Golf ist Kult. GTI ist Kult. R ist auf dem besten Weg, ebenfalls Kult zu werden. Denn mit nunmehr zwei Jahrzehnten Geschichte dürfen auch die R-Modelle von Volkswagen behaupten, Ikonen zu sein. Allen voran natürlich der Golf R, der als 20 Years-Edition aktuell für Furore sorgt. Und dabei doch irgendwie gelassen bleibt.
Fotos: Eryk Kepski
Das gehört ja irgendwie zu VW – selbst bei den wildesten Fahrzeugen aus Wolfsburg. Wo beispielsweise ein Hyundai i30 N mit seinen 250 PS schon eine Soundshow veranstaltet, als wäre er ein tollwütiger Ferrari, geriert der Golf R 20 Years sich trotz 333 PS vergleichsweise Gentleman-like. Bestes Beispiel: Startet man ihn an, befindet das Auto sich zwar stets im Sport-Modus, hält sich aber akustisch relativ brav zurück. Damit es direkt was auf die Ohren gibt, muss man zuerst den Startknopf drücken und erst danach aufs Bremspedal steigen. Das quittiert der Golf R mit einem Hochdrehen auf 2.500 Touren und einer kurzen Knatter-Fanfare aus dem Auspuff. Witziges Feature und die Nachbarn werden es den Wolfsburger Ingenieuren danken. Manch ein Purist wünscht sich beim absoluten Vollgas-Topmodell der R-Abteilung vielleicht aber von vornherein mehr Spektakel.
Das gibt es dann allerdings, sobald man den Race- oder gar den Nürburgring Special-Modus aktiviert. Da erlaubt sich der Golf R 20 Years schon auch mal ein Schnauben, Rotzen und Knallen. Ein waschechter Radaubruder also? Schon, aber hinter der großen Klappe steckt beim R auch geballte Kompetenz. Dort liegt sogar seine wahre Stärke. Denn wie sich der Kompaktsportler in den Asphalt verzahnt und selbst bei grenzwertigen Kurvenfahrten zuerst knallhart die Linie hält und danach seine geballte Wucht nach vorne entfaltet, ist wahrhaft genial. Der Allradantrieb gleicht einer erbarmungslosen Maschine, die ihre 420 Nm Drehmoment allzeit dem maximalen Speed widmet. Präzision lautet das Stichwort. Außer man bemüht den Drift Modus. Ja, sowas bietet VW auch. Plötzlich wird aus dem so messerscharfen Golf R ein launiger Rowdy, der auf der Tanzfläche nicht mehr mit professioneller Exaktheit arbeitet, sondern lieber herzhaft à la John Travolta die Hüften schwingt. Heutzutage können das zwar auch manch andere Autos, die Verwandlung ist deshalb aber nicht weniger erstaunlich. Beim R 20 Years stecken quasi zwei unterschiedliche Autos unter dem Blech – je nach Fahrmodus.
Oder vielleicht sogar drei. Denn wenn man sich die Mühe macht, nach dem Start in den Komfort-Modus zu schalten, lässt sich der Golf R 20 Years handzahm an der lockeren Leine führen. Das Fahrwerk ist natürlich immer noch verbindlicher als in jedem Standard-Golf, aber es reist sich so schon sehr relaxed auf der Autobahn. Natürlich kann man als gnadenloser Petrolhead vom Jubiläums-Obermotz etwas mehr Kompromisslosigkeit erwarten, aber im Alltag weiß man die Vielseitigkeit zu schätzen. Mit dem Golf R kann man genauso sündig über die Landstraße radieren wie die vorbildlich Familie ein paar hundert Kilometer entfernt besuchen.
Wobei die Vorbildwirkung schon unter Styling des Golf R 20 Year leidet. Weißer Lack ist ja so brav und bieder es nur geht. Aber die blauen Akzente erregen durchaus Aufmerksamkeit, vor allem die Felgen. Das erinnert dann schon etwas mehr an selbstgetunt und steht dem Jubiläumsmodell insofern gut, dass man es optisch überhaupt vom regulären R Performance unterscheiden kann. Auch die Sitze sind mit sattem Blau durchzogen und im Cockpit kommt sogar ein wenig echtes Karbon zum Einsatz. Cool, aber irgendwie auch wieder nicht so aufregend, wie es sein könnte. Denn darüber hinaus ist alles altbekannt. Prinzipiell verlässlich, einzig der leidige Slider unter dem Touchscreen nervt fleißig weiter und das Infotainment ist und bleibt einfach mittelmäßig.
Wer das ganz große Geprotze zelebrieren will, wird mit dem Golf R – egal ob normal, Performance oder 20 Years – wahrscheinlich nicht absolut glücklich. Wer allerdings Fahrleistungen als höchste Tugend schätzt und vielleicht selbst manchmal den Tanz auf der Rennstrecke wagt, der findet kaum einen besseren Kompaktsportler. 4,6 Sekunden auf 100 km/h, 270 km/h Spitze und eine technische Detailverliebtheit der Superlative machen den blau-weißen Blitz zu einem der absoluten Spitzenreiter im Segment. Unter dem Bleck tut sich beim 20 Years im Vergleich zum R Performance nichts, die Änderungen diesbezüglich sind rein stylischer Natur. Das soll aber der Fahrfreude keinen Abbruch tun, schließlich haben die Entwickler schon beim Performance alles aus dem Auto gekitzelt. Egal ob man an das Torque Vectoring, den dauerhaft geladenen Turbo oder die veränderten Öffnungs- und Schließzeiten der Kupplungen des DSG denkt.
Solch technische Raffinesse lässt VW sich allerdings auch teuer bezahlen. Unser Testwagen schlägt mit saftigen 79.519,81 Euro zu Buche. Das ist für einen Kompaktsportwagen auch heute noch schier irrwitzig. Um Vernunft geht es bei so einem Auto allerdings eh nicht. Wobei der VW Golf R 20 Years den Spagat zwischen Alltag und Sport so breitbeinig steht wie kaum ein anderes Automobil. Ob er jetzt ein sanfter Rowdy oder ein wilder Gentleman ist, sei dahingestellt. Aber er beherrscht sein Handwerk so oder so mit an Perfektion grenzender Sicherheit.