Wunsch oder Wirklichkeit? Faktion oder Fiktion? Nirgends in der Autowelt sind die Grenzen so weich und die Grauzonen so groß wie rund um den Concours d’Elegance in Pebble Beach.
Von Thomas Geiger
Denn zwischen überrestaurierten Oldtimern, visionären Designstudien und aufwändig zurecht geschnittenen Schönheiten kann man schnell die Orientierung zwischen den Welten verlieren. Darauf setzt in diesem Jahr auch VW und bittet deshalb zur ersten Testfahrt mit zwei Autos, die es so eigentlich gar nicht gibt. Zumindest noch nicht. Denn nur vier Monate nach der Weltpremiere auf der Motorshow in New York flanieren jetzt die beiden Atlas-Studien Cross Sport und Tanoak über den berühmten 17-Miles-Drive und sollen dort ausloten, wie ein schnittiges Coupé und ein Mid-Size-Pick-Up aus Chattanooga beim Publikum ankommen könnten.
Wie tief VW sich damit in die amerikanische Volksseele einschmeicheln will, zeigt insbesondere der Tanoak. Als ebenso rustikaler wie robuster Pick-Up bedient er schließlich das liebste Klischee und das größte Segment des US-Marktes. Dafür hat VW den Modularen Querbaukasten, der eigentlich mal für die Golf-Klasse entwickelt wurde, bis an sein Ultimo gedehnt: Stattliche 5,44 Meter misst der Pritschenwagen mit Doppelkabine und überragt damit sogar den Atlas noch einmal um amtliche 34 Zentimeter. Und damit man auch in der zweiten Reihe noch halbwegs gut sitzen kann, wächst der Radstand um 28 Zentimeter auf in dieser Architektur noch nie da gewesene 3,26 Meter.
Natürlich sind die Lichtspiele an der Front und die LED-Inszenierung an der Ladeklappe überzeichnet, der Namenszug unter dem Kühler könnte auch ein bisschen dezenter ausfallen und die schwarzen Radläufe sind buchstäblich dick aufgetragen – doch im Grunde gibt vom 280 PS starken V6-Motor bis hin zum digitalen Interieur kaum etwas an der Studie, das nicht in Serie gehen könnte. Zumal VW mit einer Produktion im Atlas-Werk Chattanooga die leidige Chicken-Tax umgehen könnte, die mit einem Strafzoll von 25 Prozent den gewinnbringenden US-Import des Amarok unmöglich macht.
Doch spätestens, wenn die Studie den Strand von Pebble Beach entlang rollt, hat man den Amarok ohnehin vergessen. Obwohl noch ein Einzelstück und weitgehend von Hand gebaut, wirkt der Atlas-Pickup viel komfortabler und kultivierter als der Amarok. Kein Wunder, bei einer selbsttragenden Karosserie und einem Fahrwerk, das eher auf Leistung als auf Lasten abgestimmt ist. Außerdem fährt sich das Auto handlicher und ist zumindest als Studie obendrein besser ausgestattet. Denn von digitalen Instrumenten können sie bei der Nutzfahrzeugsparte von VW derzeit nur träumen.
Trotzdem spricht US-Chef Hinrich Woebcken nur von einem Gedankenspiel, mit dem VW zeigen will, wie ernst es der Marke ist mit den Amerikanern ist – und was alles möglich ist mit dem MQB. Dass mehr noch nicht zu sagen ist über die Zukunft des Tanoak, liegt allerdings auch daran, dass sie in Chattanooga ohne den Pick-Up schon gut genug zu tun haben. Schließlich gibt es noch eine zweite Atlas-Studie, für die Wolfsburg bereits Grünes Licht und 340 Millionen Dollar zur Erweiterung des Werkes in Chattanooga gegeben hat. Den Atlas Cross Sport.
Um 25 Zentimeter gekürzt, mit fünf statt sieben Sitzen, die dank der um zehn Zentimeter versetzten Rückbank spürbar mehr Platz bieten, sowie einem etwas schnittigeren Heck bei einem trotzdem riesigen Kofferraum verspricht er mehr Sport als Utility und wird so plötzlich zu einem Auto, an dem auch die Europäer Gefallen finden können – zumal er mit 4,85 Metern selbst in unsere Parkplätze passen dürfte. Sogar auf den aus gutem Grund nicht einmal erwähnten Diesel unter der hohen Haube könnte man da gut verzichten. Nicht umsonst rollt das Showcar mit einem Plug-In-Hybridantrieb. Weil es neben dem 280 PS starken VR6-Motor noch zwei E-Maschinen mit 75 PS vorn und 115 PS hinten gibt, hat der CrossSport nicht nur Allradantrieb, sondern kann auch bis zu 70 Kilometer ohne Verbrenner fahren.
Zwar wird es noch ein bisschen dauern, doch zumindest für den CrossSport hat VW schon grünes Licht gegeben. Und die Niedersachsen wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie nicht auch den Tanoak auf den Weg brächten. Denn nach wie vor kommt kein Auto in Amerika so gut an, wie ein Pick-Up. Und keine Marke kann den Zuspruch der Amerikaner so gut gebrauchen, wie der vom Dieselskandal gebeutelte Volkswagen-Konzern.
Zumal sich der Atlas für die Deutschen in Amerika ohnehin als Glücksfall erwiesen hat: Während Passat und Jetta unter dem Niedergang der Limousinen leiden und der neue Tiguan noch nicht so richtig präsent ist, sieht man den großen Geländewagen tatsächlich an jeder Ecke – kein Wunder, wenn VW binnen zwei Jahren immerhin 100.000 Autos verkauft hat, jetzt schon jeden Monat 6.000 dazu kommen und es bald noch mehr werden könnten, wenn der CrossSport und womöglich sogar der Pick-Up in Serie gehen.
Dieser Erfolg macht mittlerweile andere Märkte neidisch, zumal es den Atlas als Teramont auch in China gibt. Deshalb hört man selbst aus Deutschland erste Stimmen, die sich den Atlas für die Autobahn wünschen. Vielleicht nicht das Standardmodell, weil das mit seinen knapp 5,10 Metern womöglich ein bisschen lang ist. Und vielleicht erst recht nicht den 5,44 Meter langen Pick-Up, weil der Markt für zwei Pritschenwagen aus Wolfsburg womöglich noch zu klein ist und es zumindest eine Zeit noch den Amarok gibt. Aber der CrossSport könnte zur ebenso eleganten wie preiswerten Touareg-Alternative werden, hört man aus dem Wolfsburger Vorstandsbau. Gut möglich also, dass dem Atlas bald noch ein paar Seiten hinzugefügt werden und er demnächst den ganzen Globus kennen lernt.