Triumph Street Scrambler-Dauertesttagebuch
Die spinnen, die Briten…
Eine Monster-Runde auf dem Retrobike…
Text: Gregor Josel / Fotos: Michael Alschner/Greg JoselLiebes Tagebuch,
Es ist mir ein bisserl peinlich, aber unlängst habe ich mich dabei ertappt, langsam zum alten, bequemlichen Sack zu werden. Mein Dauertest-Baby, die Triumph Street Scrambler ist sowas wie mein Alltags-Eisen. In der Früh ins Büro, nachmittags eine kleine Runde zum entspannen. Nichts aufgeregtes, eher gemütlich! Denn für die große Ausfahrt, jenseits der 200 Kilometer, hat man in der Redaktion ja immer irgendein entsprechendes größeres, stärkeres und bequemeres Eisen. Früher war mir das ja alles egal! Hauptsache zwei Räder und ein Motor. Mit einer Ducati 916SPS nach Sizilien? Klar, kein Problem! Heute würde ich mich bereits beim Vorbeifahren an der Shopping City Süd fragen, ob ich nicht doch lieber mit dem Auto fahren würde.
So geschah es unlängst, dass man sich anlässlich des verlängerten Wochenendes zur großen Ausfahrt mit Freunden aus dem Westen verabredete. Treffpunkt: Irgendwo in der Mitte zwischen Linz und Wien und dann ab in Richtung Steiermark, über Berg und durch Tal zum malerisch eingebetteten Red Bull Ring und dann durch meine alte steirische Heimat via Mariazell und dem Biker Hot-Spot, Kalte Kuchl, zurück in Richtung Bundeshauptstadt. Wohlfeile 630 Kilometer würden dafür auf der Uhr stehen, das passende Gerät dafür stünde auch bereit und zwar in Form einer großen Reiseenduro mit Leistungsdaten jenseits der 150PS und allerhand Ausstattung, Elektronik El
und sonstigen Raffinessen modernen Motorradbaus. So weit ohne adaptives Fahrwerk zu fahren könnte ja wirklich unbequem werden…
Die Route war penibel geplant und auf’s Navi übertragen und rund eine Stunde vor Abfahrt begann die Suche nach einem USB Anschluss auf dem großen Enduroschiff. Leider erfolglos, wie auch die Suche nach Alternativen, wie 12V-Anschluss oder ähnlichem. Nun, wenn man meiner Meinung nach mehr als 20.000 Kröten für ein Motorrad auf den Tresen legt, würde ich Firlefanz à la USB-Anschluss eigentlich als zur Serienausstattung zugehörig ansehen! Wie mich das Prospekt lehrte, ist dem nicht so, einzig die Aufpreisliste würde hier Abhilfe schaffen können, denn um ein paar Hunderter mehr, gibt’s natürlich auch USB!
Sowas macht mich stinkig. Wirklich stinkig! Und so machte ich mich rein interessehalber bei der wesentlich kleineren, wobei auch wesentlich hübscheren Street Scrambler auf die Suche nach einem USB-Stecker und wurde tatsächlich unterm Sitz fündig!
Während in mir einerseits Begeisterung für dieses Serien-Feature bei der Street Scrambler emporstieg, floss andererseits auch Galle in Anbetracht des Nepps bei der großen Reiseenduro. Und so geschah es, dass ich all meine Bequemlichkeit und das fortschreitende Alter über Bord warf und mich dazu entschloss an diesem Tag die harte Tour zu gehen und mich mit der Street Scrambler auf die lange Reise zu begeben! Einfach aus Trotz der dicken Reise-Schüssel gegenüber, nur um ein Zeichen zu setzen!
Nun begann der Tag mit einer lauen 140km/h Autobahn-Partie auf der mich die kleine Scrambler schon das erste Mal überraschte! Bequeme Sitzposition, kaum Druck am Oberkörper, stabiler Geradeauslauf und auch in Sachen Durchzug beim Beschleunigen, trotz 100 PS weniger als das Großenduro-Eisen, nichts zu meckern.
Die potentiellen Angstgegner, allesamt mit ebenfalls großen Reiseenduros bewaffnet, belächelten die kleine grüne Britin noch beim gemeinsamen Tankstopp kurz nach der Autobahnabfahrt.
Das sollte sich allerdings ganz erheblich ändern auf den folgenden 550 Kilometern, die dann ausnahmslos aus Landstrassen, Pässen und engen Tälern mit schlechten Straßen bestanden. „Take the lead“, schallte es lachend aus den Helmen, da die Triumph ja nunmehr als einziges Motorrad in der Runde mit Navigation ausgestattet war. dank USB-Anschluss!
Was dann folgte, liebes Tagebuch, entbehrt fast jeglicher Beschreibung, denn mir widerfuhr eine der spassigsten Touren meiner gesamten Motorradlaufbahn, in der ich den Hintern schon auf so ziemlich alles Einspurige drückte. Been there, done’ that. Ich kenne sie alle, vom 200PS Supersportbike, bis zum 50ccm Diskonter-Scooter aus China…
Mit 55PS und 80 Nm Drehmoment der kleinen Street Scrambler gewannen wir nahezu jede Bergwertung, sobald es technisch anspruchsvoller wurde und es nicht um reines Gasgeben auf der Geraden ging! Wendig wie ein Wiesel, mit sattem Durchzug aus dem ganz tiefen Drehzahlkeller und einem für mein Emfinden perfekten Fahrwerk, das selbst bei hohem Speed und wirklich holprigen Straßen niemals auch nur einen Ansatz an Überforderung durchscheinen lies wurde das wunderhübsche Retro-Eisen zur tapfer kämpfenden und vor allem ziemlich alles richtenden Angstgegnerin. Nicht nur für die Mitfahrer, sondern auch für diverse andere nackte oder sportliche Eisen, oder auch einen besonders ambitionierten Honda S2000-Fahrer, der seinen Augen nicht recht traute, was mit dieser Retro-Britin möglich zu sein scheint. Einzig die Bremsen an der Front könnten etwas giftiger zubeissen, das wars aber schon in Sachen Kritik.
Doch am Ende des Tages bleibt für mich das beeindruckendste Asset der neuen Street Scrambler die hervorragende und bequemen Sitzposition. Kein eingeschlafener Hintern, keine Muskelschmerzen an den Schultern nach knapp 650 Kilometern. Keine Ahnung wie die Briten das geschafft haben, aber ich bin tatsächlich noch nie so lange und so bequem auf einem Motorrad gesessen. Ungelogen!
So steht am Ende die Moral von der Geschicht’: Lass Dich nicht täuschen von Äußerlichkeiten! Denn mehr Spaß hätte die große Reiseenduro sicher auch nicht gemacht und bequemer wäre sie offenbar auch nicht gewesen.
Bis zum nächsten mal,
Dein Gregor
:Infoporn
Hubraum: 900 ccm
Leistung: 40,5 kW / 55 PS
Verbrauch: 3,8 l / 100 km
Drehmoment: 80 Nm bei 2.850 U / min
Spitze: 180 km/h
Gewicht (fahrfertig): 223 kg
Tankinhalt: 12 l
Testverbrauch: 4,8 l / 100 km
Preis: ab 11.400 Euro