Taxi of Tomorrow in New York: Hoch auf dem Gelben Wagen

Motorblock fährt NYC Taxi

Sie machen im Schnitt 485.000 Fahrten am Tag und umrunden jeder fast drei Mal pro Jahr den Globus: 50.000 Taxi-Fahrer halten die knapp 14.000 Yellow Cabs in Manhattan rund um die Uhr in Bewegung. Und heute bekommen sie einen neuen Kollegen. Denn für eine Schicht wechsele von hinten rechts nach vorne links und stürze mich in den Verkehr der Stadt, die niemals schläft.

Text: Thomas Geiger
Mein Dienstwagen für die nächsten zwölf Stunden ist der Nissan NV200, der 2011 den Wettbewerb für das „Taxi of Tomorrow“ gewonnen hat und eigentlich das einzige neue Yellow Cab dieses Jahrzehnts werden sollte. Weil es den Wagen noch nicht mit Hybrid- oder einem alltagstauglichen Elektroantrieb gibt, weil er nicht in den USA, sondern in Mexiko gebaut wird und weil ein Monopol nicht so recht zur liberalen Marktordnung passen will, haben die Gerichte den Deal zwischen Nissan und der Taxi and Limousine Commission (TLC) zwar ein wenig aufgeweicht. Doch werden die Japaner in den nächsten zehn Jahren für Preise um 30 000 Dollar trotzdem über 25.000 Yellow Cabs nach New York liefern und so das Stadtbild ähnlich prägen wie in den Fünfzigern die Checker’s und in den Neunzigern der Ford Crown Victoria.

Die ersten 500 Autos sind in den Straßen von Manhattan schon im Einsatz und mit einem davon kutschiere ich die nächsten zwölf Stunden den Broadway rauf oder die Fifth Avenue runter. Während die Passagiere hinten im Vergleich zum alten Crown Victoria fast fürstliche Platzverhältnisse genießen, nur noch dann miteinander kuscheln müssen, wenn sie es wirklich wollen, und den Wagen durch die großen Schiebetüren vor allem aufrecht betreten können, fühle ich mich zwischen der Frontscheibe und der Trennwand aus Plexiglas wie ein viel großer Fisch in einem viel zu kleinen Aquarium. Und dass die Fahrgäste hinten durch ein großes Panoramadach die Skyline genießen können, ist mir gerade herzlich egal.
Denn ich habe für die Schönheit der Stadt heute keinen Blick. Sondern meine ganze Aufmerksamkeit gilt dem chaotischen Verkehr und mehr noch den Fußgängern, von denen schließlich jeder ein potenzieller Kunde ist. Sobald einer die Hand hebt, sollte sich mein Fuß auf die Bremse stemmen und so schnell wie möglich an den Rand fahren. Mir doch egal, ob sie hinter mir hupen, die Reifen quietschen oder das Blech knirscht. Hier geht’s schließlich ums Geschäft. Außerdem bin ich Cabbie und damit so etwas wie der King of the Road. Abgesehen vielleicht vom Blaulicht der Polizei und den Sirenen der Rettungsfahrzeuge gibt es in New York keinen besseren Freibrief als den gelben Lack der Yellow Cabs. Wer den trägt, der hat Narrenfreiheit in den Straßen von Manhattan – oder nimmt sie sich zumindest.

Allein auf der Fahrt vom Battery-Park im Süden bis hinauf zum Times Square hätte ich deshalb heute ein kleines Vermögen machen können. Allerdings hätte ich dafür vorher auch ein großes Vermögen investieren müssen. Nicht so sehr für meinen Taxi-Schein. Den gibt’s schließlich für nicht einmal 500 Dollar samt Vorbereitungskurs und Fahrschule in einer Woche. Sondern vor allem für die TLC-Medaille. Das ist die offizielle Lizenz der Behörde, die jedes Taxi stolz wie ein Kriegsveteran seine Orden auf der Motorhaube trägt. Und weil die TLC davon nicht einmal 14.000 Stück ausgibt, kann man diese Blechschilder nicht einfach kaufen, sondern muss sie für viel Geld ersteigern. Für sehr viel sogar: 800.000 Dollar sind im Augenblick das Minimum, meldet die Behördenstatistik. Kein Wunder, dass es kaum selbständige Taxifahrer in der Stadt gibt und sich die meisten bei einer der großen Agenturen verdingen. Dort zahlen sie für ihr Auto bis zu 150 Dollar Miete pro Schicht und sind froh, wenn am Ende eines Zwölf-Stunden-Tages 200 Dollar „Fare“ und „Tip“ hängen bleiben.

