Sauers Fahrtenbuch – Radio Eriwan

Ärgern Sie sich nicht, wenn Ihr Auto keinen Parkassistenten, keine Sitzheizung oder keinen automatisch abblendenden Rückspiegel hat. Ihr Radio entschädigt Sie dafür mit Extra-Extras, die Sie noch nie verwendet haben.

von Franz J. Sauer
Es gibt ja so Dinge, die man einfach ausblendet. Das horizontale Stricherl vor der großen Summe auf dem Kontoauszug etwa. Die vorwurfsvolle Message, die sich hartnäckig zwischen den Zeilen des nebensächlichen Geplänkels mit der baldigen Ex-Freundin verbirgt (noch fragen Sie an dieser Stelle „wieso baldige Ex?“ – reden wir in ein paar Wochen weiter …). Oder auch gewisse Funktionen, die uns so ziemlich jedes gängige Autoradio, egal ob serienmäßig ver-, oder nachträglich eingebaut sein Leben lang offeriert, die wir aber höchstwahrscheinlich nie nützen werden.

FM, AM, LW!

Die Rede ist von den zusätzlichen Frequenzbändern, die man stets mit sich rumführt, aber nie abruft. Sie werden meist mit „AM“ (steht für Amplitudenmodulation“, nur falls Sie mal von Armin Assinger gefragt werden) oder „LW“ (steht für „Langwelle“, Assinger-wise) gekennzeichnet, bringen keine RDS-Kennungen, sondern zeigen nur die reine Frequenz und stellen die Fahrzeugboxen stets mit ohrenbetäubendem Rauschen, Krachen oder Pfeifen auf die Probe.

Radio Eriwan

Schnell weitergedrückt und fertig – so gehen die meisten Radiohörer mit diesem seltsamen Phänomen um. So tat auch ich – bis vorgestern abend, als ich mich durch den Nachtstau auf der Tangente wuselte, eben von Österreich 1 auf dem Frequenzband „FM“ (lieber Armin, ich brauch einen Telefonjoker, und der erzählt mir dann: Das heißt „Frequenzmodulation“) zur guten Songauswahl auf dem iPod zappen wollte, der Fernbedienungstaster am Lenkrad aber just in jenem Moment seinen Geist aufgab, als mit lautem Rauschen jenes ominöse „AM“ auf dem Radiodisplay aufgeschienen war. Wenn ich schon mal da bin, dacht’ ich mir, und betätigte den Sendersuchlauf. Und siehe da, kurz darauf sang Gus Backus irgendwo in weiter Ferne, wie von hinter einem tosenden Gebirgsbach hervor: „Rote Lippen soll man küssen …“.

Zeitreise

Es klang, als hätte ich eine Schallbotschaft aus vergangenen Tagen abgerufen, die sich irgendwann in den Untiefen irgendwelcher intergalaktischer Radiowellen verfangen und seither dort nicht wieder herausgefunden hätte. Nun war sie erleichtert ob ihrer Befreiung und sie ließ auch gleich ihre mitgefangenen Freunde „Rum and Cocaaacolaa“, „Ganz in Weiß“ und „Lady in Red“ durch den Bach rauschen, als gäbe es kein Morgen. Die Abmoderation erfolgte auf rumänisch oder ungarisch, vielleicht war es auch deutsch mit starkem Akzent, Siebenbürgen oder so. Jedenfalls verstand ich, es würden gleich Nachrichten folgen, obwohl es 19.42 Uhr war. Seither surfe ich nicht mehr Internet, sondern auf der Amplitude. Erstaunlich, was man da so alles entdeckt. Und auch die Staus sind nicht mehr fad.

Es klang, als hätte ich eine Schallbotschaft aus vergangenen Tagen abgerufen, die sich irgendwann in den Untiefen irgendwelcher intergalaktischer Radiowellen verfangen und seither dort nicht wieder herausgefunden hätte.





Die mobile Version verlassen