Das GTI Treffen im Wandel der Zeit
Das GTI-Treffen am Wörthersee kennt jeder. Der Treffpunkt der Wahnsinnigen, die nur Vollgas im Kopf haben. Doch „Der See“ ist mehr. Er ist ein Phänomen, gewachsen über Jahrzehnte, der wie seine Teilnehmer lange Zeit nicht erwachsen werden wollte. Um ihn zu verstehen, muss man tief eintauchen.
Text: Roland Scharf
Ein wenig stolz bin ich schon auf mich. Inmitten der T-Shirts und Aufkleber, Felgen, Auspuffe und dem ganzen Klarglaswahnsinn fand ich so ziemlich die einzigen Originalteile für meinen Einser GTI. Lüftungsgitter für das Frontblech, endlich neu aufgelegt und das finale Teil, um den kleinen Silbernen zu vollenden. Nein, früher hätte es das nicht gegeben. Original, sowas von uncool. Und auch heute wirkt man mit Serienlösungen immer noch ein wenig wie ein Pilger in einem Gottlosen Land. Und dennoch: Die Gitter sind wie eine zaghafte Knospe der Rückkehr. Zur Blüte, in der das Treffen früher strahlen durfte.
1982 ging alles los. Beleben wir die Region ein wenig in der Vorsaison, mit einem Autotreffen zum Beispiel. Der Golf GTI stand seinerzeit hoch im Kurs, Clubs und Vereine gab es an jeder Ecke, er war DAS Spielzeug der Yuppies und Coolen. Ein gewiefter Hotelier schaffte es tatsächlich, die Meute zu mobilisieren. Ein nettes Programm geschnürt mit Aufklebern, Gewinnspielen und Bierzelten lockten immerhin 80 Teilnehmer, die brav konsumierten und auch massig Ansichtskarten verschickten. Urlaub bei Freunden, eine geniale Idee, die nach einer Fortsetzung verlangte. Und die sich langsam anfing, zu verselbstständigen, die Teilnehmerzahlen stiegen rasant. Denn die Yuppies und jungen Leute ab 40 suchten sich neue Spielzeuge. Und der GTI tauchte tief ein in die Welt der Dorfdiscos.
Der Fan
Alex ist einer der Ärgsten. Zwei Wochen verbringt er mit GTI, Frau und Kind – in dieser Reihenfolge – am See. Eine Woche des Jahresurlaubs bleibt für einen Badeurlaub reserviert, der Rest findet zwischen Velden und Schiefling statt. Die 19-Zoll-Walzen sitzen so prall in den Radkästen wie wohlig geformte Brüste in einem viel zu engen BH, der Lack spiegelt mit dem Wörthersee um die Wette. Alex´Frau nimmts gelassen. Ihr Leon Cupra R parkt gleich daneben. „Eigentlich“, meint die überzeugte Seefahrerin, „ist es in den zwei Wochen vor dem offiziellen Treffen schon zu voll. Drum wollen wir nächstes Jahr noch früher runterfahren.“ Auch wenn der Badeurlaub dafür draufgehen könnte.
Selbstfindung
Irgendwann kam VW auf den Trichter, dass hier gewaltiges Potenzial schlummert. Da gibt es Leute, die das eigene Produkt verehren und alles dafür tun würden. Es folgte eine wahre Schwemme an Marketing-Feuerwerken, die sich von Jahr zu Jahr immer mehr übertrumpfen mussten. Einmal gab es einen fliegenden Plexiglas-Golf, einmal einen schwimmenden, und das endgültige Denkmal in Form des steinernen GTI war ein Geschenk von Volkswagen an die Gemeinde Reifnitz. Das ist alles schön, aber so wie auf Mallorca gibt es auch in Kärnten einen Ballermann, der den ganzen Rest dezent ruiniert. Den Teilnehmern stand mehr nach dem freien Gestalten ihrer Zeit, und schnell ging es los mit Bier und Burnouts. VW zog sich zurück, die Polizei übernahm quasi fliegend und im Nu war alles aus und vorbei. Das GTI-Treffen war Geschichte – zumindest offiziell.
