Zur Designmesse Mailand haben Stil und Style das norditalienische Modemekka voll im Griff. Der Behaunski war dort und präsentiert seine Eindrücke.
Text/Foto: Rainer Behounek
Francesco hat ein wachsames Auge. Der Kellner vor dem netten Restaurant merkt hinter seiner stylischen runden Brille gleich, wer Hunger hat und wer nicht, wem die Füße weh tun und einen Aperol Sprizz braucht, oder wer einfach nur schlendern will. Ob er wirklich Francesco heißt, denk ich mir, während ich den genialen Pfannen-Untersetzer bestaune, der aus zusammengebundenen Korken besteht. Korken … ob unsere Kinder noch wissen werden, was das ist?
Designmesse
Am Tag vor dem Beginn ist die Mailänder Designmesse noch nicht mal im Ansatz vorhanden. Geschäfte und Lokale haben zu und aus denen, die offen haben, stauben Baulärm und Zeitdruck raus. Ob die Stadt warm ist, hängt vom Betrachter ab – mir ist schweineheiß, viele Mailänder laufen in Daunenjacken herum. Selbst mit der Daune um die Haut schauen sie fesch aus, überhaupt schauen Italiener in Italien fesch aus. Wenn wir Österreicher mal schön angezogen sind und nicht gerade im Businessviertel der Stadt umherlaufen, dann haben wir was vor: „Hö, gehst auf eine Hochzeit?“ oder „Ui, gehst auf ein Begräbnis?“
Brera-Viertel
In diese Stadt passt Design perfekt hin. Ich zahle für einen unglaublichen Capuccino unglaublich wenig und mache mich auf den Weg ins Brera-Viertel, dem Creative-Bezirk des norditalienischen Modemekkas. Verwinkelte Gassen, überall kleine Fresken und Säulen, winzige Eingänge, rostige Gitter, Bäume und Pflanzen auf kleinen Balkonen. Dort und da machen Läden auf und es wirkt so, als ob die Kunden miteingesperrt waren, so schnell sind die Buden gefüllt. In einem Radgeschäft begutachtet ein alter, typisch italienischer Papa den Sitz eines verzweifelten Mädls, das hereinstürmt und den Mann anbettelt als wär er ihr eigener Opa. Der kann dem Charme nicht widerstehen und weiß insgeheim wahrscheinlich, dass diese Situation gerade das italienische Flair ausmacht, von dem alle sprechen. Wie Clint Eastwood seinen Revolver zückt er den Schraubenschlüssel aus der Arschtasche, fuchtelt behände in der Gegend rum und gibt zum Abschied (und zum Glück nur) dem fest montierten Sitz einen Klaps.
Mailand macht sich fesch
Fast forward zum eigentlichen Eröffnungstag. Wie ausgewechselt präsentieren sich die vorher so halb fertigen Ausstellungsräume und irgendwie kommt der Gedanke an die Truman Show auf: Kann es wirklich sein, dass all das nach nur einem Tag fix fertig ist? Wie dem auch sei – jetzt geht’s ab. Die Menschen sind noch stylischer gekleidet, noch beschwingter und die Stadt pulsiert noch mehr, und das am Tag. Mazda hat sich ein eigenes Reich aufgebaut, in einer kleinen Seitengasse, direkt neben einer gediegenen Shisha-Lounge. Gegenüber bekommt ein Aussteller seinen letzten Design-Tisch von drei stämmigen Burschen geliefert, die mit dem Möbel umgehen, wie mit rohen Eiern.
Schöne Dinge. Durchdacht. Und in ihrer Einfachheit bestechend.
