Stalzamt: Wird 2016 ein Schaltjahr? – Vorherrschaft der Automatikgetriebe
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Vorherrschaft der Automatikgetriebe
Eine Glaubensfrage wie Kaiserschmarrn mit oder ohne Rosinen: Hat das Schaltgetriebe nun bald endgültig ausgedient oder ist das dritte Pedal unabkömmlich für puren Fahrspaß?
von Philipp Stalzer
Montag, 8:32, Wiener Südosttangente. Es regnet. Sehr viele Menschen müssen gleichzeitig ihren Arbeitsplatz aufsuchen. Bedauerlicherweise sind Dinge wie freie Arbeitszeiteinteilung und Homeoffice für all jene, die sich gerade genervt im prasselnden Regen in Richtung Brötchengeber stauen, Fremdwörter. Mir ist es egal, ich dreh’ meine Musik auf und lasse den Abstandregeltempomat und die Automatik des Testwagens ihren Job tun, während ich am Weg zu meinem bin. Kaum kommen wir zum kompletten Stillstand, reicht ein Knopfdruck am Lenkrad. Das Auto fährt wieder an und hält den definierten Abstand zum Vordermann ein. Die Füße lehnen lässig im Fußraum mit zwei Pedalen. Nicht mal die muss ich bedienen.
Stau? Ist uns wurscht, die S-Klasse fährt eh selbst. Nur von der Rettungsgasse hat sie noch nix gehört 🙂
Wäre das Auto jetzt auch noch mit einem Stauassistenten wie in manchen Modellen von BMW oder Mercedes bereits erhältlich, könnte ich auch noch lässig E-Mails oder eine Zeitung lesen. Soll heißen: im Stau, im Alltag, bei der simplen Fortbewegung von A nach B, da macht mir ein Automatikgetriebe nicht nur Freude, es entlastet mich spürbar. In einem Alltagsgleiter preise ich dich, oh kupplungsloser Gangsortierer, es könnt nicht passender sein.
Aber am Wochenende, wenn ich absichtlich von A nach B tschundere, das Spiel mit Gas, Bremse und eben auch Kupplung so lustvoll und intensiv wie möglich erleben will, dann geh bitte weg, Automatik! Da hast Du mit deinen aalglatten Lenkradpaddles nix verloren. Ein steriles Microschalter-Klicken für das digitale Signal ans zuständige Steuergerät wird das metallisch-achaische Gefühl, die Schaltmuffe über den Synchronkörper im nächsten Gangrad einrasten zu lassen NIEMALS ersetzen können. Ich möchte mit der Kuppplung spielen können, den Kraftfluss an die Räder definiert trennen. Da sind mir Rundenzeiten auf der Nordschleife herzlich egal – es gibt sowieso immer einen, der noch schneller fahren kann. Das pure Erlebnis zählt, das Gefühl mit dem Auto zu spielen, es eigenhändig mit den richtigen Gängen zu füttern um es bei Laune zu halten. Millisekundenangaben für Gangwechsel sind genau so lächerlich wie Wattangaben für Musikanlagen – Begeisterung und Emotionen kann man nicht auf Datenblättern abbilden und in Zeiten fassen. Ich will mit dem Auto kämpfen, mein Fahrkönnen enden sehen wollen, nicht nur Knopferl am Lenkrad drücken und dabei in eine Art „Real-Life-Playstation-Modus“ verfallen. Kann 100x schneller sein, is’ mir herzlich wurscht.
Wieso gibt es den BMW M5 (ja ok, der zugegebenermaßen zu 99% mit am Montag auf der Tangenten steht und nur zu 1% neben mir das Rundenticket am Norschleifenschranken anhält) in den USA mit einem manuellen Getriebe, bei uns aber nicht? Mercedes A/GLA/CLA AMG, was für eine wunderbare Pocket-Rocket, prall gefüllt mit Emotionen bis unters Dach. Bis auf das eher träge reagierende Doppelkupplungsgetriebe. ICH WILL ES ABBESTELLEN KÖNNEN!!! Wieso ist der aktuelle Porsche 911 GT3, als auch der (noch erschütternder) GT3 RS nicht gegen Geld und gute Worte mit einem dritten Pedal im Fußraum erhältlich? Immerhin im BMW M3/M4 ist ein manuelles Getriebe noch Standard, auch wenn die zwei stark an frühere M5 erinnern und in weiterer Folge der kommende M2 der atmosphärisch echte Nachfolger früherer M3 werden wird. Auch er wird mit einer manuellen Box ausgeliefert, die Take-Rate für das optionale DKG wird bei geschätzten 98% liegen. Es ist also leider der klassischste Grundsatz einer freien Marktwirtschaft grundlegend: Angebot und Nachfrage. Ein Lichtblick zum Thema ist der Porsche Cayman GT4, der ausschließlich mit Handschaltung geliefert wird, das am dreistesten zuschnappende Krokodil der Porsche-Palette darstellt und das für mich interessanteste neue Auto seit langer Zeit ist. Leider auch das letzte Modelljahr 2016 bereits ausverkauft – das ja bekanntlich ein Schaltjahr wird. Hoffentlich wieder mal.
Ein steriles Microschalter-Klicken für das digitale Signal ans zuständige Steuergerät wird das metallisch-achaische Gefühl, die Schaltmuffe über den Synchronkörper im nächsten Gangrad einrasten zu lassen NIEMALS ersetzen können.