Es ist Montag morgen nach dem Concours d’Elegance in Pebble Beach und auf dem 17 Miles Drive genießen die Petrolheads noch immer die Parade der Supersportwagen: Mit den üblichen Gesten ermuntern sie die eiligen Exoten zu lautstarken Kickdowns, genießen den Klang der vielen Zylinder und füllen die sozialen Netzwerke mit den entsprechenden Videos. Doch bei diesem Lamborghini bleiben ihre Bitten buchstäblich ungehört. Denn was da blau, flach und für ein Auto aus Sant’Agatha bei allen Ecken und Kanten fast schon ungewöhnlich zahm über die Küstenstraße cruist, ist zwar als handgefertigtes Einzelstück noch exotischer als die Pagani und Bugatti, deren Zwölf- und Sechzehnzylinder gerade am Horizont verhallen. Und teurer ist es natürlich obendrein. Doch viel mehr als ein Surren ist dabei nicht zu vernehmen. Denn als erster Lamborghini fährt der blaue Blickfang allein und ausschließlich elektrisch.
Fotos: Hersteller
Nur ein paar Tage, nachdem Präsident Stephan Winkelmann das Showcar als Lanzador auf dem Boulevard der eiligen Eitelkeiten bei der Millionärsmesse „The Quail“ enthüllt hat, tastet sich der Vorbote für die vierte Baureihe und die elektrische Revolution bei den Italienern hier und heute ganz vorsichtig in die Zukunft und startet behutsam zur Jungfernfahrt.
Von der typischen Leidenschaft eines Lamborghini ist dabei freilich noch nicht viel zu spüren, schließlich dauert es noch stolze fünf Jahre, bis der Lanzador als „Ultra GT“ mit der Silhouette eines flach gedrückten SUV, den zwei Türen eines Coupé und dem Innenraum eines Shooting Brake die Lücke zwischen dem aufgebockten Huracán Sterrato und dem Urus schließen soll. Von den zusammen 1.000 kW oder nach alter Währung 1.360 PS und sicher mehr als 1.000 Nm ist deshalb noch nichts zu spüren und die Plattform, die als SSP mal alle Luxusmodelle des VW-Konzerns tragen soll, gibst bislang nur auf Papier.
Der Entwicklungschef Rouven Mohr schürt schon einmal die Erwartungen und verspricht ein nie dagewesenen Maß an Fahrdynamik. Das liegt zum einen an Quartettwerten wie einem Sprint ganz sicher unter drei Sekunden und einem Spitzentempo wahrscheinlich über 300 km/h. Aber es liegt vor allem an einer neuen einer Fahrdynamikregelung mit variabler Drehmomentverteilung und individueller Schupfregelung, die viel komplexer ist als bei Urus & Co und für zusätzlichen Nervenkitzel sorgen will: „Elektrifizierung ist für uns keine Einschränkung, sondern eine intelligente Möglichkeit, mehr Perfoamnce und mehr Fahrspaß zu erzielen“, macht Mohr Lust auf die Zukunft ohne Schall und Rauch.
Mördermäßige Reichweiten dürfe man dabei allerdings nicht erwarten. Schließlich ist und bleibe Lamborghini Sportwagenhersteller und deshalb der Diät verpflichtet. Rundenzeiten sind Mohr wichtiger als Reichweitenrekorde und wenn der Lanzador auf 500 Kilometer zwischen zwei Ladestopps käme, wäre er schon zufrieden. Erst recht, weil es bis dahin mehr als 800 Volt gibt und das Laden nur noch eine Sache von Minuten sein wird. Ja, an der Performance muss Entwicklungschef Rouven Mohr noch ein bisschen Feilen, bis der Lanzador sich tatsächlich nach Lamborghini anfühlt und das Fortissimo auf der Klaviatur der Emotionen beherrscht.
Doch das Package passt schon fast perfekt – und bietet den Insassen auf allen Plätzen ein ganz neues, ungewohntes Erlebnis. Für den Fahrer ist der Lanzador dabei noch vertraut. Denn trotz der Batterie im Boden kauert er in einer mit nachhaltig gegerbtem Leder ausgeschlagenen Sitzschale fast so tief wie in Huracan und fühlt sich wie immer bei Lamborghini als Pilot im Cockpit eines Kampfjets. Aber schon der Beifahrer wähnt sich zum ersten Mal bei Lamborghini wirklich wertgeschätzt. Nicht umsonst flammt vor ihm nun ein eigener Bildschirm auf und im Fußraum gibt’s Platz für eine Akten- oder Handtasche. Und hinten gibt es dann gar vollends ein neues Erlebnis für so einen Flachmann. Denn mit solider und von einem großen Glasdach noch unterstrichenen Kopffreiheit wähnt man sich eher im Urus, so geräumig geht es hier zu. Nur, dass die Sitze hier zumindest in der Studie auch noch verschiebbar sind und dazwischen eine Lücke fürs Surfboard bleibt – schließlich lockt links vom 17-Miles-Drive die Brandung des Pazifik. Und weil sich Freizeitgerät oder Abenteuerausrüstung nicht ganz so gut miteinander vertragen, gibt’s im Bug noch ein Staufach für die maßgeschneiderten Kleidersäcke.
Zumindest Mohr und sein Kollege, Designchef Mitja Borkert, werden aber weder für den Pazifikstrand noch für Partys viel Zeit haben in den nächsten Monaten. Denn auch wenn sich am Auftritt des Lanzador bis zur Serie nicht mehr viel ändern soll, brauchen sie noch fünf Jahre für den Feinschliff der Form, die Entwicklung der Elektroplattform und die Abstimmung des Antriebs – und mit jedem Tag am Strand wird die Wartezeit der Fans noch länger.
Natürlich weiß auch Entwicklungschef Rouven Mohr, dass Lamborghini mit dem Lanzador spät dran ist und der elektrische Viersitzer reichlich Konkurrenz haben wird, wenn er tatsächlich erst in fünf Jahren an den Start geht. Aber so richtig böse ist er drüber gar nicht. Erstens, weil er schließlich auf die Plattform warten muss, die unter der Federführung von Porsche gerade erst entwickelt wird. Und weil die fünf Jahre gut investiert sind, wenn dafür die Software anders als beim PPE-Baukasten aus Ingolstadt auf Anhieb stabil läuft. Und zweitens, weil die Kunden bis dahin vielleicht genügend Zeit haben, sich an die Vorstellung eines rein elektrischen und damit womöglich etwas leiseren Lamborghini zu gewöhnen. Genau wie die Petrolheads am 17-Miles-Drive in Pebble Beach.