In Japan gehen die Uhren anders – und zwar nicht nur am Handgelenk, sondern auch in der Autowelt. Denn nirgendwo hat sich der Markt derart von restlichen Geschehen abgekoppelt, wie im Reich des Tenno. Nicht nur mit ihren ebenso winzigen wie witzigen Kei-Cars fahren die Japaner einen eigenen Weg, sondern auch ihre Antriebsstrategie passt nicht in die globale Gemengelage. Während der Diesel überall in den Keller rauscht, gehen seine Verkaufsanteile in Japan in die Höhe, der Elektroantrieb ist allenfalls zweite Wahl und nach dem Hybrid sehen sie bei Toyota & Co nach wie vor die Brennstoffzelle als aussichtsreichste Lösung.
Von Thomas Geiger
Nirgendwo wird dieser Eigensinn so deutlich wie bei der Motorshow in Tokio, auf der die Japaner diesmal ein Heimspiel ohne Gegner feiern. Denn obwohl insbesondere die deutschen Autos hoch im Kurs stehen in Tokio oder Osaka, glänzen die Importeure fast durchgängig mit Abwesenheit. Einzig Mercedes zeigt nochmal ein Kondensat des IAA-Programms und Alpina feiert mit dem zum B3 veredelten 3er BMW sogar eine veritable Weltpremiere. Doch BMW, Audi, VW & Porsche lassen die Japaner ungestört ihr eigenes Süppchen kochen, von den Koreanern, den Franzosen, Italienern, Schweden und Amerikanern ganz zu schweigen.
Dieses Süppchen hat einen entsprechend starken und fremden Geschmack, der von vielen ungewohnten Zutaten rührt. Schließlich sind mehr als die Hälfte aller Neuheiten Kei-Cars, die immer knallig bunt und oft ungeheuer verspielt sind. Mal inspiriert von Disney World und mal von Manga Comics tragen sie den engen Innenstädten genauso Rechnung wie dem kindlichen Gemüt der Kunden und decken dabei fast alle Karosserievarianten ab – von der allgegenwärtigen Schuhschachtel auf Rädern über den Hardcore-Geländewagen für die Westentasche bis zum Bonsai-Roadster wie der Neuauflage des früher auch mal bei uns verkauften Daihatsu Copen.
Dazu gibt es auch im größeren Format vor allem bei Toyota eine Handvoll Studien, die selbst den in Tokio noch einmal aufgefahrenen Mercedes Vision EQS vergleichsweise alt und einfallslos erscheinen lassen: Ein autonomer Lexus LF30 mit extremer Keilform und formatfüllenden Flügeltüren zum Beispiel, ein E-Racer, der aussieht, als bräuchte er eine überdimensionale Carrera-Bahn oder ein LQ, aus dem einmal ein autonome Kompakter für Roboter-Taxen werden könnte. Dazu gibt es ein paar greifbare Studien wie die des Mittelklasse-Geländewagens Ariya, der vom nächsten Jahr an die Nissan-Palette krönen soll oder des Mitsubishi K-Wagon, der ganz sicher seinen Weg unter die Kei-Cars finden wird.
So vielfältig wie die Aufbauten sind auch deren Antriebe. Denn der Elektrohype, der etwa in Frankfurt die Nachrichtenlage dominierte, ist in Tokyo noch nicht angekommen. Sondern Toyota schwört weiter auf die Brennstoffzelle und macht den Mirai mit entschärftem Design und gesenkten Kosten vom Exoten zum Volumenmodell, das bald 30.000 Mal im Jahr verkauft werden soll, Autos wie der neue Honda Jazz werden ausschließlich und der Toyota Yaris mehrheitlich als Hybrid ausgeliefert und wenn es unbedingt ein Akku-Pack sein muss, dann ein kleiner und damit bezahlbarer. Der Toyota Ultra zum Beispiel, der als erstes Elektroauto des Marktführers im nächsten Jahr an den Start gehen soll, ist nicht größer als der Smart, schafft nur Tempo 60 und kommt gerade mal 100 Kilometer weit. Und der MX-30, mit dem Mazda im nächsten Jahr zu Preisen ab 34.000 Euro auf die Electric Avenue startet, ist zwar so groß wie ein VW ID.3, hat aber nur 200 Kilometer Reichweite und muss mit 140 PS auskommen. Und Allradantrieb gibt’s für das SUV auch nicht.
Aber nicht nur das Ausstellungsprogramm unterscheidet sich grundlegend von allen anderen Automessen. Sondern auch das Konzept der Motorshow selbst haben die Japaner umgekrempelt und dabei aus den Fehlern von Frankfurt & Co gelernt. Weil Autos alleine nicht mehr genügend Besucher locken und sich niemand einen ganzen Tag in stickigen Hallen herumtreiben will, haben sie die Messe auf ein ganzes Stadtviertel verteilt, in den einzelnen Locations viele zusätzliche Events organisiert und dazwischen automobil angehauchte Erlebnisspazierwege samt Fahrzeugparaden und Foodtrucks angelegt. Ob das beim Publikum ankommt, wird sich binnen zwei Wochen zeigen. Doch zumindest ist die Motorshow in Tokio damit wahrscheinlich die Automesse, auf der die längsten Wege zu Fuß zurück gelegt werden. Aber vielleicht ist das ja auch ein Aspekt der „New Mobility“.