Als er in den 1990ern auf den Weg gebracht wurde, war der Smart seine Zeit voraus. Doch irgendwie ist der Bonsai-Benz bei der automobilen Revolution unter die Räder gekommen und wurde vom Shooting Star zum Sorgenkind. Denn während Start-Ups in aller Welt die Mobilität neu erfinden wollten und Newcomer wie Tesla Rekordgewinne gemacht haben, ist der Micro-Mercedes in ein Milliardengrab gefahren und eher pflichtschuldig über die Zeit gerettet worden. Doch vor zwei Jahren hat Daimler die Reißleine gezogen und die Marke samt der Verantwortung an seinen Großaktionär Geely verkauft. Der spricht zwar höflich von einer „Dual Home“-Strategie und den zwei Polen in China und Europa, regiert aber mit eiserner Hand und macht jetzt einen entsprechend radikalen Neustart: Ohne Sentimentalität holt er den Smart aus dem Bälleparadies der minimalistischen Stadtautos und schickt ihn als Smart #1 in den SUV-Dschungel der Kompaktklasse.
„Wir haben die Gelegenheit genutzt, die Marke neu zu erfinden“, sagt Mercedes-Designchef Gorden Wagener über seine Mitgift für die neuen Smart-Macher: „Er ist erwachsen, cool und verkörpert Schönheit mit smarten Lösungen. Deshalb ist er neu, frisch und bezaubernd.“ Aus dem vor 40 Jahren als Micro-Compact Car entwickelten Zweisitzer von 2,70 Metern ist dabei ein verdächtig von Porsche Macan, Mini Countryman und Opel Adam inspiriertes SUV geworden, das mit 4,27 Metern Länge und fünf vollwertigen Sitzen in der Kompaktklasse antritt. Mit dieser Kombination der zwei global am gängigsten Kategorien hoffen die neuen Herren, dass sie in Europa und vor allem in China mehr Kunden gewinnen können, als mit einem überteuerten Kleinstwagen mit beschränktem Einsatzspektrum. Erst recht, wenn der neue Smart natürlich rein elektrisch fährt und deutlich mehr Reichweite bieten wird als die 150 Kilometer des aktuellen Modells: 66 kWh im Wagenboden sollen 420 Kilometer Aktionsradius ermöglichen, bevor mit 22 kW Wechsel- oder 150 kW Gleichstrom geladen wird: Zuhause schafft der Smart den Hub von 10 auf 80 Prozent damit in knapp drei Stunden und an der Schnellladesäule in weniger als 30 Minuten, rechnen die Ingenieure vor.
Zwar wächst der Smart über sich hinaus, und Designchef Gorden Wagener hat neben der zuletzt ohnehin nur noch aufgemalten Tridion-Zelle gleich auch noch das kindliche Grinsen gestrichen, weil der neue Smart „cool, sexy und erwachsen statt niedlich und verspielt“ sein soll. Und der alte, bisweilen preiswerte Plastik-Look passt auch nicht mehr zu Wageners Philosophie von der Trendmarke für die urbane Familie. Doch ein paar Wesensmerkmale sollen sich auch im SUV wiederfinden. Beim Auftritt gilt das für die zweifarbige Karosserie mit einem abgesetzten Dach, das wie der Schirm einer Mütze über der Kabine zu schweben scheint. Bei der Ausstattung für smarte, teilweise augenzwinkernde Details wie die je nach Situation unterschiedlichen funkelnden LED-Elemente ringsum im Blech, ein Infotainment-System, das mindestens so bunt ist wie MBUX, den chinesischen Vorlieben folgend aber etwas verspielter sein dürfte, oder den digitalen Schlüssel auf dem Smartphone, den man auch mit seinen Freunden teilen und den Smart so fürs private Carsharing nutzen kann. Und bei den Abmessungen für den so genannten Body-Space-Index: „Genau wie die aktuellen Smart-Modelle wird auch der erste Smart der neuen Ära ein besseres Verhältnis von Länge und Innenraum bieten als konventionelle Fahrzeuge“, stellt Wagener in Aussicht. Nicht umsonst misst der Radstand stolze 2,75 Meter, so dass es anders als im Forfour auch im Fond endlich menschenwürdige Platzverhältnisse gibt. Und im Gegensatz zu den elektrischen Mercedes-Modellen kommen beim Smart zu den wegen der einzeln verschiebbaren Rücksitzen von 273 bis 411 Litern Kofferraum noch die 15 Liter im Frunk, die immerhin fürs Ladekabel reichen.
Möglich wird die neue Raumordnung nicht zuletzt mit einer neuen Plattform, auf der die Chinesen den Smart bauen. Denn anders als der kaum mehr größere Mercedes EQA steht er nicht auf der Modularen Frontantriebarchitektur, die auch für Benziner und Diesel entwickelt wurde. Sondern er nutzt die Sustainable Experience Architecture, mit der Geely in schneller Folge Elektroautos vom Kleinwagen bis zur Luxuslimousine umsetzen will.
Die bringt auch beim Fahren deutliche Fortschritte: Wo der Smart bislang mit mickrigen 80 PS auskommen musste und bei 130 km/h jenseits der Stadtgrenzen zu einem Verkehrshindernis wurde, stehen im Fahrzeugschein des Smart #1 ein paar Daten, bei denen sogar EQA-Kunden neidisch werden dürfte. So leistet der Motor im Heck nicht nur stolze 272 PS und 343 Nm, sondern bringt es auch auf 180 km/h – ein Tempo, das mit dem Bonsai-Benz von einst schier unvorstellbar war.
Aber der neue Smart hat es eilig. Denn erstens wollen die Chinesen endlich beweisen, dass die Marke doch Geld verdienen kann. Und zweitens haben sie noch viel vor, sagt Europachef Dirk Adelmann: „Wir sind sehr stolz, endlich die Serienversion unseres Smart #1 zu präsentieren. Er ist nicht nur ein Symbol für unseren neuen Smart-Ansatz, sondern auch der Kern für alles, was kommen wird.“