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Petrolhead unter Strom

Mit keinem anderen Visionär lassen sich die Autobosse derzeit so gerne ablichten wie mit Mate Rimac. Denn obwohl gerade einmal 33 Jahre alt und aus der PS-Diaspora Kroatien, will er als europäische Antwort auf Elon Musk die etablierten Pkw-Hersteller fit machen für den Wettbewerb mit Tesla & Co.

„Tut mir leid, uns sind die Besucherausweise ausgegangen.“ Zwar haben sie mittlerweile eilig ein neues Empfangsgebäude neben das Tor seiner Zentrale in Sveta Nedelja gezimmert, doch wer in diesen Tagen zu Mate Rimac möchte, der muss mit einem digitalen Stempel auf dem Smartphone vorliebnehmen. Denn der kroatische Selfmade-Unternehmer ist eine der gefragtesten Größen in der Automobilindustrie und Männer wie VW-Chef Herbert Diess hoffen fest darauf, dass er den alten Konzernen helfen kann, nicht den Anschluss an Newcomer wie Tesla zu verlieren. Deshalb landen neuerdings verdächtig viele Lear-Jets auf dem beschaulichen Flughafen im nahen Zagreb, deshalb gehen in Sveta Nedelja mehr Gäste ein und aus, als es Besucherausweise gibt, und deshalb vergeht kaum ein Monat, in dem nicht eine neue Rimac-Meldung über die Börsen-Ticker flimmert: Es gibt lukrative Aufträge von Aston Martin, Hyundai oder Pininfarina, Formel-1-Veteran und Öko-Investor Nico Rosberg zählt zu den Freunden des Hauses, Porsche stockt seine Beteiligung von 15 auf 24 Prozent auf, und nach wie vor hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der VW-Konzern den Kroaten die Marke Bugatti übertragen will. Denn wenn es jemand schafft, aus dem stärksten Serienauto der Welt einen elektrischen Überflieger zu machen, dann – so offenbar der Hintergedanke – Mate Rimac, den sie nicht umsonst alle mit Tesla-Chef Elon Musk vergleichen.

Der Mann, dem dieser Trubel gilt, lässt sich seinen plötzlichen Ruhm nicht anmerken. Er kommt in Chinos und der firmeneigenen Trainingsjacke zum Termin, begrüßt seine Gäste in jenem Deutsch, das er auf der Flucht vor dem Jugoslawien-Krieg in der Grundschule in Frankfurt gelernt hat, und wirkt ein bisschen so, als sei er gerade aus nämlicher Garage ein Dorf weiter gestolpert, in der natürlich auch seine Geschichte begonnen hat. Dabei ist das jetzt ziemlich genau zehn Jahre her, statt einer Garage nutzt Rimac heute ein Dutzend Hallen und Bürokomplexe, die an sechs Standorten im Umland der kroatischen Hauptstadt verteilt sind, und vom Einzelkämpfer ist er zum Chef von mittlerweile 1.000 Mitarbeitern geworden. Tendenz steigend, wenn er denn nur die vielen Leute finden würde, die er so dringend braucht. 

Erfindergeist hatte Rimac schon immer, nicht umsonst hat er es nach seiner Rückkehr nach Kroatien im Jahr 2000 mit einer Art Datenhandschuh in einem Schülerwettbewerb bis in die Weltmeisterschaft gebracht. Und fürs Auto hat Rimac so geschwärmt, dass er seine Matchbox-Modelle als kleines Kind sogar mit aufs Klo genommen hat und in seiner Frankfurter Zeit Stammgast auf der IAA gewesen ist. Doch zum Elektroantrieb kam er nur durch eine Panne: Denn nachdem ihm bei einem Driftrennen der Sechszylinder seines Dreier BMW um die Ohren flog und ihm das Geld für den fünf Liter großen V8 aus dem damaligen M5 fehlte, hat er kurzerhand die E-Maschine eines Gabelstaplers eingebaut und dabei gelernt, wie viel Spaß das explosive Drehmoment eines Elektromotors machen kann. Und wie wenig Chancen konventionelle Autos dann plötzlich haben. Denn nach ein paar Blamagen und viel Feintuning hat er mit seinem zuletzt 600 PS starken E-Dreier Wochenende für Wochenende neue Gegner düpiert und es so zum Youtube-Star gebracht. Dadurch sind irgendwann auch ein paar autoverrückte Araber auf ihn aufmerksam geworden und haben ihn im Frühjahr 2013 ermutigt, sein eigenes Elektroauto zu bauen. Und zwar nicht irgendeines, sondern das stärkste und schnellste seiner Zeit. Und als wäre das nicht schon Herausforderung genug, haben sie ihm dafür nur wenig Zeit gelassen. „Zur IAA im September musste es fertig sein“.

