Wer an ein Auto mit Sexappeal denkt, dem wird wohl eher weniger die Marke Kia in den Sinn kommen. Sollte sie aber, zumindest seit 2017.
Fotos: Eryk Kepski
Neulich an einer Ampel im wilden Westen. Ich: Shades auf der Nase, linker Arm ausm Fenster, rechte Hand am Lenkrad, standesgemäß auf zwölf Uhr, wie das hier Vorschrift ist in 1150 Wien. Sie, ebenfalls nach Vorschrift: Adidas-Leggins, weiße Sneaker, langes, ebenholzfarbiges Haar und natürlich einen guten Kilo Schminke im Gesicht, wenn nicht zwei. Oder, wie Generation TikTok sagen würde: eine klassische Dilara eben, die da über den Zebrastreifen stolzierte. Und mir dabei zuzwinkerte, was ein enormer Kraftakt gewesen sein muss, wegen der ganzen Mascara und so. Ob ihr mein 25er-Bizeps imponiert hat? Oder das dünne Haar? Das Auto kann’s jedenfalls nicht gewesen sein. Ist ja ein Kia.
Keine Frage, die Südkoreaner bauen grundsolide Autos. Mit technischer Ausgereiftheit, einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis und der 7-Jahres-Garantie bringen sie das Blut der rationalen Rechner in Wallungen, wie das sonst eigentlich nur Unterflackn im Zehnerpack zum halben Preis tun. Das nicht erst seit gestern. Legendär: Als bei der IAA 2011 Ex-VW-Chef Martin Winterkorn den damaligen Hyundai i30 (beide Marken gehören einem Konzern an) ganz genau inspizierte und, verblüfft von der Qualität der Lenkradverstellsäule, aktiv-aggressiv bei seinem Designer Klaus Bischoff nachfragte, wieso denn da nix scheppere, bei ihren Autos aber schon. Mittlerweile muss sich Herr Winterkorn aber nicht nur fragen, warum die Qualität bei Kia und Hyundai so hoch ist, sondern wieso sich Dilara zu einem „Mashallah, ur schönes Auto,“ hinreißen ließ, obwohl sie doch eigentlich nur auf AMGs steht. Wobei, der hat aktuell ohnehin andere Probleme …
Die Antwort jedenfalls: der Kia Stinger. Seit 2017 ist der am Markt, um mit seinem Stachel die deutsche Konkurrenz zu stechen, wie in unzähligen semi-kreativen Überschriften zu lesen war. Optisch tut die irgendwo zwischen Mittel- und obere Mittelklasse angesiedelte Schrägheck-Limousine das mit einer herrlich langgezogenen Motorhaube, einer fast schon lasziv abfallenden Dachlinie und einem Hintern, der mit den vier Endrohren offensichtlich wenig von Understatement hält. Dort neu seit dem Facelift: Das durchgehende Leuchtenband. Ohne geht heutzutage irgendwie nicht mehr.
Vor allem aber sticht der Stinger technisch zu: Da werkelt nämlich kein geschundener 1,5-Liter-Murl unter der Haube, der beim Antreiben der rund 1,9 Tonnen eine so schlanke Figur macht, wie der oberste Kollege aus dem anderen, nicht ganz so schönen Korea. Stattdessen gibt’s prestigeträchtige 3,3 Liter Hubraum, aufgeteilt auf sechs Zylinder in V-Formation und von zwei Turboladern mit Frischluft versorgt. 366 PS stehen am Datenblatt, in 5,4 Sekunden geht’s von 0 auf 100 km/h und mit einer serienmäßigen Höchstgeschwindigkeit von 270 km/h schüttelt man auf der deutschen Autobahn auch die ganzen Audi- und BMW-Fahrer ab, deren Kontostand kein Drivers-Package mehr zugelassen hat.
Überhaupt: Serienmäßig ist hier fast alles mit an Bord, lediglich bei der Lackierung lässt sich noch etwas Geld verballern. Was auch den Einstiegspreis von 75.990 Euro relativiert, der somit quasi der Maximalpreis ist. Für den gibt’s die feine Lederausstattung, das Harman Kardon-Soundsystem und eine Armada an Assistenzsystemen, wobei hier besonders der Tote-Winkel-Warner gefällt: Wirft man den Blinker an, liefert eine Kamera ein Bild vom Geschehen in diesem aufs halbdigitale Instrumentendisplay.
Außerdem: Ambientebeleuchtung, belüftete, beheizte und elektrisch verstellbare Vordersitze, 360-Grad-Kamera, Voll-LED-Scheinwerfer sowie der mit dem Facelift auf 10,25 Zoll angewachsene Touchscreen. Wer ein (kleineres) 4er Gran Coupé ähnlich ausstattet, der darf schon mit locker 10.000 Euro mehr rechnen. Und statt einer 7-Jahres- beziehungsweise 150.000-Kilometer-Garantie gibt’s auch nur einen feuchten Fistbump. Händedruck darf ja jetzt nicht mehr.
Fair enough: Der BMW ist unterm Strich schon etwas besser verarbeitet und ums Eck geht er auch geschwinder – das Fahrwerk des Stingers ist, ebenso wie die achtgängige Wandlerautomatik, eher gemütlich abgestimmt. In Anbetracht der ausstattungsbereinigten Preisdifferenz und dass der Stinger ohnehin mehr Reisewagen als Sportlimousine ist, ist das aber: egal. Denn mit seinem imposanten Auftritt hatte er uns ohnehin schon nach dem „Hallo“, um weiter einen Pop-Schlagersänger und Telegram-Gruppen-Inhaber zu zitieren, dessen Liebesleben sich gefährlich nahe am Paragraf 207b StGB Absatz 2 bewegt hat.
Kia Stinger
Hubraum: 3.342 ccm
Leistung: 366 PS
Verbrauch: 10,9 Liter
Drehmoment: 510 Nm/1.300 bis 4.500 U/min
Beschleunigung: 0 – 100: 5,4 s
Spitze: 270 km/h
Gewicht: 1.858 bis 1.905 kg
Preis: ab 75.990 Euro