… ich habe für die Schönheit der Stadt heute keinen Blick. Meine ganze Aufmerksamkeit gilt dem chaotischen Verkehr und mehr noch den Fußgängern …





Gut, dass ich mich damit nicht beschäftigen muss.  Mir reicht der Kampf mit meinem Nissan und mit den miserablen Straßen der Stadt. Mag ja sein, dass der Vierzylinder kaum mehr halb so viel säuft wie der 4,6 Liter große V8-Motor  des Crown Victoria und meine Kollegen deshalb nicht mehr 50, sondern nur 20 Dollar pro Schicht in den Tank schütten. Aber dafür muss ich jetzt mit 188 Nm und 131 PS auskommen und mich obendrein mit einer stufenlosen Automatik herumschlagen, die jeden Funken Fahrfreude im Keim erstickt. Kurz vor Rot über die Ampel huschen, mal eben einen Kollegen abhängen oder schnell in die Lücke auf dem Joe DiMaggio-Highway einscheren – das ist mit dieser Antriebskombination eine echte Mutprobe. Und selbst wenn die Nissan-Ingenieure eigens für die Fahrwerksabstimmung eine Straße aus Manhattan auf ihrem Testgelände nachgebaut haben und die Lenkung überraschend direkt agiert, ist der Kampf gegen die Schlaglöcher und Kanaldeckel in dieser Stadt aussichtslos. Nicht nur die Kunststoffe im Auto knirschen und quietschen auf jedem Kilometer, sondern irgendwann auch meine Knochen. Da ist auch der sechsfach verstellbare Sitz mit dem atmungsaktiven Kunstleder-Polster nur ein schwacher Trost.

Früher, da war alles besser, sagt jeder, den man fragt und singt das Hohelied auf den Crown Victoria. Doch dessen Produktion wurde nun einmal im letzten Jahr eingestellt und die Zeiten des Amischlitten gehen auch bei den Yellow Cabs unweigerlich zu Ende. Deshalb mögen Sentimentale Touristen dem Checker’s Cab oder wenigstens dem Ford hinterher weinen, weil das noch echte Limousinen waren und keine aufgehübschten Lieferwagen. Patrioten schimpfen auf die Fabrik in Mexiko und darauf, dass die Millionen für diesen Deal am Ende in die Kasse eines japanischen Herstellers fließen. Die Umweltbewegung verteufelt den Vierzylinder, für denen es bislang weder einen Hybridbaustein noch einen adäquaten elektrischen Ersatz gibt. Und die Fahrer mögen sich trotz der hohen Sitzposition seltsam entthront fühlen, seit man ihnen ihre großen Amischlitten genommen hat. Doch im Grunde hat die Taxi-Branche in New York ganz andere Probleme. Dass die Umsätze einbrechen und die Medaillen-Preise in den letzten Jahren bereits um ein Viertel gefallen sind, liegt nicht an einem japanischen Kastenwagen, sondern am neuen Konkurrenten Über. Denn seit ein paar Monaten hat der private Fahrdienst in Manhattan zum ersten Mal eine größere Flotte am Start als die TLC mit ihren Yellow Cabs.

Und jetzt verlieren die Cabbies auch noch einen ihrer neuesten Kollegen. Denn nach zwölf Stunden ist meine Schicht vorbei und mit ihr das Abenteuer am Steuer des Taxi of Tomorrow. Doch keine Sorge, ich komme wieder. Selbst wenn ich dann eben hinten einsteigen muss.

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