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Lexus ES 300h: Paralyse durch Analyse

Als Premiummarke hat man’s in Kontinental-Europa nicht leicht. Zumindest, wenn an der Front weder vier Ringe noch ein blauweißer Propeller oder ein Stern thront. Ein Blick fernab (oder: fernost) der deutschen Hersteller zahlt sich allerdings aus.

Auszahlen übrigens im wahrsten Sinne des Wortes – auch, wenn das im Falle des Lexus ES anfangs gar nicht so offensichtlich war. Der startet bei knapp unter 54.000 Euro, und zwar als 300h. Eine andere Motorisierung gibt’s sowieso nicht. Also: Gibt es schon. Nur eben nicht hier. Der europäische ES-Kunde muss sich immer auf das Abenteuer CVT einlassen. Und auf einen Vierzylinder, der von einem Elektromotor unterstützt wird. Insgesamt leisten sie 218 PS, in 8,9 Sekunden geht’s von 0 auf 100 km/h.

2,5 Liter Hubraum und vier Zylinder: Das einzige Triebwerk für den europäischen Markt.

Oft wird man das nicht ausreizen wollen. Da lässt das CVT-Getriebe die Drehzahlen in nepalesische Höhen schnalzen und dort bleiben die dann auch, was einen weniger noblen Eindruck hinterlässt. Das Wesen eines stufenlosen Getriebes eben (wobei speziell jene von Toyota sich schon deutlich verbessert haben). Kann man mögen, muss man aber nicht.

Wobei das 2,5-Liter-Triebwerk ja generell sehr kultiviert ist. Oder der Motorraum ist einfach fantastisch gedämmt. Nichtsdestotrotz: Die Kombination Hybrid und CVT sorgt zwar im urbanen Gebiet für Verbrauchsvorteile, auf der Autobahn dreht sich das Blatt dann aber. Und immer nur in der Stadt herum zu gurken würde ja gar nicht dem Wesen des Lexus ES entsprechen.

Im Lexus ES lebt es sich zu gemütlich, um nur kurze Strecken zu fahren.

Dafür sind Fahrwerk und Lenkung viel zu komfortabel ausgelegt. Zweitere ist angenehm leichtgängig, gibt vielleicht etwas zu wenig Feedback, vor allem, wenn man es ambitionierter angeht. Wobei das auch ein Segen sein kann: Vom Frontantrieb bekommt man so nämlich kaum was mit, zumindest an der Lenkung. Richtig einladen zu einem sportlichen Fahrstil tut der Lexus ES 300h freilich nicht. Wobei das, wenn schon nicht der Antrieb, dann das Fahrwerk schon hergeben würde: Unebenheiten werden von diesem rigoros weggebügelt, dennoch hält es die rund 1,7 Tonnen schwere Fuhre gut in der Spur.

Tolle Verarbeitung, hochwertige Materialien, aber ein wenig unübersichtlich gestaltet.

Zu längeren Reisen verführt auch das Interieur des oberen Mittelklasse-Modells aus Fernost. Viel Leder, tolle Verarbeitung, ergonomische Sitzposition. Allerdings machen die vielen Knöpfe den Innenraum etwas unübersichtlich, cleanes Design geht anders. Nicht falsch verstehen: Wir freuen uns darüber, wenn ein Auto noch über analoge Elemente verfügt, das macht die Steuerung in der Regel intuitiver. Dass man diese aber sauberer anordnen kann, zeigt etwa BMW.

Wobei sich im Lexus ES 300h nicht alles als intuitiv herausstellt. So braucht beispielsweise die Bedienung des Infotainmentsystems über das Touchpad am Mitteltunnel etwas Übung. Stichwort Infotainment: Dass das Display (kein Touch) trotz der großen, schwarzen Fläche recht klein ist, was ein wenig seltsam aussieht, ist kein Produktionsfehler, sondern der niedrigeren Ausstattungslinie geschuldet. Andere Hersteller handhaben das allerdings genauso.

Große Fläche, kleiner Bildschirm.

Apropos andere Hersteller: Wie schneidet er jetzt eigentlich ab, der Lexus ES300h? Stemmt er sich gegen die deutschen Platzhirsche, gegen Audi A6, BMW 5er und Mercedes E-Klasse? Den Verkaufszahlen in Österreich zufolge eher nicht: Wurden im Jahr 2019 319 Lexus neuzugelassen, so konnte BMW etwa 368 Modelle verkaufen – und zwar pro Woche.

Auch ein schöner Rücken …

Natürlich: Andere Märkte, etwa der US-amerikanische, sind da nicht so eindeutig. Und wir sind es auch nicht. Tatsache ist, dass der Lexus ES sicherlich kein besseres Auto als ein BMW 5er ist, um gleich bei den Münchnern zu bleiben. Der Innenraum ist nicht ganz so fein, das Fahrgefühl nicht ganz so aktiv, Front- statt Hinterradantrieb und über den Antriebsstrang lässt sich streiten. Allerdings muss der Lexus ES 300h auch gar nicht besser sein! Womit wir wieder beim Preis sind.

Knapp unter 54.000 Euro also. Dafür bekommt man auch schon einen 5er BMW, nämlich den 150 PS starken 518d. Zum Vergleich eignet sich der – und alle anderen Varianten – nur mäßig. Am ehesten passt wohl der 520i: Ein Vierzylinder mit 184 PS, die nur an die Hinterachse gehen. Eine Sekunde schneller auf Tempo 100, rund 1.000 Euro teurer. Solange man es bei der Basisausstattung belässt.

Tut man aber nicht. Weil die Basisausstattung eher mau ist. Rückfahrkamera, Ledersitze, Lendenstütze, Fernlichtassistent, Glasdach, Sitzheizung – alles Ausstattungen, die beim 5er BMW extra Geld kosten. Alles Ausstattungen, die beim Lexus ES 300h serienmäßig mit an Bord sind.

Stattet man den 520i gut aus – nicht voll, sondern gut – landet man schnell bei 90.000 Euro. Ein vollausgestatteter Lexus ES300h kostet hingegen knapp 70.000 Euro. Ob der BMW wirklich so viel besser ist, dass das den Aufpreis rechtfertigt, darf bezweifelt werden. Viel auszustatten gibt’s beim Japaner übrigens nicht. Während deutsche Hersteller primär mit einer Vielzahl von Extras und Paketen, die einzelne Extras zusammenfassen, arbeiten, gibt es beim ES 300h ganz simpel vier Ausstattungslinien: Business, Executive (unsere), F-Sport und President. Dann, wenn gewünscht, noch eine Metallic-Lackierung – fertig.

Klar, das hat nicht nur Vorteile. Auf individuelle Bedürfnisse kann nicht ganz so stark eingegangen werden, logisch. Dafür macht das System den Autokauf sehr viel einfacher, Entscheidungen werden schneller getroffen. Paralyse durch Analyse? Nur bei der Wahl des Abendessens!

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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