Die letzte Ausfahrt

Demnächst kommt er weg, der Elfer. Und wird gegen etwas Praktisches getauscht. Etwas, wo Kindersitze und -wägen reinpassen, nebst Windeln, Wickeltaschen und Wochenendeinkauf. Aber bevor der Nachwuchs niederkommt, gehen wir auf eine letzte große Fahrt. Vielleicht ja auch für immer.

Text: Franz J. Sauer

Auf den nächsten sechs Seiten WIENER finden sich sozusagen Fake News. Ich habe ja schon zwei Kinder, und einen Porsche, den ich verkaufen könnte, habe ich auch nicht. Aber ich kann mich noch gut erinnern an jenen Sommer 2006, kurz bevor meine erste Tochter zur Welt kam. Als ich von der Ennstal Classic (damals Ende August) heimfuhr, erste Herbstlichkeiten in der Wetterlage wahrnahm und mir ziemlich ins Hoserl davor machte, was da alsbald auf mich zukommen würde. Wie genau sich das anfühlte, beschreibt Manfred Sax im aktuellen WIENER W436 höchst exakt. Porsche, Unbeschwertheit, wegfahren, wann immer ich wollte? Das könnte ich mir vorerst aufmalen, wusste ich. Zumindest für die nächsten 20 Jahre, so befürchtete ich.

Dass letztlich alles anders kommt, ist ja hinlänglich bekannt. Trotzdem kann ich mich gut erinnern, wie das damals war, kurz davor. Und um mich meditativ in diese Zeiten damals zurückversetzen zu können, beschloss ich, den taufrischen Elfer-Testwagen der Baureihe 992 ziemlich weit in den Süden Italiens zu führen, alleine mit mir und meinen Erinnerungen an
jenen furchtvollen Sommer am vermeintlichen Ende meines vermeintlich coolen Lebens.

Der beste Porsche aller Zeiten – wie immer

Der Porsche 911 ist zwar ein Supersportwagen, aber gleichzeitig einer der besten und vollkommensten Vertreter der Gattung Automobil im Großen und Ganzen. Er fordert von dir exakt so viel Aufmerksamkeit, wie du ihm gerade zu geben bereit bist, und zimmert daraus das jeweils bestmögliche Fahrerlebnis. Du magst in Ruhe nachdenken? Gefühlte 1000 Assistenten springen ein und nehmen dir fast alle Verkehrsaufgaben ab. Du willst Musik hören? Das Verdeck schmiegt sich ganz besonders eng an die Fensterkanten und der Motor hält sich soundmäßig wohltuend zurück im „Normal“-Modus. Du magst zwar offen fahren, aber nur ein bissl Luftzug um dich herum? Die Scheibenarchitektur spannt im Zusammenspiel mit dem gut versteckten elektrischen Windschott ein imaginäres Zelt über dich, das die Umweltgeräusche auf das gesunde Maß eines offenen Schiebedaches reduziert. Du willst es ordentlich krachen lassen und alle Gezeiten live und direkt spüren? Now you’re talking, my dear, einfach alles aufreißen, wegdrücken, auf Sport stellen und Gas geben.

Spätestens auf der Autobahn-Umfahrung von Venedig war ich in meinem angepeilten Inertialsystem gedanklich angekommen und genoss es in vollen Zügen. Italiener sind dabei sehr hilfreiche Mitmenschen, wenn du mit einem schönen Auto anreist: Sie lieben dich dafür und kennen keinen Neid. Abgesehen davon, dass ihr Naturell sie auch im kleinsten Fiat mit deinem Superboliden konkurrenzfähig macht – nicht bloß einmal wurde der Herr Carrera 4S zwischen Tarvisio und Faenza von einem Punto, Panda oder Y10 abgestaubt, weil sein feiger Fahrer die Konsequenzen etwaiger Polizeibegegnungen befürchtete.

Ich befand mich also quasi im Sommer 2006, damals war gerade die Baureihe 997 taufrisch. Der zweite Wassergekühlte also, bereits wieder ohne „Spiegelei-Augen“. Autofans und -gegner konnten sich damals noch irgendwie auf einen Porsche 911 einigen. Man respektierte den Wagen als Ikone, gönnte dem Auto eine gewisse Berechtigung als Kulturgut und herzhafte SUV-Gegner, die es damals auch schon gab, sahen im Elfer so was wie die erfrischende Antithese zum hauseigenen Cayenne, den es da, übrigens als Zugeständnis an seinen Ruf als Spritschlucker, auch schon als, haha, Diesel gab.

„Wenn verrückt gewordene „Aktivisten“ die Schaustücke eines Porschehändlers in Brand stecken, wird das nicht mehr selbstverständlich als wahnsinnige Terrortat verurteilt.“