Wer in einem Arbeiterbezirk aufwächst, hat zwei Möglichkeiten: Saufen. Oder Autofahren. Das Leben war einfach damals, und da mir so schnell schlecht wird, führte der Weg schnurstracks zur Triester Straße. Mal schauen, was rumfährt. All die GTIs, GSIs und VTECs waren DAS Ziel von uns Burschen auf den Fahrrädern, und die Stories, die man von den großen Jungs vom Wörthersee aufschnappt, war wie Magie in unseren Ohren: Burnouts überall! Rasereien überall!! Volle Action, und das mehrere Tage!!! Natürlich ist das alles illegal und saugefährlich, aber wen juckt das mit 18? Favoriten war jetzt nicht gerade ein Hotspot, und auch wenn man endlich einen GTI hatte, wollte man den doch auch standesgemäß einsetzen. Elvis, Kind offensichtlicher Rock-Fans, war schon öfter unten. Zuletzt mit seinem Corrado, der immer noch nach Kupplung stank. Natürlich gibts kein echtes Treffen mehr, erzählt er, das haben sie vor ein paar Jahren abgedreht. Aber die Leute kommen trotzdem runter, führen sich auf und fahren wieder nach Hause. Als angehender Prolet musste man dort einfach hin. Alles, was verboten ist, reizt.
Das ist alles schön, aber so wie auf Mallorca gibt es auch in Kärnten einen Ballermann, der den ganzen Rest dezent ruiniert. Den Teilnehmern stand mehr nach dem freien Gestalten ihrer Zeit, und schnell ging es los mit Bier und Burnouts. VW zog sich zurück, die Polizei übernahm quasi fliegend und im Nu war alles aus und vorbei. Das GTI-Treffen war Geschichte – zumindest offiziell.
Du warst der Mittelpunkt. Neben dem Golf hätte Claudia Schiffer stehen können, ich hätte sie nicht bemerkt. Ebenso wenig die Polizei hinter mir. Otto, mein Beifahrer, jubelte, beinahe hätte er seine Marlboro verschluckt, so außer sich war er.
Der Polizist
Schwer zu sagen, ob es das Wetter oder seine Kundschaft ist, die dem Polizisten die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Die Augenringe sind so schwarz wie die Reifenspuren auf der Straße, die Uniform sitzt trotzdem perfekt wie die Spaltmaße eines Phaeton. Er möchte anonym bleiben, nennen wir ihn daher einfach Jörg. „Jo blitzn tuma scho vü in diesa Wochn. Aber die meisten, die ma derwischn, san die Einheimischn.“ Ob er sich als nächstes einen Einsatz bei einem G9-Gipfel wünscht, nur so zum Ausspannen? „Na na. Im großen und gonzn san die meisten eh normal, göi.“
Action!
„Kimmts her do. Die san von da Triester!“ Ende der 90er-Jahre galt ein Wiener Kennzeichen auf einem GTI als Gütesiegel für alles, was man mit einem Auto eigentlich nicht tun sollte. Die Süduferstraße war the place to be bei meinen ersten zwei Treffen. VW-Fahnen wehten alle paar Meter, Clubs und Teams und Freundeskreise warteten auf jedem Parkplatz und Asphaltvorsprung und blockierten dezent die Straße, um jeden erst dann vorbeizulassen, wenn er zumindest ein Quietscherl seinen Reifen entlockt. Als die Jungs aus Tirol meinen schwarzen 16V sahen, kombinierten sie schnell: Der will es sicher wissen. Und wie, Jungs! Zehn Hände hielten den Hobel an allen Ecken und Enden fest, man weiß ja nie, wie gut die Handbremse noch arbeitet, das Adrenalin fing zu pumpen an, alle richteten ihre Augen nur auf dich. Du warst der Mittelpunkt. Neben dem Golf hätte Claudia Schiffer stehen können, ich hätte sie nicht bemerkt. Ebenso wenig die Polizei hinter mir. Otto, mein Beifahrer, jubelte, beinahe hätte er seine Marlboro verschluckt, so außer sich war er. Also den Ersten rein, den Motor hochjubeln und – zack – weg von der Kupplung. Bei 5000 klang der 16V damals am besten, bei 7200 hatte er die meiste Leistung. Also immer in diesem Bereich aufhalten, so lange, bis die Dunlops richtig in Rauch aufgingen. Zehn Sekunden, fünfzehn, noch einmal kräftig am Gas pumpen, alle kreischten und jubelten. Das graue Favoriten war ganz weit weg.
