WERKSBESUCH BEI BENTLEY IN CREWE

Makes dreams come true: Ein Werksbesuch der legendären Bentley Produktionsstätte Crewe in der englischen Grafschaft Cheshire erscheint nicht nur Fans der Nobelmarke wie die fantastische Reise in ein surreales Schlaraffenland. Besucher werden dort mit einzigartiger Mixtur aus Markenhistorie, Nationalstolz, High-Tech, Handwerkskunst und einer gehörigen Portion Leidenschaft in den Bann der Marke gezogen, die nach über 100 Bestandsjahren längst ihre nächsten 100 Jahre geplant hat.

27 Liter Hubraum, 12 Zylinder, 1.500 PS. Die ersten Motoren, die in Crewe gefertigt wurden, waren keineswegs für die Verwendung in einem Auto gedacht. Der zweite Weltkrieg tobte, die British Airforce benötigte dringend Rolls Royce-Triebwerke für den Einsatz in den Spitfires und Hurricanes. Crewe lieferte, der Rest ist Geschichte. Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland änderte sich der Verwendungszweck der in typischer Backsteinbauweise errichteten Produktionshallen. Rolls Royce verlagerte die Automobilproduktion im Jahr 1946 nach Crewe, die Automarke Bentley hatte man von Bentley-Gründer Walter Owen Bentley nach dessen Konkurs bereits im Jahre 1931 aufgekauft.

Damit hatte man sich aber nicht nur den gerade greifbaren Mitbewerb besonders günstig einverleibt, sondern auch dessen Rennsport-Know-How gekapert: Bentley war leidenschaftlicher Rennfahrer, seine Autos technisch überlegen und erfolgreich, so schuf man sich unliebsame Konkurrenz vom Hals. Es folgte eine wechselvolle, nicht immer erfolgreiche, dafür aber anhaltend stilvolle Geschichte bis ins Jahr 1998, in dem die Übernahme durch den VW-Konzern erfolgte, während sich BMW mit der Marke Rolls Royce aus dem Staub machte und aus Crewe verabschiedete.

Heritage, aber richtig

Heute ist Crewe ein Schlaraffenland ausschließlich für Bentley-Fans, und eines der (zahlreichen) Highlights dort ist ohne Zweifel die erst vor kurzem gegründete „Heritage Garage“. 42 Fahrzeuge finden sich in der Sammlung, jedes einzelne davon nimmt einen speziellen Platz in der Geschichte der Marke ein und – man höre und staune – jedes davon wird laut Firmen-Philosophie mindestens einmal im Jahr bewegt. Heiliger Gral ist der legendäre Bentley Blower Number Two, welcher einst den Grundstein für die Motorsport-Historie legte und heute auf rund 25 Millionen Euro geschätzt wird. Die ganz großen Erfolge fuhr allerdings der Bentley Speed Six ein: 1929 und 1930 siegte er beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans, damals wie heute das anspruchsvollste, härteste Langstreckenrennen der Welt. Auf der Straße war es hingegen der erste Bentley R-Type Continental mit der Pontonkarosserie von H.J. Mulliner, der zwar nur 190 Mal gebaut wurde, aber mit damals revolutionärer Technik und ebensolchem Design bis heute prägend für Modellgeschichte wie auch Karosserieform verantwortlich zeichnet.

Synergien aus zwölf Zylindern

Entgegen anfangs vorhandenen Befürchtungen wussten die Engländer die Synergien mit Volkswagen perfekt zu nutzen. Mit der Neuauflage des Continental GT und dem etwas später folgenden Flying Spur kam durchschlagender Verkaufserfolg nach Crewe zurück – und mit ihm Budget, um Außergewöhnliches zu schaffen. 70 Jahre nach dem letzten Antreten in Le Mans kehrten die Engländer an die Sarthe zurück, 2003 gewann mit dem spektakulären EXP Speed 8 erneut ein Bentley die 24 Stunden von Le Mans.

