Kia EV6: Und die Konkurrenz schaut blöd

Sie waren mit dem Soul und dem Niro ganz vorbei dabei. Doch so richtig viel Beachtung wurde Kia an der Ladesäule bis dato nicht geschenkt. Aber damit könnte es jetzt bald vorbei sein. Denn um den Aufbruch zu illustrieren und den Anspruch auf eine Führungsrolle bei der Transformation der PS-Branche zu untermauern, haben sich die Koreaner nicht nur ein neues Image und ein neues Logo gegeben, sondern gönnen sich auch ein neues, elektrisches Flaggschiff, das Kia auf der Electric Avenue die nötige Aufmerksamkeit und damit endlich den Anschluss sichern dürfte. Denn wenn die Hyundai-Schwester im Herbst zu Preisen ab 43.990 Euro den EV6 von der Leine lässt, sehen selbst die neuen MEB-Modelle aus dem VW-Konzern ziemlich alt aus und sogar ein Mercedes EQS oder ein BMW iX scheinen nicht mehr unerreichbar. 

Genau wie sein „blaues“ Schwestermodell Ioniq 5 nutzt der EV6 eine neue koreanische Elektro-Architektur namens E-GMP, die ähnlich konsequent und flexibel ist wie der Wolfsburger Wunderbaukasten. Sie soll allein bei Kia noch sechs weitere Modelle tragen, die zusammen mit vier umgerüsteten Verbrennern den Verkauf der Akku-Autos bis 2030 auf knapp 900.000 Exemplare im Jahr steigern sollen. Nur dass die Koreaner damit bereits einen Schritt weiter sind und wie sonst nur der Porsche Taycan und Audi e-tron GT auf 800 Volt-Technik setzten und deshalb auch an der Ladesäule Bestmarken erzielen: Den Sprung von 10 auf 80 Prozent schaffen sie im Idealfall in 18 Minuten und der Strom für 100 Kilometer fließt in weniger als fünf Minuten. 

Dabei folgt auch der EV6 einer neuen Designsprache und will damit auf den ersten Blick auffallen. Doch wo der Ioniq 5 fast schon nach Bauhaus aussieht und sich kühl und nüchtern gibt, tritt der 4,68 Meter lange Kia sehr viel sportlicher und engagierter auf und wirkt ein bisschen wie ein aufgebockter Shooting Brake. Dazu gibt es einen Innenraum, der nicht nur reichlich Platz bietet für Mensch und Material. Schließlich misst der Radstand 2,90 Meter, der Kofferraum fasst 520 bis 1.300 Liter, es gibt jede Menge Ablagen, die sich im Gegensatz zum Ioniq 5 auch in einer wuchtigen Mittelkonsole finden, und obendrein noch einen kleinen Frunk. Sondern die Kabine verspricht obendrein ein gutes Gewissen: Nicht umsonst haben die Koreaner pro Auto über 100 PET-Flaschen recycelt, um daraus die Sitzbezüge zu weben. 

Vom Start weg bietet Kia den EV in mehreren Konfigurationen mit bis zu zwei Elektromotoren für Heck- oder Allradantrieb sowie zwei Akkus mit 58 kWh oder 77,4 kWh an. Daraus ergeben sich Systemleistungen von mageren 170 PS für das Einstiegsmodell bis zu imposanten 585 PS für die sportliche Speerspitze GT, die allerdings erst im zweiten Halbjahr 2022 kommt und den Preisrahmen auf für Kia-Kunden ungewöhnliche 69.990 Euro dehnt. Je nach Antriebs- und Akku-Paket kommt der Kia damit auf dem Prüfstand zwischen 394 und 528 Kilometer weit und eine intelligente Rekuperation sorgt dafür, dass die Diskrepanz in der Praxis nicht allzu groß wird. Denn wer nicht mit den Paddles am Lenkrad und den drei Fahrprofilen zwischen Kilometer langem Segeln und dem One-Pedal-Fahrern ohne Einsatz der Bremse wechselt, den regelt die Elektronik in Abhängigkeit von Abstand, Tempo, Topographie und Streckenbeschilderung mit maximaler Effizienz ein, lässt den Wagen mal ausrollen oder bremst elektrisch ab – und macht das so feinfühlig, dass sich selbst skeptische Umsteiger auf Anhieb wohlfühlen. 

Und auch der Fahrspaß kommt nicht zu kurz – und zwar nicht nur, weil der EV6 sportlicher gezeichnet und strammer abgestimmt ist als der Ioniq 5. Sondern schon die GT-Line mit 325 PS und Allrad beschleunigt in 5,2 Sekunden auf Tempo 100 und hat Auslauf bis 185 km/h. Und der echte GT kommt dann auf Sportwagen-Niveau: Schließlich sind Tempo 100 schon nach 3,5 Sekunden erreicht und den Stecker ziehen die Koreaner erst bei progressiven 260 km/h. Da müssen sich dann nicht nur die VW-Truppe und die eigene Schwestermarke warm anziehen, sondern auch das Tesla Model Y verliert plötzlich gewaltig an Charme. 

Zwar beweist Kia mit dem EV6 reichlich Engagement, verliert sich aber nicht im Eigensinn. Denn besten Beweis dafür liefert ein kleiner Adapter, der vorne im Frunk auf seinen Einsatz wartet. Wer den in die Ladebuchse steckt, kann unterwegs die Batterie anzapfen und so nicht nur den Rasenmäher im Schrebergarten antrieben oder sein E-Bike-Laden, sondern auch anderen Elektroautos mit weniger Reichweite eine kleine Stromspende geben. Besser lässt sich kaum beweisen, dass die Koreaner jetzt endlich Anschluss gefunden haben.

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