War es eine Panne, die ihn auf den Elektroantrieb gebracht hat, war es eine Beinahe-Pleite, die ihn zum Hoffnungsträger für die etablierte Autobranche machte. Denn mitten in der Arbeit an diesem elektrischen Erstling mit 1.000 PS und mehr als 350 km/h Spitze haben ihn seine Investoren im Stich gelassen, erinnert sich Rimac an eine Zeit, in der seine Firma von der Hand in den Mund gelebt hat: Um den Laden am Laufen zu halten, die Löhne zahlen und das Projekt doch irgendwie noch zu Ende bringen zu können, haben sie nebenbei Entwicklungsaufträge von anderen Unternehmen angenommen, und dabei schnell gemerkt, dass man damit mindestens genauso gutes Geld verdienen kann. „Damals waren wir geschockt, aber in der Rückschau war es das Beste, was uns passieren konnte.“ 

Denn die Arbeit für andere hat sich gelohnt. So konnte Rimac nicht nur tatsächlich jenen C1 bauen, immerhin acht Exemplare verkaufen und sich so zum ersten Automobilhersteller auf dem Balkan seit dem unrühmlichen Ende der Staatsmarke Yugo aufschwingen. Sondern vor allem hat er damit den Grundstein gelegt für das wahrscheinlich erfolgreichste Start-Up des jungen Landes und einen Entwicklungshelfer, der nur zehn Jahre nach der Gründung in einem Atemzug genannt wird mit altgedienten Giganten wie Magna, Conti oder Bosch.

Zwar arbeitet er mittlerweile am Nachfolger des C1, der noch den Arbeitstitel C2 trägt und natürlich wieder das stärkste und schnellste Elektroauto der Welt werden soll, wenn er diesmal unter einem griffigeren Namen noch in diesem Jahr mit fast 2000 PS auf die Straße kommt. Doch längst machen die Aufträge aus Stuttgart, aus England oder Korea viel mehr aus am Arbeitspensum in Sveta Nedelja. Und den Pininfarina Battista als technischen Zwilling des C2 bauen sie hier ja auch noch. 

Wenn man Rimac fragt, wo er seine Firma in fünf Jahren sieht, sind es deshalb auch dann nur 100 oder 150 Autos, die er pro Jahr bauen will. Schließlich mag er seinen Kunden ja keine Konkurrenz machen. Aber dafür sollen Woche für Woche dutzende Lastwagen voller E-Komponenten aus seinem Werk rollen: Batterie-Steuerungen, Ladeelektroniken und Motorteile, mit denen die Elektroautos und Hybrid-Modelle von Hyundai oder Kia, Aston Martin oder Porsche im Rennen gegen Tesla & Co besser bestehen sollen. 

In dieser Vision wird der junge Shootingstar aus der PS-Diaspora am Balkan zwar tatsächlich zum Entwicklungshelfer, der die Giganten aus der alten Autowelt fit machen kann für das Ringen mit dem elektrischen Pionier aus Kalifornien. Doch persönlich scheut der Kroate den Vergleich mit Elon Musk, selbst wenn er den Amerikaner für seinen Wagemut bewundert und für die Konsequenz, mit der er seine Ziele verfolgt. 

