Eigentlich kennt Mercedes-Chef Ola Källenius aktuell nur eine Richtung: Nach oben! Mit immer mehr Glanz und Gloria, Leistung, Lack und Leder will er Mercedes mehr denn je zur Luxusmarke machen und eher mit Luis Vuitton konkurrieren als mit Audi oder BMW. Nicht umsonst probt er selbst bei der Elektrifizierung den Aufstieg und strickt um den EQS gerade eine ganze Familie vornehmer Stromer. Doch nicht bei allen Mercedes-Kunden sitzt das Geld so locker, dass der Preis zur Nebensache wird. Niemand weiß das besser als Dirk Hipp. Er ist Projektleiter für die kleinen Vans und seine Kunden zählen zu den wahrscheinlich preissensibelsten am ganzen Markt.
„Denn egal ob Handel, Handwerk und Gewerbe oder junge Familie: Wer einen Citan oder eine V-Klasse kauft, der rechnet gründlich und schaut genau aufs Geld,“ sagt der Manager, der deshalb wahrscheinlich auch den spitzesten Rotstift aller Projektleiter hat – und umso stolzer auf den neuen Citan ist. Denn auch wenn der wieder auf dem Renault Kangoo basiert, will der diesmal ein echter Mercedes sein und geht deshalb beim Auftritt und mehr noch beim Ambiente seinen eigenen Weg – und macht jetzt den nächsten großen Schritt.
Denn sein noch mit der üblichen Tarnfolie beklebter Dienstwagen ist ein EQT, mit dem er die elektrische Revolution beim Daimler auf breitere Füße stellen will. Während die anderen EQ-Modelle vergleichsweise elitäre Autos vor umweltbesorgte Besserverdiener sind, will Hipp mit den elektrisierten Kleintransportern die große Masse ansprechen: Wenn es im Herbst erst den e-Citan und dann im Winter mit etwas mehr Finesse und vornehmerer Materialauswahl den EQT gibt, sollen sie deshalb zu den mit Abstand billigsten Elektro-Modellen im Mercedes-Portfolio werden, verspricht der Projektleiter. Und besonders geräumig sollen sie auch noch sein. Schließlich wird es auch einen langen Radstand geben und eine Version mit sieben Sitzen, so dass EQA und EQB plötzlich vergleichsweise knapp wirken.
Auch die E-Transporter stammen aus der Kooperation mit den Franzosen und in Hipps Prototyp prangen sogar noch französische Warnhinweise, doch ist der Projektleiter stolz auf ein paar Errungenschaften, die auf den Einfluss der Schwaben zurückgehen. Die Wärmepumpe für die effiziente Klimatisierung zum Beispiel hätte es ohne den Druck aus Stuttgart angeblich genauso wenig gegeben wie den 80 kW-Lader, mit dem der EQT an der Gleichstromsäule binnen 40 Minuten den Hub von zehn auf 80 Prozent schafft. Und die gesamte Ladelogik mit Mercedes Me Charge natürlich auch nicht.
In Fahrt bringt den EQT und den Citan, den es für fleißige Handwerker auch als Kastenwagen mit Akku geben wird, ein 90 kW-Motor, den ein Akku mit einer Kapazität von 45 kWh speist. Im Wagenboden so montiert, dass es weder Einschränkungen bei der Beladung gibt noch bei der variablen Bestuhlung mit bis zu sieben Einzelsitzen für die Langversion, liefert sie den Strom für 300 Kilometer. Verglichen mit den anderen EQ-Modellen bei Mercedes ist das zwar eher mager, aber da regiert dann wieder der Rotstift. Und verglichen mit der Konkurrenz sieht sich Mercedes gut gewappnet: Beim Hauptgegner VW gibt’s aktuell gar nichts Vergleichbares, weil der Caddy noch nicht einmal als Plug-In angeboten wird, genauso wie sein Kölner Cousin Transit Connect. Und bei den Stellantis-Modellen wie Opel Combo & Co liegt die Reichweite bei 280 Kilometern.
Wie alle Elektroautos surrt auch der EQT bei der ersten kurzen Testfahrt im Prototypen flott davon und die Stille des Stromers ist in einem Fahrzeug wie diesem noch angenehmer, weil die Verbrenner hier sonst für gewöhnlich etwas lauter sind als in B-Klasse & Co. Nimmt man den Fuß vom Gas, rollt der EQT munter aus und wird im besten Fall sogar zum Segler. Es sei denn, man legt den Automatikhebel zur Seite und drückt ihn zwei Stufen nach unten. Dann rekuperiert die E-Maschine mit bis zu 43 kW und der Kleinbus lässt sich über lange Strecken mit einem Fuß fahren.
Auch der kräftige Punch der E-Maschine tut dem EQT gut, erleichtert das Überholen und bringt ihn weiter nach vorn. Nur auf der Autobahn geht ihm dafür umso schneller die Puste aus: Denn mehr als 130 km/h lässt die Elektronik mit Rücksicht auf die Reichweite nicht zu. Aber das ist bei der Konkurrenz auch nicht anders, rechtfertigt der Projektleiter diese Entscheidung. Zumal Pampersbomber wie dieser eher in der Stadt gefahren werden als auf der Langstrecke. Außer natürlich, wenn es in den Urlaub geht. Aber da haben die Kunden ja für gewöhnlich Zeit.
So lautstark Hipp das elektrische Doppel als Preisbrecher an der Ladesäule anpreist und vollmundig vom „Gamechanger“ spricht, der viele Zweifler in die neue Welt holen wird, so leise wird er, wenn man ihn nach konkreten Zahlen fragt und bittet stattdessen um Geduld. Gut, dann rechnen wir eben selbst und rücken den Stromer irgendwo zwischen den Citan Tourer für 22.959 Euro und den EQA, der als bislang günstigstes E-Modell aus Stuttgart für 49.660 Euro in der Liste steht. Wäre doch gelacht, wenn am Ende also keine Drei an erster Stelle stehen würde.