Irgendwann ist auch mal gut! Fünf Jahre hat Polestar jetzt am Rockzipfel von Volvo gehangen und alte Designentwürfe aufgetragen. Doch nachdem das schwedische Start-up mit chinesischem Geld seine ersten 67.000 Autos gebaut und immerhin schon 25 Märkte erschlossen hat, will sich die Tochter nun von der Mutter emanzipieren und geht mit dem Polestar 3 ihren eigenen Weg.
Zumindest stilistisch. Denn was da künftig als erstes SUV der Marke zu Preisen ab 89.900 Euro (D) gegen BMW iX, Audi e-tron und Mercedes EQS SUV antritt, hat zum ersten Mal tatsächlich einen ganz eigenen Look: Doppelte Klingen im Tagfahrlicht ersetzen Thors Hammer aus Volvos Zeiten, die „Smart Suite“ als Konsole für ein Dutzend Sensoren rückt anstelle des Kühlergrills und die für ein SUV ungewöhnlich flache Silhouette wird zu einer eigenwilligen Mischung aus Geländewagen und Shooting Brake. Und als würde der 4,90 Meter lange Newcomer damit nicht schon genügend Blicke fangen, gibt’s auch noch eine ausgeklügelte Aerodynamik mit einem Flügel nicht nur am Heck, sondern auch quer über die Motorhaube. Die leiten die Luft so geschickt, dass der cW-Wert auf respektable 0,29 sinkt.
Dazu gibt es einen nordisch kühlen und nüchternen Innenraum mit großzügigen Platzverhältnissen: Weil Polestar den Radstand auf fast drei Meter gestreckt und zugleich der Versuchung widerstanden hat, eine dritte Sitzbank in den Fond zu quetschen, lümmelt man in der zweiten Reihe wie in der ersten Klasse – nur die Kopffreiheit ist mit der dicken Batterie im Boden und dem flachen Dach allenfalls durchschnittlich. Auch das ist wahrscheinlich ein Grund, weshalb das Panoramadach serienmäßig eingebaut wird – neben der Polarstern-Grafik, die darin nächtens so schön schimmert.
Das Cockpit zeigt den üblichen Dreiklang aus einem kleinen Bildschirm hinter dem Lenkrad, einem Head-Up-Display dahinter und einem riesigen, mit Google-Software bestückten Tablet daneben, und weil Polestar seine sportlichen Wurzeln nicht vergessen hat, sind die Sitze nicht nur etwas stärker geneigt, sondern auch tiefer konturiert und entsprechend voluminös.
Zwar rühmt Marken-Chef Thomas Ingenlath den Dreier als ersten echten Polestar, der von vorn herein als eigenständiges Modell entwickelt wurde. Doch so ganz emanzipiert hat sich Polestar freilich noch nicht von Volvo. Sondern natürlich nutzt die junge Tochter die Technik der Mutter und bedient sich deshalb beim kommenden XC90. Das gilt für Ausstattungsmerkmale wie den Innenraum-Radar, der Kleinkinder oder Hunde vor dem Vergessen werden schützen soll, genau wie für die zum nächsten Sommer geplante Lidar-Vorrüstung, mit der später als Over-the-Air-Update autonome Fahrfunktionen möglich werden.
Und das gilt natürlich besonders für den Antrieb: Den übernehmen beim Polestar 3 anfangs immer zwei Motoren mit einer Systemleistung von 490 PS und imposanten 840 Nm, die den Sprint von 0 auf 100 in 5,0 Sekunden schaffen und erst bei 210 km/h wieder eingebremst werden – immerhin 30 km/h mehr als Volvo beim XC90 zulässt. Für knapp 7.000 Euro Aufpreis gibt es ein „Performance Pack“, zu dem neben goldenen Gurten und anderem Zierrat auch nochmal etwas Doping für die E-Maschinen zählen. Dann steigt die Leistung auf 517 PS, das Drehmoment klettert auf 910 Nm und der Sprintwert schrumpft auf 4,7 Sekunden.
Gespeist werden die Motoren aus einem 111 kWh großen 400 Volt-Akku mit prismatischen Zellen. Am Wechselstrom mit maximal 11 und am Gleichstrom mit immerhin 250 kW geladen, soll der eine Reichweite von über 600 Kilometern ermöglichen.
Bevor der Polestar 3 seinen langen Atem beweisen kann, brauchen jetzt aber erst einmal die Interessenten eine gewisse Ausdauer. Denn auch wenn die Schweden diesen Herbst schon die Bestellbücher öffnen, startet die Produktion im chinesischen Chengdu nicht vor dem Sommer und bis der Polarstern tatsächlich am SUV-Himmel aufgeht, wird es Ende nächsten Jahres.