Die Spezialisten
Ausgerechnet ein Minivan hat es den zwei Experten angetan. „Na oida, schau da den Touran an heast.“ Der Wolfsburger Familienbomber kauert tief auf Rädern eines Bentley Continental GT, glänzt zweifärbig speckig und muss wohl über ein Luftfahrwerk verfügen. „Na sicher heast! So tief kommst mit an Gwind nie owe!“ Der zweite kann nicht kontern, stapft nervös in seinen Flipflops hin und her und fingert in seiner Dreiviertelhose nach dem Smartphone. Gleich googeln, ob es Airride für den Touran gibt. Kurz am hervorblinzelnden Bauchnabel kratzen, dann die erfolglose Online-Suche mit einem sachlich fundierten Kommentar überspielen. „Na einparken kanna so owa nimma.“; „Ja, und irgendwo kann a Bentley nimma ausparken.“
Neubeginn
Irgendwann kapierten alle, dass dieses Treffen nicht sterben wollte. Die Leute kamen trotzdem, rein zufällig verirrten sich auch immer mehr Tuner mit Verkaufständen, die lustigerweise im Kombi auf der Urlaubsreise herum lagen, auch zurück nach Reifnitz. Es war höchste Zeit für einen Neubeginn: Bevor hier endgültig alles aus dem Ruder läuft, die Trauben der Leute auf den Straßen immer größer werden, die jeden GTIler zum Burnout nötigen, krempeln wir die ganze Veranstaltung um: Auto News ist der neue Name, 1999 ging es los, und alles wurde reglementiert: Die Zufahrt mit Tickets, die Parkplätze mit Securitys, die großen Zelte mit horrenden Platzmieten. Man staute sich hinein und hinaus, die Party wurde größer, die wahren Fans flüchteten in die Nebenorte. Da gabs doch diese große Tankstelle bei Velden! Oder den Parkplatz in Schiefling! Also raus aus Reifnitz, wo man eh nur abgezockt wird und das Partyvolk die Herrschaft übernommen hat.
Die große Abspaltung begann. Die wahren Fans, all jene, denen es um die Autos ging, meideten Reifnitz und den offiziellen Teil des Treffens. Man reiste extra ein paar Tage früher an, um alles noch in Ruhe genießen zu können, alte Freunde zu treffen, Urlaub zu machen. Für viele endete das Treffen bereits vor dem offiziellen Beginn wieder, und wie ein Urlauberschichtwechsel trottete die feine Ware auf vier Rädern zurück nach Hause, während der Mob nach Kärnten pilgerte – ebenso wie die Fernseh- und Radioteams. Eine Kombination, die wunderbar harmoniert.
Der Kassier
Ohne Funkgerät und Security geht garnichts, so gewaltig ist der Andrang auf der Tankstelle. Jeder möchte Tanken, gesehen werden, und irgendwie ist die Tankstelle für diesen gewaltigen Auflauf einfach zu klein. Der Chef dirigiert, versucht den Überblick zu bewahren, aber den Wahnsinn kann man nicht kontrollieren. Tanken, zahlen, weiterfahren – oder auf den Parkplatz abbiegen und fünf Euro pecken, so einfach ist das. „Heut is eh schon nix mehr los“, erzählt der Kassier, während er die nächste Red Bull-Dose scannt. „In den letzten Wochen gings aber rund um die Uhr zu. Das zehrt schon a bissl.“ Noch ein Packl Tschick für den Herren mit den tiefschwarzen Rayban, der seinen tiefschwarzen Mercedes gerade hat volllaufen lassen, dann geht es schon wieder ans Nachschlichten. „Sicher ist viel zu tun, aber dafür könnt ma dann für ein paar Monate zusperren.“
Eine Frage des Geldes
Die Nuller-Jahre bescherten dem Treffen einen Wachstumsschub in alle Richtungen. Die treuen Fans reisten immer früher an, immer mehr mit Fremdmarken, weil es auf dieser Welt mehr gibt als nur Golf, Polo und Passat. Viele wurden endlich erwachsen, gingen schon auf die 40 zu, entsprechend verschob sich auch die Wertigkeit. Echten Urlaub machen. Kärnten ist ja schön, und alte Freunde zu treffen, sich umzusehen, was wer über den Winter zusammengeschraubt hat, ist in netter Umgebung durchaus eine entspannende Freizeitbeschäftigung. Mit dem Alter steigt bei vielen auch die Finanzkraft, und entsprechend zeigt sich der Fuhrpark von Jahr zu Jahr hochwertiger. Das ging so weit, dass es immer schwerer wurde, überhaupt noch irgendwie aufzufallen. Airride? Logisch. Verchromter Motor? Na sicher! Volllederausstattung, bis hin zur Motorabdeckung? Muss sein. Turboumbauten? Zumindest hat noch nicht jeder einen verchromten Lader verbaut. Geld war spürbar. Es ging nicht mehr um den Spaß an witzigen Autos. Nur mehr ums Schaulaufen, um das Übertrumpfen der Anderen.
