Von 0 auf 100 in 8,1 Sekunden und selbst mit Bleifuß nicht mehr als 150 km/h – Herzrasen kommt bei solchen Fahrleistungen eher selten auf. Es sei denn, man erzielt die nicht beim Ampelsprint und auf der Autobahn, sondern auf einem Feldweg und einem Pfad im Wald. Denn je herausfordernder die Strecke, desto schneller verschwimmen die Relationen und zwischen dicht stehenden Bäumen oder auf losem Untergrund ist Geschwindigkeit plötzlich ziemlich relativ.
Darauf setzt jetzt auch Opel: Um zu beweisen, dass Elektroautos zwar keine Emissionen mehr haben, deshalb aber trotzdem reichlich Emotionen schüren können, schicken die Hessen den Corsa-e in diesem Sommer gemeinsam mit dem ADAC auf die Rallye-Piste. Acht Wochenenden lang soll er sich im eigens kreierten ADAC Opel e-Rallye Cup bewähren und reichlich Staub aufwirbeln für die saubere Sache.
Dabei haben sich die Entwickler aus dem Motorsportteam an eine Routine gehalten, die sie zuletzt bei über 100 Rallye-Versionen des kunterbunten Adam gelernt haben: Sie haben von der Rückbank bis zur Türverkleidung alles aus dem Serienauto ausgebaut, was im Rennen überflüssig ist. Und sie haben dafür alles eingebaut, was den Corsa stabiler, sicherer und schärfer macht. So gibt es in der nackten Blechbüchse nicht nur einen Überrollkäfig und Schalensitze mit Hosenträgergurten, die dem Fahrer fast die Luft rauben. Sondern es gibt auch ein neues Fahrwerk, besonders griffige Reifen und zugunsten höherer Kurvengeschwindigkeiten ein Sperrdifferential an der Vorderachse. Selbst die ohnehin bestens geschützte Batterie haben sie noch einmal mit einem massiven Alublech verkleidet. Und zwischen den Sitzen ragt bald einen Meter hoch eine Handbremse heraus, die den Corsa-Piloten zum Champion der Drifter macht. Weil sie buchstäblich einen längeren Hebel hat, dafür aber nicht einrastet, kann man den Kleinwagen damit förmlich herumreißen. Fuß vom Gas, einmal ziehen, dann wieder voll drauf – so fährt er keine Kurven mehr, sondern geht begleitet von einer blauen Fahne qualmenden Gummis quasi direkt ums Eck.
Dazu haben sie allerdings noch ein paar elektrische Neuerungen eingeführt: Damit der Fahrer mehr Gefühl fürs Tempo bekommt und die Zuschauer mehr Spaß, gibt’s einen speziellen Sound, der auch jenseits des gesetzlich vorgeschriebenen Tempos durch Feld, Wald und Wiese surrt, und es gibt ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept, das von einer speziellen Befüllung für den Feuerlöscher bis zum Warnlicht reicht, das Fahrer, Streckenposten und Zuschauer über den Stand der Dinge beim Antrieb informiert.
Nur am Antrieb selbst hat Opel nichts geändert. Um Kosten zu sparen und die Komplexität zu reduzieren, bleibt es bei der 136 PS-Maschine an der Vorderachse und dem 50 kWh-Akku im Wagenboden. Selbst die digitalen Instrumente hat Opel aus der Serie übernommen, wenngleich die im weitgehend ausgebeinten Cockpit jetzt ein bisschen verloren wirken.
Trotzdem kostet der Rallye-Corsa mit seinen knapp 60.000 Euro etwa doppelt so viel wie das Serienauto – die Einschreibegebühr von beinahe 8.000 Euro für die acht Rennwochenenden noch nicht mitgerechnet. Aber erstens ist er damit noch immer ein Schnäppchen verglichen mit Rennwagen etwa aus der Welt der Tourenwagen oder erst Recht aus elektrischen Rennserien wie der Formel E oder Extreme E. Und zweitens sind auch die Betriebskosten – dem wartungsfreien Elektroantrieb sei Dank – nur halb so hoch wie bei einem gewöhnlichen Rennwagen: „Bei uns ist man für eine Saison inklusive Auto für deutlich weniger als 100.000 Euro dabei“, sagt Motorsportdirektor Jörg Schrott. „Das macht den elektrischen Rallye-Corsa zu einem wahren Breitensportler.“
Der zweite Grund, weshalb der Corsa der ideale Einstieg in den elektrischen Motorsport ist, liegt an seiner einfachen Beherrschbarkeit. Denn sobald man wieder Luft bekommt im engen Korsett der Hosenträgergurte und sich in dem schraubstockengen Schalensitz wenigstens ein bisschen bewegen kann, erleben selbst Laien am Rallye-Lenkrad den sonst eher braven Corsa als Spaßgranate. Während der Soundprozessor eine schöne Show für die Zuschauer inszeniert, freut sich der Fahrer an den 260 Nm, die vom ersten Moment an zur Verfügung stehen und das ewige Spiel zwischen Hacke und Spitze, zwischen Gas und Bremse zu einem leidenschaftlichen Vergnügen machen. Denn kaum hat man den Corsa quer in eine Kurve hinein gebremst und ihn wieder gerade ausgerichtet, schießt er auch schon wieder davon. Kein Wunder, dass sie eigens eines Regen-Modus entwickelt haben, bei dem das Drehmoment zugunsten der Traktion auf Knopfdruck reduziert wird, weil sonst die Rennreifen hoffnungslos überfordert wären.
Das zweite Fahrprofil, das man neben dem standardmäßigen Attacke-Modus auswählen kann, ist „Eco“ und im Rennsport eigentlich verpönt. Doch auf den Verbindungsetappen werden die ADAC-Piloten nicht umhinkommen, ihre Leistung deutlich zu drosseln. Denn wo der Strom auf der Straße im besten Fall für mehr als 330 Kilometer reicht, liegt der Aktionsradius im Rennbetrieb nur bei 60 Kilometern. Und selbst wenn Opel die Boxengasse eigens für die Rennwochenende zum Ladepark umbaut, will dort zwischendurch keiner einen Stopp einlegen. Denn Siege werden auf der Strecke gewonnen, nicht an der Steckdose.
Zwar tut sich elektrischer Motorsport beim breiten Publikum noch schwer, die Generation E fremdelt ohnehin mit der vermeintlich sinnfreien Nutzung eines Fortbewegungsmittels als Sportgerät und im Fernsehen ziehen die Stromer auch nur bedingt. Doch zumindest bei den Teams kommt der Dreckskerl mit der reinen Seele offenbar gut an, sagt Opel-Motorsport-Direktor Schrott: Alle 20 Autos aus der ersten Serie sind mitsamt der Startplätze verkauft, und in Rüsselsheim reifen schon die Überlegungen, noch einmal einen Schwung Autos umzubauen.