Wenn ein BMW M nicht mehr kontrovers sein darf, wer dann? Wichtig nur: Er muss sich fahren wie Sau. Spoiler: Das tut der neue M3 auch.
Hach, was haben wir gelacht, damals, am 23. September 2020, als BMW den neuen M3 und M4 präsentierte. Das Wort „Nasenbär“ fiel häufig, „Biber“ sowieso. Nierenleiden-Wortwitze, meist so herrlich flach wie ein BMW i8, wurden im Minutentakt abgefeuert. Und die Memeculture im Netz hat auch nicht wirklich deeskalierend auf die Gaudi eingewirkt. Das hat der BMW M3 Competition einige Monate später dann selbst gemacht. Bei der Zigarette nach der ersten Ausfahrt (Dürfen wir das schreiben? Ansonsten halt: beim glutenfreien Gurke-Quinoa-Smoothie) lacht jetzt nämlich niemand mehr.
Das hat zwei verschiedene Gründe – und einer davon ist das Design. Ja, auch wir starten damit, sorry. Er sieht arg aus, der neue BMW M3, so richtig arg. Da ist nix mehr mit Understatement, keine Zurückhaltung, nur: Attacke, Attacke, Attacke. Nicht nur die Nieren (aber schon auch): Die Endrohre sind riesig, die Frontschürze noch einmal aggressiver designt, der Diffusor hinten mächtig. Und trotzdem sieht er jetzt, wo er so vor uns steht, deutlich harmonischer aus, als auf den Bildern. Wirklich, wirklich böse, so wie ein direkt aus der Hölle entsprungener Wolf mit Reißzähnen, so scharf wie ein Hattori Hanzō-Schwert. Aber: stimmig.
Mehr Zeit wollen wir mit dem Design gar nicht verschwenden. Es wurde genug diskutiert, genug gestritten, genug gewitzelt. Und dass „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ nicht nur irgendein bescheuerter Spruch ist, den sich wenig ansehnliche Menschen ausgedacht haben (herrje, schon wieder politisch unkorrekt), zeigt schon die in der Gretchenfrage „Wie hältst du’s mit dem neuen M3?“ tief gespaltene Redaktion. Die teilt sich auf in jene, die ihn schon von Anfang an geil fanden, die ihn mit der Zeit lieben gelernt haben – oder die ihn immer noch verweigern. Wir gehen übrigens nicht mehr gemeinsam Mittagessen.
Gottlob gibt’s aber Attribute, über die sich nicht streiten lässt. Tatsachen und Fakten – und zwar nicht solche, die in skurrilen Telegram-Gruppen von Schlagermusikern verbreitet werden, deren Liebesleben sich gefährlich nahe am Paragraph 207b StGB Absatz 2 bewegt. Also: Die Erde ist keine Scheibe, es heißt Pandemie und nicht Plandemie, die Merkel-Raute stammt nicht von den Illuminaten – und der sechste BMW M3 macht seinen Ahnen alle Ehre. Das ist 2021 gar nicht mal so leicht.
Ottopartikelfilter, Lärmvorschriften, Verbrauchs-Grenzwerte – der Henker zieht die Schlinge weiter zu. Und was machen die BMW M-Ingenieure? Reißen diese von sich, legen die Sicherheitsschuhe aus dem Werk in München an und verpassen dem Henker einen delikaten Tritt in eine besonders sensible Region. Klingt der neue BMW M3 also mehr wie ein kastrierter Mops als ein Wolf? Nö. Verbaut BMW einen 300 Kilogramm schweren Akku samt E-Motor? Auch nicht. Selbst von einem 48-Volt-Bordnetz wollen die Münchner nichts wissen. Eine Start-Stopp-Automatik gibt’s aber. Einziges Manko, quasi. Lässt sich aber schnell deaktivieren.
