Wenn schon nicht elektrisch, dann doch wenigstens als Plug-In-Hybrid, und falls der Autopilot tatsächlich noch auf sich warten lässt, müssen es zumindest Abstandsregelung und automatisierte Spurführung sein: Seit Jahren erzählen uns die Marktforscher, das Auto werde zum Smartphone auf Rädern, und die meisten Ingenieure setzen alles daran, diese Prophezeiung zu erfüllen. Aber nicht alle. Denn Männer wie Dirk Heilmann halten nicht viel vom Fortschritt und kämpfen deshalb tapfer dagegen an. Zumindest wenn es um ernsthafte Geländewagen geht.
Der deutsche Anlagenbauer ist so etwas wie der Fuhrparkmeister des britischen Milliardärs Jim Ratcliffe und soll für ihn den wahren Nachfolger des Defenders bauen. Denn der Boss des Industriegiganten Ineos ist mit der Fortschreibung der unendlichen Geschichte, so wie sie Land Rover im Sinn hat, alles andere als einverstanden. Weil für ihn der neue Defender vielleicht ein gutes SUV ist, aber ganz sicher nicht das richtige Auto für Abenteuer und Arbeit ist, hat er kurzerhand einen wahren Defender-Nachfolger auf die Räder gestellt. Benannt nach seiner Londoner Stammkneipe, in der dieser Plan an genau jenem traurigen Tag im Jahr 2016 gefasst wurde, als in Solihull der letzte echte Defender vom Band lief, ist dieser Grenadier mittlerweile fast fertig. Und um zu beweisen, wie ernst er es damit meint, bittet Heilmann schon ein halbes Jahr vor der Markteinführung in diesem Spätherbst zu ersten Fahrten mit dem Prototypen.
Der macht seine Jungfernfahrt natürlich im Dreck und fühlt sich dabei pudelwohl: Der 3,0 Liter große Sechszylinder-Diesel wirft 249 PS und vor allem 550 Nm in die Waagschale, die grobstolligen Pellen auf den 18-Zöllern beißen tief in den Schlamm und begleitet von einem sonoren Grollen wühlt sich der 2,5-Tonner unbeirrt voran. Allerdings muss der Fahrer dabei schon ein bisschen mitdenken und mitlenken, denn anders als der neue Defender oder die Mercedes G-Klasse ist der Grenadier ein ziemlich analoger Allradler und verkneift sich neuzeitliche Extras wie unterschiedliche Fahrprogramme für unterschiedliche Untergründe. Mehr als die drei Sperren und die Untersetzung gibt es deshalb nicht zu verstellen.
Auch wenn er mit einer Aluminium-Karosse auf einem Leiterrahmen, Starrachsen, Stahlfedern und konventioneller Kraftverteilung ganz ähnlich konstruiert ist wie der alte Defender, wirkt der Grenadier dabei abseits des Asphalts lange nicht so grobschlächtig wie der alte Defender, was auf einen gewissen Komfortgewinn auch auf der Straße schließen lässt. Trotzdem vermittelt er einem aber bei der Schlammschlacht deutlich mehr Gefühl fürs Gewühl, als das moderne SUV tun, die allein mit ihren elektronischen Finessen als Geländewagen durchgehen wollen.
Auch das Ambiente wirkt wie aus einer anderen Zeit. Zwar gibt es auch hier digitale Instrumente und einen Touchscreen in der Mittelkonsole. Doch erinnert das Cockpit des Grenadier mit seinem Griffschutz neben den Schaltern und dem zweiten Bedien-Paneel im Dach eher an eine Maschine aus dem Straßenbau oder vielleicht an ein Flugzeug als ein SUV aus der Neuzeit. Und auch die Sitze, die Haltegriffe, ach, das ganze Ambiente sind eher funktional als fancy. Wo der aktuelle Defender gerne den Dandy gibt, ist der Grenadier ein Dreckskerl und auch noch stolz darauf.
Verpackt ist das Ganze als eine je nach Sichtweise ziemlich frische oder reichlich freche Kopie des Defender – genauso kantig wie das Original, genauso schlicht und genauso praktisch. Und trotzdem ein bisschen weitergedacht. So gibt es nicht nur spürbar mehr Platz zwischen den Schultern und vor den Knien. Sondern auf der bekannten Schulterlinie unter den Fenstern prangt nun eine Reling, an der man spielend Ausrüstungsgegenstände befestigen kann, und wo der echte Defender die so genannten Alpine Windows im Dach hat, gibt’s bei seinem wahren Nachfolger separate Luken über den Sitzen und nochmal spezielle Befestigungen für sperriges Open-Air-Gepäck. Ach ja, und mit einer längs geteilten Heckklappe kann man trotz des außen angeschlagenen Ersatzrads auch ohne großen Kraftaufwand ein paar Kleinigkeiten in den Kofferraum schmeißen. Und zwar – so viel Tribut zollt Ineos der Zivilisation dann doch – sogar auch in engen Parklücken.
