Ist der neue Ibiza ein Polo-Killer?

Züchtet VW einen Polo-Killer?

Der neue Seat Ibiza weiß zu gefallen

Seat hat sich vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger im VW-Konzern gemausert: Nachdem die spanische Tochter lange Jahre nur mit schlechten Nachrichten in die Schlagzeilen gekommen ist, findet sie mit neuen Modellen zu altem Glanz zurück: Das Design gelungen wie eh und je, und mittlerweile auch technisch erste Klasse, haben Autos wie der Leon und mehr noch der Ateca die Spanier wieder auf das Radar der Kunden gebracht und die Bilanz ins Plus gedreht.

Von Thomas Geiger

„Doch das war nur der erste Streich“, sagt Entwicklungschef Matthias Rabe und bläst jetzt zur zweiten Etappe der größten Modelloffensive in der Firmengeschichte. Sie beginnt im Juni mit der fünften Generation des Ibiza. Der ist nicht nur das wichtigste Auto im Portfolio und deshalb für die Spanier von besonderer Bedeutung. Sondern er ist auch ein Vertrauensbeweis der VW-Manager, die Seat dafür als erster Marke im Konzern die neue Architektur MQB A0 überlassen haben. Noch bevor Polo, A1, Fabia und über ein Dutzend Derivate darauf aufbauen, darf Seat die Vorzüge einer ebenso flexiblen wie leichten Plattform und eines gut gefüllten Techniklagers nutzen.




Das könnte VW noch bitter bereuen. Denn der mit schnellen Linien und scharfen Kanten gezeichnete Ibiza sieht nicht nur leidenschaftlicher und verführerischer aus, als man sich einen Polo je vorstellen kann. Er fährt auch so. Egal, ob man einen vernünftigen 95 PS starken Dreizylinder unter der Haube hat oder einen vergnüglichen Vierzylinder mit 150 PS – nach den ersten Kurven ist man Feuer und Flamme für den kleinen Spanier und fühlt sich so leichtfüßig wie ein Flamenco-Tänzer. Denn die Lenkung ist präzise, das Fahrwerk stramm und die Gänge flutschen nur so durchs Getriebe. Nur die elektronisch programmierten Fahrprofile liegen so dicht beieinander, dass man sie auch hätte weglassen können.
Zwar setzt Seat viel auf Emotion, auf Spannung und Charakter. Doch wissen die Spanier aus leidiger Erfahrung, dass es für einen anhaltenden Erfolg nicht nur Charme, sondern auch eine gewisse Substanz braucht. Deshalb ist der neue Ibiza eben nicht nur ein feuriger Verführer, sondern auch ein solides und seriöses Alltagsauto, das auch mit nüchternen Fakten punkten kann. Nicht umsonst haben die Spanier zwar die Länge von 4,06 Metern belassen, das Auto aber knapp neun Zentimeter breiter gemacht und den Radstand um beinahe zehn Zentimeter gestreckt, so dass man auf langen Strecken spürbar souveräner und entspannter fährt, innen mehr Platz auf allen Plätzen hat und der Kofferraum um stolze 20 Prozent auf 355 Liter wächst. Und aus gutem Grund haben sie den Ibiza mit fast allen Technologien bestückt, die der große Konzernbaukasten hergibt.
So blickt man im Cockpit zum ersten Mal auf einen 8-Zoll-Touchscreen und nutzt Assistenzsysteme wie die Umfelderkennung oder den Tempomat mit Abstandsregelung. Aus der Front funkeln gleißend helle LED-Scheinwerfer, nach hinten schaut eine gestochen scharfe Rückfahrkamera. Und weil sich Seat der Connectivity verschrieben hat, gibt es mit Mirror-Link, Android Auto und Apple Carplay nicht nur drei Smartphone-Plattformen, sondern gleich auch noch eine kabellose Ladeschale und einen GMS-Verstärker, damit man während der Fahrt nicht durchs Netz fällt.
Unter der Haube geht es nicht ganz so innovativ zu. Denn dort wird der Segen der Plattformarchitektur zum Fluch und Seat bekommt nur Motoren, wie man sie aus dem Konzern schon kennt. Los geht es mit drei Dreizylinder-Benzinern, die aus ihrem einen Liter Hubraum 75, 95 oder 115 PS schöpfen, zwischen 4,7 und 4,9 Litern verbrauchen und bei Vollgas im besten Fall 195 km/h erreichen. Später im Jahr gibt es als Vorspiel für einen möglichen Cupra mit gut und gerne 200 PS einen 1,5-Liter-Turbo mit 150 PS und 215 km/h Spitze und allen Unkenrufen zum Trotz natürlich auch ein paar Diesel: Geplant sind 1,6-Liter-Triebwerke mit 80, 95 oder 110 PS und – dem Polo sei Dank – wahrscheinlich vom Start weg mit SCR-Katalysator. Allerdings schlägt im Ibiza auch schon das neueste Faible von Konzernchef Müller durch. Weil es mit der Elektrifizierung noch ein bisschen dauert, erst recht bei Seat, will die Zentrale verstärkt auf Erdgas setzen und macht den Ibiza auch da zum Vorreiter. Als erster Kleinwagen wird er ab Werk mit einem CNG-System angeboten, das den Dreizylinder-Benziner auf 90 PS bringt.
Schöner gezeichnet, lustvoller zu fahren, praktischer geschnitten und besser ausgestattet – ja, der fünfte ist der bislang beste Ibiza und lässt selbst den neuen Polo ganz schön alt aussehen. Doch hat der Aufstieg der Spanierer auch einen Haken. Den Preis. Denn man darf sich von dem ohnehin schon spürbar angehobenen Grundtarif von 14 240 Euro nicht täuschen lassen. Mit stärkeren Motoren und all den Finessen aus der Abteilung Assistenz und Infotainment ist man schnell bei 25 000 Euro – auch da steht der Ibiza dem Polo also in nichts nach.
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