Da hat sich am Zugang doch einiges geändert in den letzten 13 Jahren. Autofans lieben den Elfer noch immer, aber sie schweigen sich schön darüber aus, um nicht ungut aufzufallen. Die längst von Gegnern zu Hatern gewordenen Autofeinde hassen den Nineeleven anno 2019 hingegen sogar noch ein Alzerl mehr als die meisten anderen Automobile. Weil er in ihren Augen sozusagen die Speerspitze dessen verkörpert, was man mittlerweile, ganz ohne den Vogel gezeigt zu bekommen, öffentlich kundtun darf: Autos sind tödliche Waffen und ihre Fahrer folgerichtigerweise verkappte Mörder. Wenn verrückt gewordene „Aktivisten“, versteckt hinter dem Namen „Steine ins Getriebe“ in Deutschland die Schaustücke eines Porschehändlers in Brand stecken, wird das nicht mehr selbstverständlich als wahnsinnige Terrortat verurteilt, sondern es taucht vereinzelt Verständnis auf. Möglicherweie wird ein tätlicher Angriff auf einen SUV-Fahrer in absehbarer Zeit als gerechter Verteidigungsschlag im Kampf um die menschliche Zukunft rezensiert. Und ob all jene, die sich nicht nachweislich und sofort vom eigenen Auto verabschieden, dann in 20, 30 Jahren noch eine Lebensberechtigung ausgestellt bekommen, wo sie und ihre Abgase doch nachweislich hauptschuld sind daran, dass nicht mehr alle Menschen auf den Planeten passen, steht in den Sternen, die man bis dahin ja vielleicht doch noch nicht so ganz besiedeln kann, wie sich das ein Elon Musk heute wünscht.

Sie meinen, ich übertreibe schamlos? Nun, das wollen wir doch alle hoffen. Dennoch ist es nicht sicher, dass wir alten, weißen Männer uns dann, wenn wir ihn uns wieder leisten könnten, weil die Kids aus dem Haus sind und der Platzbedarf im Auto indirekt proportional zum Konto­stand wieder sinkt, noch einen Porsche 911 fahren dürfen. Abgasnormen werden strenger (auch wenn sie aus heutiger Sicht eher Dieselmotoren mit Fahrverboten bedrohen, und einen Selbstzünder im Elfer-Heck wird es wohl eher nie spielen), die soziale Akzeptanz solcher „Just-for-Fun“-Autos wohl nicht unbedingt wohlwollender werden. Und schon die jungen Leute von heute kriegen eher selten glasige Augen, wenn ihnen ein Flachkäfer neuerer Provenienz unterkommt – bei älteren Modellen zeigen sie da noch am ehesten verständnisvolle Begeisterung. ­

Dabei wäre gerade der Porsche 911 in all seinen Derivaten ein guter Wegweiser in die automobile Zukunft. Es sind ja nicht die Sportwagenfahrer, die im Alltag mit ihren Dreckschleudern unterwegs sind, also den Löwenanteil am individualverkehrgenerierten CO2-Ausstoß

„Ob all jene, die sich nicht sofort vom eigenen Auto verabschieden, dann in 20, 30 Jahren noch eine Lebensberechtigung ausgestellt bekommen, wo sie und ihre Abgase doch hauptschuld daran sind, dass nicht mehr alle Menschen auf den Planeten passen, steht in den Sternen.“

produzieren. Die großen Mengen verursacht jener Daily Driver, der aus einer Ansammlung von sich und seinesgleichen den Stau auf der Tangente formt. Elektro für alle wird es zwar nie spielen, aber gegen schlaue Hybrid-Lösungen, wie sie etwa das Twin-Engine-­Konzept von Volvo oder die neue Plugin-Hybrid-Generation der Mercedes-Benz E-Klasse vorleben, wird sich kein Autofreund ernsthaft wehren. Erdgas (längst verfügbar), Wasserstoff (vielleicht doch mal ein paar Überlegungen wert) sind ebenfalls gut förderbare Zukunftslösungen, wenn sie denn mal von den richtigen Stellen als solche wahrgenommen würden. Und wenn wir schon bei der steuerlichen Taxierung von Automobilen angekommen sind: Warum werden eigentlich hierzulande seit jeher und wohl auch noch in absehbarer Zukunft hauptsächlich stehende Autos besteuert und keine fahrenden? Eine Neubemessung der KFZ-Steuer weg von der Nennleistung hin zum Spritpreis würde wie ganz von selbst einen Lenkungseffekt wider unnötige Fahrereien zur Folge haben, was freilich auch ein komplettes Neudenken von Pendlerpauschalen und sonstigen Ausgleichsmomenten für Menschen in öffimäßig miserabel erschlossenen Gegenden bedeutete. Allerdings lässt sich aus Staatssicht am stehenden Elfer (oder SUV, Ferrari, Diesel-­Golf, you name it) viel besser verdienen als am fahrenden. Sonst käme einer wie ich am End auch noch auf die Idee, tage- oder wochenweise die Karre stehen zu lassen …

Meine Route führte mich über Faenza nach Ischia, zurück über Rom in die Toscana und schluss­endlich nach Gröbming zum Finale der Ennstal Classic, wo Porsche den neuen Speedster vorstellte. Eine schöne, große, letzte Runde also, bevor ich … nun ja, diesfalls den Porsche wieder an seinen Eigentümer, den General­importeur zurückgeben musste. Meine eigenen Porsches, ich hatte derer bislang zwei, fuhr ich übrigens zu Zeiten, als meine Kinder bereits auf der Welt waren. Die Mädels liebten sie, schon allein deshalb, weil die hinteren beiden Notsitze ideale Kindersitze ohne unbequeme Zubauten darstellen. Ab einer gewissen Körpergröße freilich nur. Aber dann so richtig gut.


Porsche 911 Carrera 4S Cabriolet
Hubraum: 2981 ccm
Leistung: 450 PS
Verbrauch: 9,1 Liter
Drehmoment: 530 NM / 2600–5000 U/min
Beschleunigung: 0–100: 3,8 s
Spitze: 304 km/h
Gewicht: 1635 kg
Preis: ab 172.491 Euro

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