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Mini ALL4 Racing – Probefahrt in der großen Sandkiste

Das Dakar-Gerät in der großen Sandkiste

Was Kamele und Dakar-Autos, der Mini ALL4 Racing des X-Raid Teams mit dem serienmäßigen Mini Countryman und mentale Power mit dem Sieg der Dakar Rally alles gemeinsam haben, durfte Motorblock im Gespräch, hinterm Steuer und am gefürchteten Beifahrersitz erkunden.

Text: Philipp Stalzer
Es war eintauchen in eine andere Welt. Nicht nur geografisch. Das erste Mal in der unwirtlichen Umgebung einer Wüste. Die Sonne brennt, schon um 9 Uhr Früh. Noch sind die Temperaturen erträglich, auch wenn man bereits in den schwarzen Rennanzug geschlüpft ist. Heute ist es soweit, ich darf das erste mal ein Auto im Sand bewegen. Aber es ist nicht irgendein Auto. Es ist ein Rennauto. Eines, das für eine der härtesten Motorsportveranstaltungen der Welt konzipiert wurde. Ich werde nun tatsächlich selbst in Ansätzen erfahren, wie hart es ist die Dakar Rally zu fahren. 9.111 Kilometer durch die Länder Argentinien, Chile und Bolivien zurück Nach Argentinien. Eine riesige Schleife durch Südamerika. Dass es noch viel, viel anstrengender ist der Beifahrer auf dieser Wahnsinnsveranstaltung zu sein, erfahre ich später ebenfalls am eigenen Leib. Doch daweil bin ich am Fahrersitz, aufgeregt und voll konzentriert, stehe auf der Kupplung des Mini ALL4 Racing, klopfe mit einem kurzen Deut den Rückwärtsgang in die sequentielle Schaltung und verlasse das Servicezelt gefühlvoll. Jetzt sehe ich die weite der Wüste vor mir, doch begreifen kann ich die Distanzen nicht. Es fühlt sich trotz der festgezurrten H-Gurte, dem engen Schalensitz und dem heißen Rennoverall plötzlich nach purer, grenzenloser Freiheit an.

Büffel in der Wüste

Es ist nicht viel Zeit, sich auf die Fahreigenschaften des Mini ALL4 Racing einzugrooven. Der erste Eindruck: hmm, fühlt sich eigentlich an wie auf Schnee. Die Konturen des Sandes sind manchmal tückisch und täuschen optisch, aber in den Geschwindigkeitsbereich wo es gefährlich werden könnte, wage ich mich sowieso nicht vor. Ab der Abfahrt ist das Kupplungspedal arbeitslos, die ersten paar Gangwechsel gehen recht patschert von der Hand. Wer ein sequentielles Getriebe vorsichtig bedient, tut ihm mehr Schlechtes als Gutes. Die 320 PS aus dem weitgehend serienmäßigen 3-Liter Reihensechszylinder Dieselmotor (im BMW Motorenwerk in Steyr gefertigt) sind ein eher theoretischer Wert – was beim vorankommen in tiefem Sand, Dünen auf und ab, der maßgeblichere Wert ist das Drehmoment von rund 800 Newtonmetern bei 2100 Umdrehungen. Learning des Tages also: der Gangwechsel funktioniert am geschmeidigsten, wenn der Motor gerade voll auf Last ist. Das ist er aber nicht sehr häufig, denn der Respekt vor dem 2-Tonnen Gefährt und dem eigenartigen Bremsverhalten in der Wüste ist groß.

Warum so schwer, fragen Sie? Nun ja, der Mini ALL4 Racing hat mit einem Mini Countryman bis auf die Frontscheibe, die Scheibenwischer, die Türgriffe, Scheinwerfer, Heckleuchten und der prinzipiellen Karosserieform nicht viel gemeinsam. Der Mini ALL4 Racing hat eine völlig aus Karbon-Kevlar gefertigte Karosserie, die mit einem Sicherheits-Käfig aus Stahlrohren stellenweise verklebt wird. Unter der knapp geschnittenen Fahrgastzelle ist „unterflur“ ein Reserverad, der Werkzeugkasten, Antriebswellen und sonstiges Verschleißmaterial lokalisiert – das auf dem wilden Ritt 9000 Kilometer durch die Wüste nicht nur zum Spaß da ist. Genauso wenig wie der 385 Liter Diesel fassende Kraftstoffbehälter, denn Tankstellen mit Viva-Shop und Carwash sind auch selten am Weg der Dakar Rally, bei einem Verbrauch auf schnellen Etappen von rund 40 Litern auf 100 Kilometern ist die Menge wichtig. Wohl von den Kamelen abgeschaut, überlebensnotwendige Flüssigkeit im großen Stil zu bunkern. Ja, deshalb so schwer, deshalb der Respekt, deshalb ist manchmal richtig viel und stetig Gas nötig um sich durch tieferen Sand zu wühlen. Kurz überlege ich, welches Bauteil des Autos ich zur Zeit am wenigsten sein möchte und denke dabei an die Federbeine. War da eben ein Längsrille? Drübergebrettelt, als ob nix gewesen wäre. Und schon ist unser Date vorbei – leider viel zu kurz um sich näher kennenzulernen. Aber ein Eindruck ist entstanden, und der lässt ehrfürchtig auf die Fahrer blicken.

