Jochpass-Memorial Bad Hindelang
Old Toys, Young Boys
Staub ansetzen, das ist für Oldtimer nicht angesagt. Beim Jochpass-Memorial 2016 war das weder bei Sonnenschein noch bei Regen so. Bentley Blower & Co. machen ihrem siegreichen Racing-Erbe nach wie vor alle Ehre.
Text: Beatrix Keckeis-Hiller
Fotos: Bentley/Michelle Hirnsberger
Wenn von Deutschlands höchstem Pass die Rede ist, geht es – vergleichsweise – nicht allzu hoch hinauf. Einen kräftigen Steinwurf von der österreichischen Grenze (Bezirk Reutte, Tirol) entfernt erhebt sich die Oberjoch-Straße. Auf ganze 1178 Meter Höhe. Auch ist Bad Hindelang im Allgäu, zu dessen Einzugsgebiet besagter Verkehrweg gehört, eine Gemeinde, über den man nicht so leicht stolpert. Da will man hin. Wenn es einen Anlass dazu gibt.
Acht Kilometer, 104 Kurven
Dieser kann sein: eines, von der Premiere weg gerechnet, der ältesten Straßenrennen Europas. Das erste Race, für Motorräder und noch fern von Asphalt und Teer, wurde 1923 gestartet. Die Strecke, die heute über knapp acht Kilometer in 104 Kurven (davon sieben Spitzkehren), teilweise eng an überhängende Felswände geschmiegt, rund 360 Höhenmeter überwindet, war bis 1930 Schauplatz echter – ingesamt acht – Rennen, bei denen in der Folge auch Autos an den Start gingen.
Erst nach 24 Jahren Pause, während über lange Zeit die Joch- zur Lochstraße mutiert war, fielen – 1954 – zum neunten Mal Start- und Zielflagge. Bis zum zehnten Mal dauerte es weitere 28 Jahre. Von 1982 bis 1987 ging es schließlich wieder weiter mit dem Bergrennen, damals noch um echte Meter und Sekunden. Im Gegensatz zum Gros des Publikums hatten aber Umweltschützer wenig Freude damit. 1989 kamen noch 20.000 Zuschauer, um 270 Piloten aus dreizehn Nationen zum 16. und vorerst letzten Mal anzufeuern. Das nach jahrzehntelangem Hin und Her, unter engagiertem Einsatz von Racing-Größen wie Rudolf Caracciola, Hans Stuck, Walter Röhrl, Dieter Quester und Schorsch Maier, um nur ein paar bekannte Namen zu nennen.
Historisch & gleichmäßig
Erst seit 1999 sind Oldtimer rund um den Jochpasse wieder präsent. Im Rahmen einer Historic-Rallye und den heutzutage geforderten Gleichmäßigkeits-Fahrten lebt der Geist des einst international besetzten und teils auch gewerteten Bergrennens weiter und auf. Unter starker Beteiligung einiger jener Bentley-Typen und ihrer Nachfolger, die vor dem Zweiten Weltkrieg Siege – 1924, 1927, 1928, 1929 und 1930 – des 24-Stunden-Rennens in Le Mans eingefahren haben.
Wie sich das angefühlt haben könnte, das kann man nicht schildern, nur erfahren. Selbst von der Rückbank, pardon, einem der Fond-Sessel eines Bentley Blower Baujahr 1930 aus ist das eindrucksvoll und Ehrfurcht gebietend. Dabei gilt es erst einmal, das historische Renngerät in Gang zu setzen. Zündschlüssel umdrehen ist nicht, weil es gar kein Schloss dafür gibt. Startknopf drücken, das ja. Aber erst, wenn – das Getriebe im Leerlauf – der Hauptschalter umgelegt, die beiden Benzinpumpen in Gang gesetzt, die beiden Zündmagnete eingeschaltet und die – verzögerte – Vorzündung aktiviert sind.
Zwischen Kniescheibe und Tür
Ist der doppelt gezündete Kompressor-aufgeladene 4,5-Liter-Reihenvierzylinder-Sechzehnventiler (Nennleistungsangaben ab 170, Topspeed bis zu 200 km/h) dann, bei auf Normalposition gestellter Zündung, zu schnarrend-mahlend-pfeifend-fauchendem Leben erweckt, geht’s darum, den ersten Gang des unsynchronisierten, gerade verzahnten vierstufigen Getriebes möglichst geräuschlos einzulegen. Der dazugehörige Schalthebel ist „irgendwo zwischen Kniescheibe und Fahrertür eingeklemmt“, so ein Experte im Umgang mit dem Ur-Flying B. Das Gaspedal übrigens befindet sich in der Mitte, zwischen Kupplung (links) und Bremse (rechts). Die Handbremse ist rechts außen an der Karosserie angebracht.
Sind all diese Fahr-Vorbereitungen erfolgreich abgeschlossen, geht das Abenteuer erst richtig los: Man sitzt voll im Fahrtwind, schaut zu, wie der Fahrer auf den schmalen Gummis die Kurvenlinien in etwa so anpeilt, als würde er ein nicht besonders wendiges Segelboot steuern. Besonders spannend ist das mit dem streng gefederten, etwa 1,7 Tonnen schweren und rund viereinhalb Meter langen Roadsters angesichts des langen Radstandes – rund drei Meter – und der natürlich nicht servo-unterstützten Lenkung in eng-eckigen Kehren. Es fordert: volle Konzentration und vollen körperlichen Einsatz, fast wie auf einem Motorrad.