Dazu gibt’s eine klassische Leiter aufs Dach und als besonderen Clou kreisrunde Glubschaugen mit LED-Technik. Die sehen nicht nur klasse aus, sondern erfüllen auch die Vorgabe, man müsse das Auto jederzeit und überall problemlos reparieren können. Denn rechts und links und vorne und hinten sind sie absolut symmetrisch, so dass man nur halb so viele Ersatzteile braucht und die Leuchten leicht tauschen kann.
Der Grenadier folgt seinem Vorbild aber nicht nur im Auftritt, sondern auch im Aufbau: Genau wie der alte Defender ist sein geistiger Erbe aus Aluminium gedengelt auf einem Leiterrahmen montiert, unter dem sich traditionelle Starrachsen drehen. Und natürlich gibt es als Standard eine Geländeuntersetzung und einzeln zu sperrende Differentiale.
Dass Ratcliffe sein Geld nicht aus dem Fenster geworfen hat, merkt man nicht nur an der souveränen Gangart des Grenadiers, der sich hier tapfer durch dick und dünn wühlt. Sondern davon zeugen auch die Partner und die Lieferanten. Denn für die Entwicklung zeichnet sich niemand geringeres verantwortlich als Magna in Graz, der Sechszylinder-Diesel kommt genau wie der Reihensechszylinder-Benziner mit ebenfalls drei Litern Hubraum, 285 PS und 450 Nm und die achtstufige Automatik von BMW und auch die Fertigung zeugt von ernsthaften Absichten. Denn statt den Grenadier irgendwo im Auftrag fertigen zu lassen oder ihn in einem Hinterhof zusammenzuschrauben, hat Ineos von Daimler das Smart-Werk in Hambach übernommen. Ausgerechnet dort, wo bislang das urbanste Auto auf dem Markt vom Band gelaufen, beginnt jetzt die Produktion eines Autos, das mit der Stadt so gar nichts zu tun haben will. Und zwar in respektablen Stückzahlen – nicht umsonst plant Ineos erstmal 30.000 Autos im Jahr.
Zwar ist der Grenadier mit einem Startpreis von 59.000 Euro (D) geschickt positioniert: Deutlich teurer als die üblichen Pick-ups, auf die Geländewagenfahrer zuletzt ausweichen mussten, nur knapp über dem neuen Defender und weit unter der ohnehin nicht lieferbaren G-Klasse hat Ineos einen Smart-Spot im Schlamm gefunden. Doch wird es in unseren Breiten nicht genügend Gartenbauer, Bergretter und Expeditionsleiter geben, als dass die Fabrik ausgelastet wäre.
Aber Ratcliffe denkt weiter. Er will den Grenadier nicht nur in Europa verkaufen, sondern auch in Amerika und in Afrika – und dafür auch noch eine rustikalere Variante nachschieben, genau wie einen Pritschenwagen und eine Cargo-Version. Auch deshalb hat Ineos auf eine besonders robuste und reparaturfreundliche Konstruktion wert gelegt – so wie den alten Defender soll auch den Grenadier, zur Not, jede Buschwerkstatt wieder flottmachen. Oder eben der Bosch-Dienst, mit dem die Briten bei uns eine Kooperation haben, um das weitmaschige Vertriebsnetz etwas zu füllen.
Natürlich braucht man auch beim Grenadier trotzdem ein bisschen mehr zum Reparieren als einen Hammer und einen Schraubenzieher, und so ganz ohne Elektronik kommen die Briten nicht aus. Doch tatsächlich ist der Allradler hemdsärmeliger und rustikaler als jeder andere Neuwagen, der in den letzten Jahren auf den Markt gekommen ist. Das heißt allerdings nicht, dass sich die Briten dem Fortschritt ganz verschließen. Selbst über eine Elektrifizierung denken Sie nach. Allerdings nicht mit einer Steckdose. Weil es im Dschungel genau wie in der Steppe oder der Wüste so wenig Ladesäulen gibt, überspringen Sie die Batterie und wollen ihr Glück mit einer Brennstoffzelle von Hyundai versuchen.