierte Fahrmanöver zwingen.
Treibende Kraft dabei sind im i7 zwei E-Motoren aus dem so genannten Gen5-Baukasten, aus dem die Bayern auch den iX und den i4 konstruiert haben. In der Startaufstellung werden sie beim i7 xDrive 60 auf 544 PS kommen und mit bis zu 745 Nm zu Werke gehen. Das reicht für einen Sprintwert von 4,7 Sekunden und ein Spitzentempo, das mit 240 km/h nah an den Verbrennern bleibt. Dabei kann sich der geneigte Nerd in den Menüs verlieren, unterschiedliche Rekuperationsstufen vorwählen und sogar mit den immer noch ziemlich albernen Iconic-Sounds spielen – oder einfach die Elektronik machen lassen, die meiste Zeit mit einem Pedal fahren und die Stille des Stromers genießen.
Die Energie dafür liefert ein Akku mit einer Netto-Kapazität von rund 102 kWh, der im besten Fall für 625 Kilometer reichen soll. Und bei 200 kW Ladeleistung sollten danach zehn Minuten an der Gleichstromsäule reichen, um für 110 Kilometer nachzuzapfen.
Wer der neuen Welt noch nicht ganz über den Weg traut, den verwöhnt BMW auch wieder nach alter Väter Sitte. Schließlich haben die Bayern nicht zuletzt für den Siebener sogar noch einmal ihre Verbrenner frisch gemacht. Für den Export wird es klassische Benziner mit sechs und acht Zylindern geben, für Europa kommt nochmal ein Diesel mit drei Litern Hubraum und 300 PS und für alle gibt es gleich zwei Plug-in-Hybriden mit 490 oder 571 PS Systemleistung und jeweils über 100 Kilometern elektrischer Reichweite.
Benziner und Diesel für die ewig gestrigen. Den i7 für die Zukunftsgläubigen und zwei Plug-ins für die Unentschlossenen – so bringt BMW ein bisschen Ruhe und Orientierung ins wankende Koordinaten-System der Oberklasse. Nur an einem Punkt müssen sich die Kunden umstellen: Der V12 als Inbegriff des Luxusantriebs wird gestrichen und an die Spitze der Palette rückt im nächsten Jahr ein i7 70M, der mit deutlich über 600 PS zum stärksten Siebener aller Zeiten werden soll. Das dürfte klappen. Denn egal ob Verbrenner oder E-Motor – Leistung zählt in der Luxusklasse schließlich noch immer am meisten.