Der erste Schuss ging kräftig daneben. Denn so sehr VW vor drei Jahren beim Start des ID.3 den Geist einer neuen Zeit und die Idee vom Golf für die Akku-Ära beschworen hat, so wenig konnte sich die Genration E für den elektrischen Erstling erwärmen. Nicht nur, dass das Design zu weit weg war von den klassischen und traditionell eher konservativen Werten der Wolfsburger. Sondern vor allem der Preis hat den ID.3 aus der Golf-Klasse katapultiert. Und auch wenn VW jetzt mit einem frühen Facelift gründlich gegensteuert, wirkt der ID.3 zwischen Polo, Golf und Passat noch immer wie ein Fremdkörper und ist mit einem Einstieg von 44.390 Euro alles andere als ein „Volks-Wagen.“ Entsprechend trübe war deshalb zuletzt in Wolfsburg die Stimmung und entsprechend heftig fällt jetzt der Befreiungsschlag aus, mit dem sie ihre Neuausrichtung feiern.
Dabei haben sie den falsche Positionierung des ID.3 in Wolfsburg schon früher erkannt und deshalb schon vor zwei Jahren die Idee von einem elektrischen Einstiegsmodell geboren, das den Preis für den Wechsel in die schöne neue Welt auf 25.000 Euro drücken sollte. War das allerdings auf der IAA 2021 noch ein charmantes Mini-SUV mit vielen verspielten Details, ist daraus jetzt endlich eine seriöse und deshalb glaubwürdige Studie geworden, die unter dem Namen ID.2all (frei übersetzt mit „ID für alle“) sehr viel konkretere Aussichten auf eine Serienfertigung hat und bis 2025 tatsächlich für den Preis eines alten Golf in den Handel kommen soll, kündigen die Wolfsburger an: „Dieses Auto zeigt, wo wir insgesamt mit der Marke hinwollen“, sagt VW-Chef Thomas Schäfer: „Nah am Kunden, Top-Technologie und mit tollem Design. Wir machen Tempo bei der Transformation, um die E-Mobilität in die Breite zu bringen.“
Dabei vertrauen sie auf eine alte Stärke und Stütze: Den Golf. Denn auch wenn die Studie aktuell noch das Kürzel ID.2 trägt, spricht sie beim Design mit der markanten C-Säule aller Golf-Generationen, mit den knackig ausgestellten Kotflügeln des Golf IV und dem aufrichtigen, aber ernsten Blick eine ganz andere, sehr viel vernünftigere Sprache und ist der Mutter aller Kompakten wie aus dem Gesicht geschnitten. Einzig die „Whisky-Gläser“ der Rückleuchten und die Wimpern unter den Scheinwerfern künden da noch von einer neuen Zeit. Deshalb würde es wahrscheinlich auch niemanden verwundern, wenn der ID.2 beim Debüt in knapp drei Jahren auch einfach den Namen Golf übernimmt – zumal das aktuelle Modell dann ohnehin bereits auf die Zielgerade fährt.
Technisch basiert die Studie basiert wie bislang alle elektrischen VW-Modelle der Neuzeit auf dem MEB, den die Niedersachsen für den ID.2 allerdings um 180 Grad gedreht und erstmals auf Frontantrieb umgestellt haben. Das spart Platz und drückt den Preis, selbst wenn es dann wieder nicht für einen Frunk reicht. Macht ja nichts – schließlich gibt es nicht nur einen mit 490 Litern größeren Kofferraum als in jedem Golf, sondern – aufgepasst, Skoda! – auch ein paar simply clevere Ideen wie das Tiefparterre unter dem Ladeboden, das groß genug ist für zwei Getränkekisten, oder das Geheimfach unter der Rückbank, in dem der Verbandskasten oder das Ladekabel auch dann problemlos greifbar sind, wenn der Kofferraum bis unters Dach beladen ist.
Die Form ist eindeutig Golf, aber das Format ist eher Polo. Denn mit Blick auf den Preis und den Abstand zum ID.3 hat VW den ID.2 auf kaum mehr als vier Meter gestutzt. Doch weil seine elektrische Skateboard-Plattform üppige 2,60 Meter Radstand bietet, die Überhänge kurz sind und der Innenraum entsprechend groß, haben die Passagiere mehr Platz als bislang in der Kompaktklasse und auch die Hinterbänkler müssen die Knie nicht bis zu den Ohren ziehen.
Dazu gibt es – auch das haben sie beim ID.3 gelernt – eine augenscheinlich vernünftige und hochwertige Materialanmutung und ein Bediensystem, das keine Rätsel mehr aufgibt: Die Fahrtrichtung wählt man deshalb nicht mehr am Lenkrad, sondern mit einem Drehknubbel auf dem oberen Layer des doppelten Mitteltunnels. Und auch wenn der gewaltige 13 Zoll-Bildschirm mehr Möglichkeiten bietet denn je, gibt es darunter wieder ein paar klassische Tasten für die Klimasteuerung, die – nochmal was gelernt – tatsächlich wieder beleuchtet sind. Selbst im Lenkrad kehren die Bedienwalzen zurück und verdrängen die unsäglichen Sensorfelder der aktuellen Modelle.
Auch bei der Ausstattung wird nicht gespart, verspicht Kai Grünitz. „Denn dank der Skaleneffekte des MEB sind wir in der Lage, genau wie beim MQB, die Technologien der höheren Klassen preiswert in den ID.2all zu integrieren. Und davon wird jeder Kunde profitieren,“ sagt der Entwicklungschef und stellt Finessen wie digitales Licht, automatisches Parken oder Massagesitze in Aussicht.
Und beim Antrieb machen sie erst recht keine Abstriche: Der ID.2 fährt deshalb mit einer 226 PS starken E-Maschine, die für einen Sprintwert von weniger als sieben Sekunden und für bis zu 160 km/h reicht. Der Akku hat geschätzte 60 kWh und soll für amtliche 450 Kilometer reichen und dank neuer Schnellladetechnik schafft der ID.2 die ersten 80 Prozent mit Gleichstrom in weniger als 20 Minuten, stellt Grünitz in Aussicht.
Auch wenn es den Anschein, als hätte VW mit dem ID.2 tatsächlich den Weg zu einem elektrischen Volkswagen gefunden und den Golf so doch noch in die neue Zeit geholt, wollen sich die Niedersachsen nicht allein auf den alten Bestseller verlassen. Unter den zehn neuen Elektroautos, die bis 2026 kommen und den Verkaufsanteil der E-Modelle in Europa auf 80 Prozent steigern sollen, sind deshalb nicht nur der ID.7 als Alternative zum Passat oder ein noch kleineres Modell für unter 20.000 Euro. Sondern dazu zählt sicherheitshalber gleich auch noch ein elektrischer Tiguan. Schließlich hat das SUV den Golf in der alten Welt beim Absatz längst überholt.