Und ab 2002 wurde schließlich der technologisch außergewöhnliche W12-Motor exklusiv in Crewe gebaut. Eine ingenieurstechnische Meisterleistung, unglaublich kompakt gebaut und mit Leistungswerten von bis zu 750 PS gesegnet. Die Grand-Tourer-Spezialisten brachten zudem große Namen der Firmengeschichte – von Azure bis Mulsanne – auf die Straße zurück, die Kunden machten begeistert mit. Natürlich geht auch bei Bentley mittlerweile nichts mehr ohne SUV: der mächtige Bentayga gilt als Verkaufsschlager schlechthin und spült so viel Geld in die Kassen, dass Ausbau und Modernisierung der Produktionsstätte in Crewe gänzlich ohne Fremdfinanzierung funktionieren.

Auch Bentley wird elektrisch

Heute werden auf drei Produktionslinien knapp 15.000 Fahrzeuge pro Jahr gebaut. Umsatz, Gewinn, ausgelieferte Fahrzeuge, Vorbestellungen, alle Charts zeigen steil nach oben. All das, obwohl die tiefgreifenden Veränderungen in der Automobilindustrie logischerweise auch vor Bentley nicht Halt machen. Die Modellpalette wird aktuell konsequent hybridisiert (Plug-In heißt das Zauberwort), parallel dazu verkündete man die „Bentley Beyond 100“ Strategie, nach der ab 2025 jedes Jahr ein neuer, vollelektrischer Bentley vorfährt. Ab 2030 läuft dann wohl kein Verbrenner-Bentley mehr vom Band, auch der legendäre Zwölfzylinder soll für immer verstummen. Ob es wirklich so kommt, sei dahingestellt, bis dahin ist ja gottlob noch ein wenig Zeit für die schönen Dinge des Lebens.

So zum Beispiel für die Tatsache, dass über die gesamte Bentley Modellpalette 26 Millionen unterschiedliche Konfigurationsvarianten zur Verfügung stehen. Oder dass Bentley als erster Automobilhersteller überhaupt statt der obligatorischen Holzintarsien dieselben nun dank Lasertechnologie auch aus 200 Millionen Jahre altem Stein anfertigen kann. Apropos Intarsien: unter den unzähligen Holzfurnieren, welche dem geneigten Bentley-Käufer zur Verfügung stehen, kann sogar jenes des Riesenmammutbaumes gewählt werden. Viel exklusiver geht‘s nicht, denn um ein solches Holz verwenden zu können, muss hauptsächlich lange gewartet werden. Sehr lange. Nämlich so lange, bis einer der bis zu 110 Meter hohen und mehrere tausend Jahre alten Bäume von selbst umfällt. Ein eher seltenes Ereignis.

Coachbuilding im Jahr 2023

Möglich macht das Mulliner, die „Wünschdirwas-Abteilung“ von Bentley. Ursprünglich klassische Coachbuilder, wird in deren heiligen Hallen mittlerweile alles gemacht, was die Kinnlade des Besuchers noch weiter in Richtung Boden zieht. So findet dort beispielsweise das „Continuation“ Programm Umsetzung, was streng limitierte, hundertprozentig per Hand gefertigte Sonderauflagen der geschichtsträchtigsten Bentleys für eine Handvoll auserwählter (und mit entsprechendem Portemonnaie ausgestatteter) Enthusiasten bringt.

12 Stück Bentley Blower, 12 Stück Bentley Speed Six, dazu die auf Continental-Basis individuell gestalteten modernen Modelle Batur und Bacalar, von denen auch nicht mehr als jeweils 15 Stück entstehen. Wer jetzt in seinem Online-Banking-Account hängt und den Kontostand checkt, kann gleich wieder aussteigen. Selbst mit den nötigen zwei Millionen Euro oder mehr geht man leer aus – es ist längst alles ausverkauft. Träume erfüllen sich eben auch in Crewe nicht für jeden.

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