Staub, Regen, Teelicht
Hinten sitzend lernt man schnell, sich auf dem fauteuil-artig geschnittenen Fondsessel irgendwie zu verkeilen und sich an der Karosserie festzuklammern. Dazu muss man sich vor Augen halten, dass damals befestigte Fahrbahnen im heutigen Sinn noch nicht vorhanden waren. Das heißt Staub. Oder, wie es vor allem in Le Mans häufig vorkommt, Regen. Waagrecht. Das bedeutet mehr als eingeschränkte Sicht. Bei Tag. Bei Nacht erst recht. Die Lichtausbeute der Schutzgitter-bewehrten Scheinwerfer gleicht in etwa der eines Teelichts.
Ganz so wild waren die Bedingungen beim Jochpass-Memorial 2016 anfang Oktober nicht. Und es waren auch keine 24-Stunden über die Runden zu bringen. Einzig, dass sich das Wetter von spätherbstlicher Milde auf frühwinterliche Strenge bei nicht viel über null Grad und hartnäckigen Regen – es hat minutenweise sogar geschneit – umgestellt hatte. Dennoch standen die offenen Engländer, gemeinsam unter anderem mit einem Type R Continental und einer Reihe weiterer Old- sowie einer Schar bunt gemischter Youngtimer vier-, drei- und zweirädriger Bauart an der Startlinie. Sie alle absolvierten mit Engagement, Herz und Hingabe ihre Wertungsfahrten. Gestaubt hat es zumindest nicht.
Bentley-Boss am Steuer
Einer, der sich selbst bei, wie es der Brite ausdrückt, „nasty weather“ den Umgang mit Walter Owen Bentley’s ureigenem Blower akribisch verinnerlicht hat ist Wolfgang Dürheimer, seit 2011 CEO von Bentley Motors. Er ist, nach zwei intensiven Trainingslehrgängen in England, bei der Mille Miglia angetreten. Für ihn, der unter anderem auch für höchst entwickelte Hightech-Boliden wie den Bugatti Chiron verantwortlich zeichnet, ist das (Vor-)Gestern und Heute des Autoahrens keine Diskrepanz. Im Gegenteil. Er pflegt den Umgang mit dem Erbe im Geiste der Bentley Boys von damals: „Als ich 2011 zu Bentley kam, ist mir ziemlich schnell klargeworden, dass man hier nicht nur neue Autos bauen kann, um die Firma voranzutreiben, sondern dass man sich auch intensiv um die Heritage kümmern muss.“
Dürheimer holt weiter aus: „Ein Auto springt in unserer Sammlung besonders ins Auge: Das ist der Blower, das sogenannte Team Car, das die Erfolge und die Legende der Marke verkörpert. Dieses Modell wird gehandelt wie die Mona Lisa. Man muss sehr behutsam damit umgehen. Aber es ist zum Fahren da. Es wird nicht besser, wenn es herumsteht und nur von einer Handvoll Leute im Museum gesehen wird. Deshalb halten wir die Tradition des Fahrens aufrecht. Und es gibt ja auch keinen Bentley Owners Club, sondern einen Bentley Drivers Club. So ein Auto hat einen Anspruch darauf, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sonst wird es seinem Auftrag nicht gerecht.“
Sport in den Genen
Das gilt für den Bentley-Boss besonders in Bezug auf das Sport-Engagement in den internationalen GT-Rennserien. „Wir sind stolz auf unsere Vergangenheit und führen sie in die Zukunft, im Geiste grandioser Siege und außergewöhnlicher Persönlichkeiten.“ Die leibhaftige Überleitung der in der Vergangenheit angelegten Sport-Gene in die Racing-Aktualität und -Zukunft gestalteten die Bentley Boys bei der Abfahrt vom Jochpass: Das Flying B-Geschwader der 1930er-Jahre wurde angeführt vom 2016er-Racer, dem GT3 mit der Nummer acht.
Etliche der Bentley Boys von heute mögen vielleicht an Jahren nicht mehr jung sein (auf alle Fälle sorgten sie für hoch aktiven Nachwuchs!). Young at heart sind sie: Es gehört sich ganz einfach, Rennen und Rallyes mit den Old Toys auf Achse anzufahren. Aufgeladen wird höchstens bei Zusammenbruch. Das gilt genauso für Urlaubsreisen, zum Beispiel aus dem Bayerischen an die Côte d’Azur.
Alpenrallye & Memorial
Eine der nächsten Gelegenheiten, Bentley Blower & Co. auf selektivem Straßen-Terrain live zu erleben ist die 30. Kitzbüheler Alpenrallye von 7. bis 10. Juni 2017. Und fürs nächste Jochpass-Memorial gibt’s ebenfalls bereits einen – provisorischen – Termin: 4. – 8. Oktober 2017.