Beim Land Rover Defender werden Traditionalisten fast schon militant. Gut, wenn ein Auto fast 70 Jahre lang im Kern unverändert durchgehend hergestellt wird, gewöhnt man sich schon ein wenig daran. Deshalb war auch immer klar, dass der neue Defender es schwer haben würde. Doch dass der sich sogar als Plug-in-Hybrid aus dem Dickicht traut, überschreitet für viele Fans eine Grenze. Aber sind die „Früher war alles besser“-Schreihälse vielleicht einfach nur komplett auf dem Holzweg?
Die Antwort auf diese kontroverse Frage suchen wir in der Nähe von Barcelona, genauer gesagt Les Comes. Hier befindet sich ein riesiges Stück Land, das auch als Driving Experience Center herhält. Und das Gelände spielt hier wirklich alle Stückerln. Irrwitzig steile Felswände, zerfurchte „Feldwege“ am Abhang entlang – der Untergrund gleicht quasi durchgehend einer Ansammlung von tausenden kleinen Bombenkratern. Schon zu Fuß wäre das beim ewigen Auf und Ab in den umliegenden Berg(ch)en eine Tortur, aber dass ein Auto diese Arena bewältigen können soll, erscheint lächerlich unsinnig. Das Gefühl am Lenkrad spottet dem, was die Bilder einfangen können, sogar noch.
Wobei, wir sitzen hier ja in einem Defender. Der kann offroad doch alles wegbügeln! Aber oh nein … es handelt sich ja um den P400e, der ist ja einer von diesen neumodischen Plug-in-Hybriden. Oh Graus! So mögen manche denken. Das weiß man bei Land Rover und deshalb lassen die Briten uns einen wilden Offroadparcour, der jede Rallyesonderprüfung wie Kinderspielchen aussehen lässt, einzig und allein mit dem elektrischen Antrieb angehen. Richtig gehört, der 2,0 Liter-Vierzylinderbenziner mit seinen 301 PS darf komplett Pause machen. Das 143 Pferde starke Elektroaggregat hingegen muss den mehr als zweieinhalb Tonnen schweren Defender 110 (der P400e ist nur in der Langversion bestellbar) jetzt ganz alleine durch das Geröll zerren. Ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen?
Natürlich nicht! Denn irgendwie schafft der E-Racker es nicht nur, den Defender verlässlich durch und über jedes Hindernis zu wuchten, auch bei brutaler Steigung, sondern er scheint sich gar nicht anstrengen zu müssen. Zumindest lässt er es sich nicht anmerken, denn er bleibt logischerweise immer flüsterleise. Einzig das Knirschen der Reifen auf dem Geröll dringt durch das offene Fenster an das Ohr des konzentrierten Piloten, der sich in dieser intimen Atmosphäre dem Geländegang noch besser verbunden fühlt. Ganz ehrlich – auch wenn das manchen Puristen schockieren mag – so macht eine Kletterpartie noch mehr Spaß, als wenn dauernd ein ungeduldiger Verbrenner dazwischenbrummelt. Der Kontrast zwischen absoluter Ruhe und der ehrfurchterregenden Offroad-Kompetenz des Defenders macht die ganze Erfahrung noch erstaunlicher. Besser war das früher jedenfalls nicht, höchstens lauter.
Abseits der Straße hat er es also Defender-würdig drauf, der P400e. Und auch auf dem schnöden Asphalt lässt sich der Hybrid so entspannt an wie wohl noch nie ein Defender zuvor. Klar, einerseits liegt das daran, dass die Neuauflage sowieso auch als Cruiser taugt, anders als der Urahn. Aber dank der rein elektrischen Reichweite von 43 Kilometern geht es hier eben noch eine Klasse relaxter zu. 640 Nm insgesamt sind natürlich auch im Gelände sehr hilfreich, ein Sprintwert von 5,6 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 209 km/h hingegen werden im Defender zwar nicht allzu oft ihre Anwendung finden, zeigen aber, um wie viel sich dieses Auto weiterentwickelt hat. Auch schön: Tankinhalt wurde im P400e nicht geopfert, es bleibt bei satten 90 Litern – nicht selbstverständlich bei Plug-in-Hybriden. Kurzum: Der Defender 110 P400e fährt sich kaum weniger gelassen als jedes andere Premium-SUV heutzutage, aber er ist darüber hinaus auch offroad noch ein waschechter Akrobat geblieben.
Abgerundet wird das Feeling zwischen den Welten von einem Interieur, das zwar alle modernen Land Rover-Stückeln spielt und entsprechend digital und vernetzt ist, – genial sind etwa die vielen Kamerawinkel, mit denen man auch auf den kniffligsten Klettersteigen die Übersicht bewahrt – aber dennoch standesgemäß robust rüberkommt. Da schaut hie und da die eine oder andere Schraube nackt aus dem Gebälk, es gibt zahlreiche Ablagen und die Materialien erwecken durchaus den Eindruck, dass man sie auch auf die etwas härtere Tour säubern könnte. Hinzu kommen komfortable Sessel und je nach Ausstattung eben mehr Prunk oder Praxistauglichkeit – in diesem Defender lässt es sich leben, nicht nur arbeiten und abenteuern.
Im Prinzip kann man den Defender 110 P400e getrost als die konsequent zu Ende gedachte Modernisierung des Klassikers bezeichnen. Schon die reinen Verbrenner machen im Vergleich zum legendären Ahnen große Sprünge, ohne ihre Kernkompetenzen zu verraten. Doch der Plug-in-Hybrid zeigt, dass es noch ein Stück futuristischer geht und lässt E-Geländewagen-Zweifler eher an ihren eigenen Vorurteilen zweifeln. Natürlich, der alte Defender hat mehr Aufmerksamkeit erregt und sich stärker ins Gehirn gebrannt als der doch recht modern-glatt aussehende Neuling. Aber möglicherweise lag das zu einem guten Teil auch daran, dass er als Dinosaurier unter Raumschiffen einfach auffallen musste. Ob früher beim Defender alles besser war, ist eine überflüssige Frage. Ja, er war lauter, kultiger, doch nicht zwangsläufig besser – schon gar nicht als Gesamtpaket. Und das ist ein gigantisches Kompliment an den aktuellen Defender, der sich auch als Plug-in-Hybrid nicht vor seinem Namen verstecken muss.