Jetzt sehe ich die weite der Wüste vor mir, doch begreifen kann ich die Distanzen nicht. Es fühlt sich trotz der festgezurrten H-Gurte, dem engen Schalensitz und dem heißen Rennoverall plötzlich nach purer, grenzenloser Freiheit an.

Der kühle Kopf im heißen Gefecht

Wer aber in Wahrheit die „Hosn an hat“ in so einem kuscheligen Wüstenflitzer wie dem Mini ALL4 Racing, der sitzt am rechten Sesserl. Bei der „Rallye“ wie wir sie kennen, sprich WRC, nix anderes. Auch da ist der Fahrer nur der dressierte Aff’ und Lenkraddreher, wos langgeht flüstert ihm der Co-Pilot und trägt somit die noch größere Verantwortung über Erfolg und Nicht-Erfolg. Wie hart die 2-wöchige Dakar für alle Teilnehmer, aber besonders für den Beifahrer ist schildert Michel Périn (Gewinner Dakar 2014), während er versucht uns Journalisten die Navigation mittels eines Schriebs näherzubringen, wie er auf der Dakar Rally täglich aktuell vom vorausfahrenden Organisationsteam ausgegeben wird und von A nach B führt.

Schlaf ist absoluter Luxus, denn nach jeder Tagesetappe bekommt der Beifahrer ein neues Roadbook für den folgenden Tag ausgehändigt, das beim Ritt im Höllentempo über Stock, Düne und Stein genauestens wiedergegeben werden können muss. Eine Rolle spielen Distanzen, Erkennungspunkte (ein Baum, ein Bachbett, ein Reifen, ein Wegweiser) und Gefahrenwarnungen wie ein Abgrund, eine Stufe im Gestein, eine Furche. Michel hat ein System mit Farben, mit dem jedes im Roadbook verzeichnete Ereignis intuitiv und in kürzester Zeit begreifbar wird um es an den dahinbolzenden Fahrer rechtzeitig weiterzugeben. Akribische Vorbereitung ist jeden Tag bis spät in die Nacht nötig, um nicht nur „competitive“ zu sein – auch für die eigene Sicherheit ist es unumgänglich. Umso erstaunlicher, dass sich nun Nasser Al-Attiyah als Fahrer neben mich setzt – ihm soll ich nun den Weg ansagen, mit meinem zaghaft und mit sorgenrunzeln auf der Stirn ausgearbeiteten Roadbook. Zum Glück kennt er den Weg bereits

Die irre Fahrt über die Dünen

Als Sieger der Dakar 2015 ist er exaktere Anweisungen gewöhnt, befürchte ich. Was solls, diesmal auf der anderen Seite des Wagens festgezurrt versuche ich, die gefahrenen Kilometer, meinen Schrieb, die sich nähernden markanten Punkte auf der Strecke und meine Anweisungen für Nasser über das Interkom zu synchronisieren. Spätestens nach der dritten Kurve in ungefähr doppeltem Tempo wie ich es mir zugetraut habe bin ich heillos überfordert, die Kilometer stimmen nur noch ungefähr und ohne geübten Blick aus dem Auto, auf den Bordcomputer und ins Roadbook in koordinierter Reihenfolge sehe ich absolut keine Chance, sinnvolle Hinweise zu geben. Auf den Beifahrersitz setze ich mich nur gerne, solang die Verantwortung beim Fahrer bleibt – was nach meinem peinlichen Versuch den Weg daherzustammeln zum Glück so ist. Nasser peitscht den Mini ALL4 Racing ohne Gnade durch die mittlerweile in der Mittagshitze sengend heißen Sanddünen. Ganz nebenbei fragt er „Are you ready to jump?“. Darauf reagiere ich ungefähr so wie wenn der langjährige Schwarm des Fräuleins endlich um ihre Hand anhält und schon fegt der Mini über eine Kante, Achterbahn ein Kindergeburtstag dagegen. Bei der Landung nochmal viele Grüße ans Fahrwerk, denn an die Insassen wird nicht viel weitergegeben. Neckisch erkundigt sich Nasser, ob ich eh Spaß habe und legt nochmal einen Zahn bei Speed und Waghalsigkeit zu. Düne rechts rum, links rum, querfeldein. Unglaublich, bei welchen Manövern der schwere Mini nicht mal ansetzt zu kippen – der tiefe Schwerpunkt sorgt für Sicherheit und gute Performance. Gleichzeitig ziehe ich vor Nasser Al-Attiyah meinen imäginären Hut – den Helm behalte ich aber noch auf. Dieser Mann gewann nicht umsonst die Dakar 2015. Welch ein Erlebnis, nun zu wissen wie es sich in den Kisten anfühlt, wenn sie in der Fernsehübertragung in der Wüste dahinzischen und mächtig Staub aufwirbeln – und wie willensstark, fit und tapfer alle Beteiligten 2 Wochen lang durchgehend sein müssen. Und wo bleibt jetzt das Mini Countryman „Dakar“ Sondermodell mit dem 3 Liter Dieselmotor?




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