Dichte Wälder, steile Hügel, über 20.000 Fasane und vor allem 55 Meilen durch den Matsch – zwar liegt Eastnore Castle nur zwei Stunden von London entfernt. Doch sind die Pfade auf dem englischen Landsitz abenteuerlicher als in Afrika, Südamerika oder Asien. Kein Wunder, dass die Estates nicht nur ein Hotspot sind für Hunter und Hiker, sondern dass auch Land Rover zu den Stammgästen zählt: Seit über 50 Jahren testen die Briten hier alles, was sich später auch in der Wildnis bewähren soll.
In den letzten Monaten sind sie wieder besonders oft aus Gaydon herüber gekommen – mit dem neuen Defender. Denn auch wenn er der wiedergeborene Klassiker mit dem Original keine einzige Schraube gemein hat, teilen sich die beiden Generationen doch den gleichen Anspruch: Kein Wagen kommt besser durch den Dreck als ein Defender. Das gilt bereits für den sogenannten 110er, mit dem die Briten im Sommer den Generationswechsel begonnen haben. Aber es gilt noch mehr für den 90er, den sie jetzt nachreichen. Denn um zwei Türen beraubt, in Radstand und Länge um 44 Zentimeter gekürzt und jetzt nur noch 4,32 Meter lang, ist er nicht nur rund 5.500 Euro billiger und startet deshalb bei 48.740 Euro (D). Sondern vor allem ist er handlicher, hat die bessere Geometrie im Gelände, wiegt ein bisschen weniger und kommt so noch besser durch dick und dünn. Und besser, vor allem bulliger aussehen tut er mit seinen gestutzten Proportionen obendrein.
Verschlammte Waldpfade hinauf auf die Hügel hinter dem Schloss, über regennasse Wiesen wieder hinunter, auf Biegen und Brechen durchs Unterholz oder durch jene Schlammlöcher, in denen sie einst für die Camel Trophy trainiert haben – rund um Eastnore Castle macht der Defender auf Hardcore und stoppt vor keinem Hindernis.
Wo man dafür früher allerdings hart arbeiten musste und fast so viel Erfahrung brauchte, wie der originale Defender an Jahren zählte, wird der Elektronik sei dank jeder Laie zum Profi in der Pampa: Das erweiterte Terrain Response System und ein Heer von Kameras, die den Wagen aus allen erdenklichen Perspektiven zeigen und selbst die Motorhaube oder das Bodenblech aus dem Bild retuschieren, machen Offroad-Abenteuer zum Kinderspiel. Egal wie dick der Dreck da draußen auch ist – viel mehr als den kleinen Finger und den großen Zeh braucht man nicht, um den Defender durch Matsch und Gatsch zu bringen – und gehöriges Zutrauen in die Elektronik, die den Rest schon richten wird. Und dass der Testwagen mit Stahl statt Luft gefedert ist, nicht auf Knopfdruck die Stelzen ausfährt und deshalb bisweilen über den Schlamm schleift wie ein Hängebauchschwein in der Suhle, ficht den Fahrer nicht an: So stabil wie der Defender gebaut ist, bekommt nur der Boden Schleifspuren, nicht das Blech.
Einmal mehr freut man sich dabei an den Kontrasten in der Kabine: Dankbar greift man zu den rustikalen Haltebügeln, die so stabil wirken, dass man den Karren daran wahrscheinlich sogar aus dem Dreck ziehen könnte. Und beruhigt nimmt man zur Kenntnis, dass die offenen Muttern und Schrauben und Verkleidungen nicht nur cool aussehen, sondern auch so solide wirken, dass ihnen selbst ein Dampfstrahler nichts anhaben kann. Und den dürfte man nach dieser Dreckspartie brauchen. Und zugleich starrt man erfreut auf die digitalen Instrumente und den großen Touchscreen, auf dem man den Wagen bis ins Detail konfigurieren kann, genießt mit beiden Händen fest am Lenkrad die Sprachsteuerung und ist dankbar, dass einem die Online-Verbindung die Wartezeit verkürzt, wenn sich doch mal einer aus dem Team festgefahren hat. Natürlich aus eigener Dämlichkeit und nicht wegen einer Unpässlichkeit des Defenders.
Während einem die Fahrt durch Dick und Dünn verdächtig vertraut vorkommt und man sich am Steuer allenfalls darüber wundert, wie wenig man neuerdings fürs Durchkommen tun muss, zeigt sich der Defender auf der Straße von einer ganz neuen Seite: Dort entpuppt sich der Land Rover dort jetzt als überraschend komfortabler, leichtgängiger und familienfreundlicher Geländewagen und stempelt den ebenso lauten wie lahmen und vor allem ungehobelten Vorgänger gar vollends zum Oldtimer. Flüsterleise, butterweich und sanft wie die Galloway-Rinder hinter dem Gatter gibt er den gemütlichen Giganten, mit dem man endlos dem Horizont entgegen rollen könnte.
Treibende Kraft dabei sind die neuen Ingenium-Motoren, die Land Rover erst mit Mild- und im neuen Jahr sogar mit Plugin-Hybrid-Technik ausrüstet: Ein 2,0-Liter-Diesel mit 200 oder 240 PS, ein 2,0-Liter-Benziner mit 300 PS oder ein Reihensechszylinder mit drei Litern Hubraum und 400 PS. Damit sind Geschwindigkeiten möglich, von denen Defender-Fahrer bislang nur träumen konnten. Denn mit den optionalen 22-Zoll-Felgen knackt das Topmodell erstmals die magische 200.
Zwar muss man beim neuen 90er auf etwas Platz verzichten, selbst wenn die Briten zumindest auf dem Papier, einem Mittelsitz wie einst beim Fiat Multipla sei Dank, bis zu sechs Personen in die zwei Sitzreihen quetschen. Und das Kofferraum-Volumen schrumpft von 972 bis 2.277 auf 397 bis 1.563 Liter. Aber dafür wühlt sich der Defender 90 nicht nur noch besser durch den Dreck, sondern sieht auch noch besser aus. Denn mit den zurechtgestutzten Abmessungen passen die Proportionen besser und rücken den Neuling wieder näher ans Original, das anfangs schließlich auch nur mit drei Türen angeboten wurde. Wen auch das nicht mit der Geschichte versöhnt, der muss noch ein bisschen warten. Dann gibt es auch wieder einen neuen, alten Defender. Der heißt zwar Grenadier und kommt von Ineos statt Land Rover, ist aber so nah am Original, das die Briten sogar einen Gerichtsprozess gegen die Nachahmer angezettelt haben.