Volvo XC60: Kein Platz für Ärger

Wenn das Auto hervorragend ist, dann darf die Markenstrategie auch etwas irrational sein.

Text: Maximilian Barcelli

Ein bisschen könnte man sich schon über Volvo ärgern, wenn man im XC60 sitzt. Da limitieren die Schweden neuerdings die Höchstgeschwindigkeit aller Fahrzeuge auf 180 km/h und rühmen sich damit, die Straßen dieser Welt etwas sicherer gemacht zu haben (als würden 180 km/h in der 30er-Zone nicht ausreichen). Gleichzeitig klatscht die Premium-Marke aber ein Display von der Größe einer IMAX-Leinwand auf die Mittelkonsole – genau so, dass man schön weit weg von der Straße blicken muss. Und natürlich gibt es auch keinen Drehregler oder ein anderes Bedieninstrument, womit man das Infotainmentsystem steuern könnte. Nein, es muss getoucht werden, dementsprechend werden noch zusätzliche Konzentrationsressourcen von der Straße auf den Touchscreen gelenkt. Dabei sind gerade Unachtsamkeiten und Ablenkung die Unfallursache Nummer 1 in Österreich.

Also ja, man könnte sich etwas über diese Irrationalität ärgern. Tut man aber nicht. Was weniger damit zu tun hat, dass in Österreich auch 160 … ähm … 130 km/h reichen. Sondern weil man im XC60 sitzt – und dort ärgert man sich generell nicht so viel. 

Holz und eine blau-beige Lederkombination. Hat hier jemand „Ahoi“ gerufen?  

Zu sehr erfreut einen das durchgedachte, ästhetische Interieurdesign. Mit den hübschen Holzapplikationen, die sich von der Fahrer- zur Beifahrerseite ziehen und auch dem Mitteltunnel Wertigkeit verleihen. Oder die hübsch gemachten Luftauslässe, die dank schwarzem Lack bestens in die Optik des Touchscreen integriert sind.

Wenn das nicht Still hat, was dann?

Man ärgert sich auch deshalb nicht, weil man einfach zu gut auf den mit edlem Leder überzogenen Sitzen thront. Überhaupt, Leder. Der Schwede – schenkt man dem Google Übersetzer Glauben – würde sagen: „Här spelades inte, utan vadderat.“ Also dass hier nicht gekleckert, sondern geklotzt wurde. Wer so viel von dem wertigen Material in den Platzhirschen des Segments finden will, sucht lange.

Ganz besonders fein ist auch der Start-Schalter. Sind wir die einzigen, die dieses Gefühl der Freiheit und des Aufbruchs beim Drehen des Schlüssels im Zündschloss vermissen? Falls nicht: Volvo (und auch einige andere Hersteller wie Porsche oder Mini) bietet euch und uns mit diesem Schalter das beste aus zwei Welten: Komfort, weil man keinen Zündschlüssel braucht. Und eben dieses euphorische Gefühl, da man nicht nur auf ein simples Knopferl drückt, um den Motor zu starten.

Hübsche Holz-Applikationen und ein Start-Schalter, der mehr als nur ein Knopf ist.

Ach, der Motor. Ein besonders im unteren Drehzahlbereich kultivierter Diesel-Vierzylinder mit gleich zwei Turboladern. Und findet sich doch noch ein Drehmoment-Loch, wird dieses von der elektrischen Unterstützung gestopft. Denn Volvo produziert keine XC60 mehr, ohne dass deren Verbrennungsmotoren nicht zumindest mildhybridisiert sind.

Bietet besten Vortrieb: Der Vierzylinder-Diesel.

So auch bei konkretem XC60, der als B5 mit 245 PS und vor allem 480 Nm aufwartet, was in einer Beschleunigung von knapp über sieben Sekunden von 0 auf 100 km/h resultiert. Nicht schlecht für ein SUV, das sich immerhin an der zwei Tonnen-Grenze bewegt. Wobei der Hauptaufgabenbereich des Mildhybrids ja sowieso mehr darin liegt, Sprit zu sparen.

Wir haben dann noch was ausgeladen. Wirklich!

Mit einem inoffiziellen Durchschnittsverbrauch von rund acht Litern gelingt ihm das nur mäßig. Auf der anderen Seite: Zwei Tonnen, eh scho’ wissen. Nicht weniger überzeugend als der Motor ist das Getriebe: Es sortiert die acht Gänge sehr dezent und hat auch immer die richtige Antwort auf Fragen parat, die über die Pedalerie gestellt werden.

Allradantrieb ist auch mit an Bord, dementsprechend wäre sicher auch ein Abstecher ins Gemüse möglich, so dieses nicht allzu hoch gewachsen ist. Anderseits: Will man denn wirklich einen Kratzer riskieren?

Immerhin weiß der Volvo nicht nur innen optisch zu gefallen. Während Audi und BMW immer mehr auf fette Kühlergrille und generell mehr Protz setzen (Hat schon jemand den neuen M3 gesehen?), schlägt Volvo schon lange eine andere Richtung ein – und zwar die der „sinnlichen Klarheit“, wie man bei Mercedes so schön sagt.

Wenige Sicken, ein dezenterer Grill, sparsamer Einsatz von Chrom und die Marken-typischen Lichtsignaturen verleihen dem XC60 zwar einen selbstbewussten Auftritt, allerdings fernab des Protzes.

Zeitlos schönes Design.

Selbstbewusst ist auch der Preis: Startet der Volvo XC60 noch unter 50.000 Euro, so werden für den B5 AWD-Antriebsstrang samt Inscription-Ausstattungslinie schon rund 67.000 Euro fällig. Und mit dem ein oder anderen Extra findet man sich plötzlich jenseits der 80.000 Euro wieder. Aber erstens kann das die Konkurrenz auch nicht besser – eher im Gegenteil. Und zweitens hat man dann einen wirklich top ausgestatteten XC60 – samt adaptivem Luftfahrwerk für knapp 2.200 Euro, das einem wirklich den letzten Ärger austreibt. Apropos: Worüber haben wir uns denn eigentlich geärgert?

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