Es ist Showtime in Los Angeles und die PS-Branche fährt noch einmal groß auf. Nach den eher mauen Messen in Frankfurt und Tokio feiern sie in sunny California noch einmal eine unbeschwerte PS-Party und lassen sich die Stimmung weder von Ideologien noch von Absatzsorgen vermiesen. Denn so zerrissen die Branche gerade auch sein mag und so mühsam sie ihren Weg zwischen der alten Welt und einer neuen Zeit sucht, teilen Petrolheads und Weltverbesserer in Kalifornien schlicht die Begeisterung für schöne, starke und schnelle Autos – ganz egal, ob sie jetzt mit Sprit befeuert werden oder mit Strom fahren. Deshalb werden hier neue Stromer genauso gefeiert wie SUV, die statt eines Akkus noch einen fetten Achtzylinder unter der Haube haben.
Von Thomas Geiger
Der unumstrittene Star der Show steht wie kein anderer für diesen nicht immer ganz so einfach nachvollziehbaren Spagat: Denn Ford macht den Mustang zum Mach-E und zeigt das erste elektrische Muscle Car. Ab Ende 2020 zu Preisen ab 46.900 Euro auch bei uns lieferbar und mit einer Reichweite von bis zu 600 Kilometern auf Tesla-Niveau bekommt der Sportwagen jetzt zwar eine SUV-Silhouette, will aber wie jeder Mustang seit 55 Jahren trotzdem „fast and fun“ sein und kommt deshalb mit bis zu 465 PS und einem Sprintwert von weniger als vier Sekunden.
Wo Ford die Fans elektrisieren will, bedienen vor allem BMW und Mercedes das andere Extrem und schmeicheln mit neuen M- und AMG-Modellen der Fraktion Bleifuß. Und weil Amerika das Mutterland der SUV ist, sind die Sportwagen diesmal von der schwereren Sorte: Aus dem US-Werk Spartanburg karren die Bayern deshalb X5 M und X6 M mit einem V8 von maximal 625 PS und einem Spitzentempo von 290 km/h nach Kalifornien und aus Tuscaloosa kommen die 63er-Varianten von GLE und GLS. Sie gibt es mit bis zu 612 PS plus 22 PS elektrischer Boost-Leistung des Mild-Hybriden und einem Laufpass für bis zu 280 km/h.
Dazu kommen noch zwei weitere PS-Protze aus Garching – denn BMW nutzt die LA Autoshow auch für die Publikumspremiere des bis zu 625 PS starken und 305 km/h schnellen M8 Grand Coupé und legt für den M2 zum Ende der Laufzeit noch einen CS auf. Dafür kitzeln sie aus dem Sechszylinder weitere 40 PS, spendieren dem Coupé ein paar mehr Karbonteile und schicken den Kraftmeier jetzt mit 450 PS und einem Top-Speed von 280 km/h ins Rennen. Und als wäre das noch nicht genug, haben sie auch noch den auf 3.000 Exemplare limitierten Mini John Cooper Works GP im Gepäck, der mit 306 PS und 265 km/h zum sportlichsten Mini wird, der je eine Straßenzulassung hatte.
Audi versucht sich in Los Angeles in einem eigenwilligen Spagat und bedient gleich beide Extreme – mit einem schnittigen e-tron Sportback für die Schöngeister unter den Gutmenschen und einem 600 PS starken und bis zu 305 km/h schnellen RS Q8 für die Genießer aus der vermeintlichen Steinzeit des Automobils.
Schnelle Stromer, starke SUV und überdrehte Kleinwagen – einen Steinwurf von Hollywood entfernt buhlen auch die Autos wie Stars um Aufmerksamkeit. Da tun sich gewöhnliche Neuheiten entsprechend schwer: Selbst der Porsche Taycan 4S, mit dem die Schwaben den Einstiegspreis für ihren elektrischen Erstling um rund 50.000 auf 105.607 Euro drücken, wirkt da fast vernünftig – selbst wenn 530 PS und 250 km/h noch immer hinreichend viel Vergnügen versprechen.
Also bleiben am Ende nur zwei Premieren aus Deutschland, die halbwegs Bodenhaftung haben – und eine davon ist auch noch eine Studie. Denn VW enthüllt in Los Angeles den ID Space Vizzion und gibt mit dem knapp fünf Meter langen und 340 PS starken Raumkreuzer einen Ausblick darauf, wie in zwei Jahren ein elektrischer Passat Variant für bis zu 600 Kilometer Reichweite aussehen könnte. Die andere Neuheit ist das Zweier Grand Coupé vom BMW, das als handliche Limousine in Bausch und Bogen ab dem Frühjahr gegen Autos wie den Mercedes CLA oder den viertürigen Audi A3 antreten will.
Während Ford mit dem Mustang Mach-E das Aufgebot der Amerikaner dominiert und die Deutschen in ihrer zweiten Heimat an der Westküste tapfer dagegen halten, wirkt der Auftritt der Asiaten ungewöhnlich blass. Einzig Toyota trifft den California Spirit und stellt für Weltverbesserer einen RAV4 als Plug-In-Hybrid auf die Bühne, während Genießer mit der Serienfassung des Lexus LC500 Cabrio umgarnt werden, das ab nächstem Jahr gegen den offenen Achter oder das S-Klasse Cabrio antritt.
Mazda dagegen bringt lediglich den bei uns schon bekannten CX-30 in Stellung, Nissan gönnt der lustlosen Limousine Sentra ein Facelift, und aus Korea kommen immerhin der neue Kia Seltos, der als kleines SUV unterhalb des Sportage auch gut in unser Programm passen würde, sowie der Hyundai Vision T, mit dem die Schwestermarke dem Weg für einen neuen kompakten Geländewagen mit Plugin-Hybrid ebnet und zugleich ein neues Familiengesicht einführt.
Egal ob Vollgas, Volumen oder Verführung – einmal mehr steht die Autoshow in Los Angeles für den Zeitenwechsel in der PS-Branche – und beweist, dass der in beide Richtungen funktioniert: Denn genau so, wie Ford mit dem Mustang Mach-E die Brücke von der alten in die neue Welt schlägt, so zeigt Tesla-Chef Elon Musk, dass der Brückenschlag auch anders herum klappt und sich auch die neuen Spieler auf die alten Regeln einlassen können. Denn am Rande der Messe will er seinen zukunftsfesten Antrieb zum ersten Mal ein Auto stecken, das für viele der Inbegriff des alten Eisens ist – und enthüllt seinen ersten elektrischen Pick-Up.