Jetzt versucht es Genesis über die Electric Avenue: Weil auch die Newcomer im Oberhaus wissen, wie schwer sich exotische Nobelmarken gegen die Platzhirsche aus dem deutschen Süden tun, wollen die Koreaner Audi, BMW und Mercedes genau wie Lexus an der Ladesäule ausstechen und aufgeschlossene Oberklasse-Kunden mit einem innovativen Stromer zum neuen Anbieter aus Asien locken. Die Rolle des Marken-Magneten spielt dabei der GV60, der seine Premiere eigentlich auf der Motorshow in New York hätte feiern sollen und der Pandemie sei Dank nun digital enthüllt wurde. Wenn er als Crossover mit knapp über 4,50 Metern Länge vermutlich zum Ende des Jahres für Preise wohl in der zweiten Hälfte der 60.000er auch nach Europa kommt, soll er Autos wie einen Audi e-tron, einen Mercedes EQC oder einen BMW iX3 alt aussehen lassen.
Die Chancen dafür stehen gut. Denn während der bereits angekündigte G80 mit E-Antrieb noch eine Konversion und deshalb mit vielen Kompromissen behaftet ist, baut Genesis beim GV60 auf die hoch gelobte E-GMP-Architektur der bürgerlichen Schwestern Hyundai und Kia, die eigens um das Akkupaket im Boden und die E-Motoren an den Achsen herum entwickelt wurde. Das verspricht nicht nur die effizientere Raumausnutzung, sondern vor allem die besten Ladezeiten im Segment. Schließlich ist die koreanische Plattform neben der von Taycan und e-tron GT die einzige am Markt, die schon mit 800 Volt lädt. Der Strom für 100 Kilometer sollte deshalb im besten Fall in weniger als fünf Minuten fließen und von zehn auf 80 Prozent werden es die Akkus in nicht einmal 20 Minuten schaffen.
Zwar lässt sich Genesis zur Konfiguration des GV60 noch keine Details entlocken, doch als noble Alternative zum Hyundai Ioniq 5 und dem Kia EV6 wird der elektrische Exot sicher nicht ganz unten einsteigen: Allradantrieb gilt deshalb als gesetzt, mindestens 300, eher 400 kW Motorleistung darf man getrost erwarten und 500 Kilometer Reichweite sollten auch drin sein. Und auch wenn sich Genesis sich nicht eben als sportliche Marke präsentiert, sollten die Koreaner sich nicht mit den 185 km/h der anderen Konzernstromer begnügen, sondern die 260 km/h des Kia EV6 GT zum Maßstab nehmen.
Mit dem GV60 machen die Koreaner im feinen Zwirn aber nicht nur technisch einen großen Schwung, sondern auch beim Design – vor allem im Innenraum. Wo G80 und GV80 noch arg barock auftreten und der ansonsten eher futuristischen Welt der Besserverdiener wirken wie mühsam entstaubte Grand Hotels aus dem letzten Jahrhundert, machen die ersten Fotos des GV60 einen erfrischend modernen Eindruck. Nicht umsonst bietet nun auch Genesis ein gekrümmtes Digital-Cockpit und ein entrümpeltes Armaturenbrett, in dem die verbliebenen Inseln mit Schaltern und Tastern funkeln wie in der Auslage eines Juweliers. Das buchstäbliche Highlight des Innenraums ist allerdings die halbe Kristallkugel, die als Steuerung für das Getriebe auf der schwebenden Mittelkonsole thront. Denn über sie wählt der Fahrer nicht nur die Richtung, sondern wenn das Auto parkt, wird sie zum Blickfang einer aufwändigen Lichtinstallation.
Cooles Design, in dieser Klasse eine bislang noch konkurrenzlose Antriebs- und vor allem Ladetechnik und endlich auch ein zeitgemäßes Innenleben – auch ohne dass man durch diese „Crystal Sphere“ in die Zukunft sehen kann, darf man wohl getrost davon ausgehen, dass der GV60 von allen Genesis-Modellen tatsächlich am meisten Aufmerksamkeit erregt und – freilich auf bescheidenem Niveau – das Zeug zum meistverkauften Modell der Marke hat.