Denn nicht nur, dass Rimac eine Generation jünger ist als Musk und von dessen Pionierarbeit profitiert. Sondern anders als Musk ist der Kroate auch kein Missionar und kein bedingungsloser Verfechter der Elektromobilität. Im Gegenteil: „Das Elektroauto ist nicht die Lösung“, sagt der 33-jährige und genießt sichtlich die Verwunderung, die er damit auslöst. „Denn natürlich würde man so eine Aussage nicht von jemandem erwarten, der von dieser Technologie lebt.“ Doch nicht zuletzt der fast völlige Stillstand der Welt während der Pandemie mache deutlich, dass saubere Autos allein das Klima nicht retten werden. Denn obwohl die Fahrleistungen dramatisch zurückgegangen seien in den letzten Monaten, habe sich der CO2-Ausstoß kaum geändert. „Wer wirklich was für die Umwelt tun will, der sollte lieber weniger Fleisch essen, satt seinen Verbrenner auszumustern,“ sagt der Firmenchef und bekennt sich freimütig zu dem Achtzylinder in seinem BMW M5, mit dem er jeden Tag zur Arbeit kommt. Dafür hat er dem Fleisch gleich ganz abgeschworen, lebt völlig vegan und hat sich nur widerwillig davon überzeugen lassen, dass die Autos seiner Luxusmanufaktur vielleicht doch Ledersitze haben sollten. Und wo er gerade bei provozierenden Positionen ist, singt er auch noch ein Loblied auf die Kernenergie: Denn es sei doch viel besser, mit einer kleinen und greifbaren Menge giftigen Materials umzugehen als mit Abermillionen Tonnen von CO2, die auf lange Sicht genauso gefährlich seien für den Globus. „Da schießt sich vor allem Deutschland gerade ins Knie mit seiner vermeintlichen Energiewende.“

Seine Vision für eine bessere Welt sind deshalb nicht unbedingt Elektroautos. Sondern langfristig sieht er das Heil in intelligenten Mobilitätskonzepten, die voll vernetzt sind, autonom und führerlos fahren und die Umwelt schon dadurch entlasten, dass es keine nutzlosen Leerfahrten mehr gibt – egal, von welcher Kraft sie nun angetrieben werden. Nur für Supersportwagen wie seinen C2 oder eben auch einen Bugatti ist selbst in dieser schönen neuen Welt noch ein Platz. „Denn solche Autos wird es immer geben, genau wie Rennpferde. Selbst wenn seit 100 Jahren niemand mehr Reiten muss, um von A nach B zu kommen.“ 

In der großen Maschinerie der Mobilität mag auch Mate Rimac bei allem Ruhm nur ein kleines Rädchen sein. Doch in seinem kleinen Kosmos in Kroatien dreht er an einem größeren Rad und will die Welt in Eigenregie ein bisschen besser machen: Noch in diesem Jahr beginnen vor den Toren Zagrebs die Bauarbeiten am 200 Millionen Euro schweren Rimac Campus, mit dem der Kroate einer ganz anderen Firma nacheifert. Denn die neue Zentrale, zu der neben der Produktion und dem Entwicklungszentrum mit dann immerhin schon 2.500 Arbeitsplätzen auch ein Museum, ein Hotel und ein Bio-Bauernhof gehören werden, ist weder inspiriert vom schmucklosen Tesla-Hangar in Hawethorn bei Los Angeles, noch von der VW-Zentrale in Wolfsburg oder den Backstein-Baracken von Porsche in Zuffenhausen. Sondern wenn es überhaupt etwas Vergleichbares gibt, dann allenfalls der Apple-Park in Cupertino. Zwar muss sich Rimac bis zum Umzug noch zwei Jahre gedulden. Hoffentlich werden auch die Jungs im improvisierten Empfangsgebäude von Sveta Nedelja die Zeit zu nutzen wissen – und bis zum Umzug schon mal ein paar neue Besucherausweise beschaffen. 

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