Otto hat früh geheiratet. Das erste Kind ließ nicht lange auf sich warten, seinen fünftürigen 16V, der natürlich nie so gut ging wie meiner, hat er schon lange verkauft. Dass ich meinen noch habe, liegt nur an meiner ersten großen Liebe, die es mir in den Nuller-Jahren verboten hat, ihn gegen einen VR6 einzutauschen. „Durch den Kübel haben wir uns kennengelernt, den verkaufst Du nie!“ Und dabei war es mir das erste mal peinlich, einen GTI zu haben, als ich sie traf: Hoffentlich spricht sie mich nicht drauf an, ob der schwarze Golf meiner ist. Die Beziehung ist lange vorbei, doch sie leitete bei mir das ein, was man wohl Erwachsen-werden nennt.
Der Einefetza
Alle Autos sind gerne gesehen, solange sie aus dem Konzern sind. Auch die Briten. Zum Beispiel ein brandneuer Bentley, serienmäßig zwar, mit den gleichen Rädern unterwegs wie manch Touran und einem Aufkleber am Heck, der besagt, was Tätowierte besser können als wir Normalos, aber hey: Ein Flying Spur ist schon was. Kurzer Stau auf der Kreuzung in Reifnitz, der Silberfisch steht im Weg. „Heeeast, schieb zruck a bissl!“, der nicht ganz so noble Brite fuchtelt mit seinem tätowierten Arm Richtung RS5 hinter ihm. „Ach so, ist ja nur der V8“, kommentiert einer im Vorbeigehen.
Mischkulnig, Sabotnik, Turbokurve
Wie fällt man nun auf, wenn jeder schon alles hat? Ganz klar mit Leistung. Die Action ließ nicht mehr lange auf sich warten. Die Ruhe vor dem Treffen, die Gunst der leeren Straßen und der Ruf der „Normalos“, die sich zu dieser Zeit rund um den See herumtrieben, boten einen fruchtbaren Boden für das, was das GTI-Treffen seinerzeit zerstört hat: Gummi, Hatzerln, Vollgas. Der lupenreine Wahnsinn, der magisch anzieht und für Szenen sorgt, die an Rallyes der Gruppe-B-Zeit erinnern: Landstraßen, gesäumt mit Menschenmassen, durch die frisierte Kisten durchknallen, als gäbe es kein Morgen. Die kurze Gerade vor der Mischkulnig, der großen Tankstelle vor Velden, die enge Straße vor der Sabotnik, der kleinen Tankstelle im Nirgendwo, wurden schnell zum Treffpunkt der Sensationsjäger, die mit tausenden Smartphones alle Verkehrsübertretungen ihrer Helden filmten und gleich auf Facebook stellen mussten. Ausgerechnet vor dem Parkplatz in Schiefling ging es mit der Turbokurve los. Die Taktik ist immer die gleiche. Heranrollen und schauen, ob genügend Publikum anwesend ist (eigentlich immer), zurückschalten, so weit es geht, und Stoff. Wenn möglichst viel durchdreht, sobald der meist maßlos überdimensionierte Turbo einsetzt, gilt die Mission als geglückt. Burnouts im ersten Gang? Das ist sowas von 1990er. Die Härtesten lassen es auch noch im dritten Gang spulen.
Dass VW vor acht Jahren eingriff und das Treffen zu einer Art Konzernmesse umwandelte, war nichts weniger als die letzte Rettung für ein Monster, das nicht weiß, was es eigentlich will. All die Fressbuden und Bierstandln stehen in brutalem Kontrast zu den blankpolierten Markenpavillons, die die aktuellen Modelle und extra angefertigte Studien vorweisen. Zwei Extreme, die sich auf Dauer nicht vertragen. Doch meine Lüftungsgitter sind ein Hoffnungsschimmer. Der GTI ist auf dem besten Weg zum Klassiker, und genau in diese Richtung muss auch „der See“ gehen. Er hat eine bewegte Vergangenheit, und die soll er Bitteschön auch nicht leugnen. Aber es ist Zeit, einzusehen, dass man nicht mehr der Jüngste ist. Die Jugend ist nur cool, weil sie nicht ewig dauert. Wir alle werden älter, die Ansprüche verschieben sich. Die Verrückten mit den großen Turbos, die von der Exekutive nun über Youtube und Facebook verfolgt werden, wird es immer geben, aber wegen den Hooligans wird die Fifa auch kein Fußballspiel verbieten.
Mit meinem GTI war ich 2003 das letzte mal unten am See. Ob es mir fehlt? Es war einmal. Es war einmal schön.
Der GTI ist auf dem besten Weg zum Klassiker, und genau in diese Richtung muss auch „der See“ gehen. Er hat eine bewegte Vergangenheit, und die soll er Bitteschön auch nicht leugnen. Aber es ist Zeit, einzusehen, dass man nicht mehr der Jüngste ist. Die Jugend ist nur cool, weil sie nicht ewig dauert.