Kodo-Lounge
Vor dem Eingang zum Mazda Design-Room steht ein MMA-Fighter von einem Türsteher und ich habe mein Umhänge-Namenskärtchen nicht mit. Mit dem Selbstbewusstsein eines schüchternen Mädchens, das nochmal die coole Wasserrutsche runterrutschen möchte, obwohl ihr der Badewaschel schon von weitem den Kopf schüttelt und die Eltern von noch weiter Weg mit der Hand deuten, dass sie es ruhig nochmal probieren soll, weil sie dadurch fünf weitere Minuten Frieden geschenkt bekommen, stehe ich vor dem Kerl. Für den bin ich ein kleiner Stift mit Brille und ein: „Excuse me, i’m with them“, hätte ich mir sparen können, weil der ohne einen sichtbaren Beweis, dass ich wirklich with them bin noch weniger Englisch kann als vorher. Eine Dame läuft raus: „You don’t have your Badge??“ And i’m like „No, is this a problem?“ Und sie: „Well, problem… a little.“ Wars noch nie. Aber verständlich. Da laufen 100.000 Leute herum, die überall versuchen, dort oder dort reinzukommen. Und was Mazda da drin versteckt, ist wirklich fein und außergewöhnlich.
Geschafft, nach einem netten Wort der noch netteren Österreich-Dame stehe ich drin. Ich drehe mich um und schaue in die Augen des Türstehers. Der blickt mir etwas traurig nach, wahrscheinlich weil er seinen neuen ich-kann-dir-deine-linken-zehen-in-beide-ohren-stecken-Trick nicht austesten konnte.
Mitten im Raum stehen verhüllt große Gebilde. Ich rate und tippe auf einen Beistelltisch und eine Couch …
Kevin Rice, Derek Jenkings und Ikuo MaedaDrei Design-Ikonen in einem Raum
Der Raum ist dunkel, die Exponate verhüllt – Mazda möchte die Pointe nicht vor dem Witz erzählen. Die Crème de la Crème der Designer ist heute anwesend – neben dem Mastermind aus Japan, Ikuo Maeda, steht der Chef-Designer aus dem US-Studio in Kalifornien, Derek Jenkins, und der Chef-Designer aus dem EU-Studio in Deutschland, Kevin Rice, auf der Bühne. Alle haben sie unzählige Projekte gestemmt, der eine war in den USA bei Ford, der andere bei BMW, Audi, VW, in Design-Schulen und und und. Die Drei reden von KODO, der Welt-Formsprache von Mazda. Und davon, dass KODO nicht bloß die Sprache des Automobils sein müsse, sondern auf beliebige Gegenstände ummünzbar sei. KODO „soul of motion“ – Ikuo Maeda erklärt es mit dem Gepard, der sich im Sprung befindet. Anmutig, fließend aber trotzdem gespannt und zielgerichtet. Neben dem angeregten Gespräch stehen, verhüllt und mitten im Raum, große Gebilde. Ich rate und tippe auf einen Beistelltisch und eine Couch, es könnte aber genauso gut ein gefinkelter Trick und in Wahrheit ein neuartiger Wäschetrockner und eine große Müslischüssel sein.
Die schwarzen, blickdichten Tücher, die über den ausgestellten Exponaten hängen, kommen weg und KODO steht in Form eines Bahn-Rennrades, einer Couch und eines Couchtisches vor uns.Mein Kollege ist von dem Fahrrad gleich so begeistert, dass er im Kopf durchspielt, wie er es am weißen Tyson vor der Tür vorbeischmuggeln könnte. Maeda erklärt, dass der Rahmen aus Edelstahl besteht, den erfahrene Hände zwei Monate lang behämmerten. Die Couch greift Elemente aus dem Fahrzeugdesign auf und spielt gekonnt mit ihnen und dem Zuschauer. „Frag ihn, wie schwer die Couch ist“, mein Jeff Guyton, Mazda-Europa-Chef. Derek Jenkins betont mehrmals das Prototypenstadium und murmelt „130 Kilo“ ins aqua frizzante. Guyton lacht: „Keine Sorgen, bei den Autos wissen wir, wie man mit Gewicht umgeht – der neue MX-5 bleibt unter einer Tonne“.