Überhaupt lässt sich im BMW M3 einiges sehr schnell de- und aktivieren – und zwar dank der zwei roten M-Tasten am dicken Lenkrad. Die kamen erstmals im M5 zum Einsatz und haben sich mittlerweile zu einem wirklich wichtigen Feature gemausert, weil sie vorgewählte Einstellungen speichern und einen schnellen Zugriff erlauben. Man kann ja mittlerweile fast alles individuell einrichten; Fahrwerk, Lenkung, Gasannahme, Bremse. Im M3 kommt auch noch die Traktionskontrolle dazu, sie lässt sich zwischen „Kann ich dir behilflich sein?“ und „Ich hoffe du weißt, was du tust.“ zehnstufig kalibrieren. Durch die M-Tasten haben auch Digital Immigrants ihre Freude am M3, bei denen die Integration weniger geglückt ist, weil irgend so ein Burli das Staatssekretariat leitet. „Und? Habt’s scho‘ Mittag g’essen? Jo? Jo? Oiso daun: Links haßt Vuigas auf der Rennstrecke, rechts auf da Landstraße.“
Im konkreten Fall haben sie auch deshalb ihre Freude, weil sie halbwegs würdevoll aussteigen können, fast ganz ohne Bandscheibenvofall. „Unser“ M3 Competition war nämlich nicht mit diesen argen Carbon-Schalen ausgestattet, sondern mit den serienmäßigen Sportsitzen. Die Farbkombination des Gestühls im Testwagen? Gretchenfrage, mal wieder. Bevor jetzt aber wieder alle übereinander herfallen: Sie müssen nicht in „Kyalami Orange/Schwarz“ geordert werden und sind – was viel wichtiger ist – nicht unbequem, bieten aber trotzdem hervorragenden Seitenhalt.
Den braucht man nämlich dringend, wenn man den neuen BMW M3 Competition so bewegt, wie es ihm gebührt. Und Aufmerksamkeit, die braucht es auch. Die Hinterachse ist nämlich so aufgeweckt, als hätte sie eine Ecstasy-Pille mit einem Red Bull runtergespült, in dem Methamphetamin aufgelöst wurde. Sicher, es waren Winterreifen (großartige übrigens) montiert. Und die Wetter-Bedingungen waren auch nur so semi-optimal. Aber selbst mit Sommerreifen (ein M4 mit solchen kommt demnächst): Wer wäre nicht aufgeweckt, wenn 650 Nm auf einen eindreschen?
Die liefert der neue 3-Liter-Reihensechser mit doppelter Turboaufladung von 2.750 bis 5.500 Touren. Das Triebwerk kennt man bereits aus X3 und X4 M, obwohl die Ingenieure für den M3 (und freilich den M4) noch etwas Feintuning an ihm betrieben haben, nach dem Henken des Henkers blieb noch etwas Zeit. Der S58 ist eine Naturgewalt, da ist heftig Druck in jeder Lebenslage vorhanden, ganz besonders aber in jenen, in denen die digitale Drehzahlnadel 6.250 erreicht. Dann nämlich machen sich in der Competition-Variante wahnwitzige 510 PS auf, um über die großartige, achtgängige Wandlerautomatik von ZF für mächtig Vortrieb zu sorgen. Oder Quertrieb, je nach dem.
Dass der Schub auch wirklich mächtig ist, belegen die Zahlen: 3,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h, 12,5 Sekunden von 0 auf 200 km/h, 290 km/h Spitzentempo, zumindest wenn das M Drivers Package dabei ist. Alles nur halb so wichtig bei einem M3, interessanter ist die Querdynamik, darauf kommt’s an. Wer anderer Meinung ist: Die Allradversionen von BMW M3 und M4 wurden bereits vorgestellt.
Also: Zurück zum Anfang, zur Zigarette danach, oder wahlweise dem Gurken-Quinoa-Smoothie. Beziehungsweise zurück zu dem, was unmittelbar vor dem Danach passiert ist. Hinter uns liegen nämlich viele Kilometer Landstraße, Eigenschaft: sehr kurvig, über die wir den BMW M3 Competition geprügelt haben. Vielleicht war’s auch umgekehrt, wer weiß das heute schon noch so genau. Jedenfalls: Zur aufgeweckten Hinterachse gesellt sich eine nicht weniger hysterische Lenkung. Auf jede noch so kleine Bewegungen am Volant reagiert die Sport-Limousine wie von der Tarantel gestochen. Oder von zwei.
Dass der BMW M3 Competition letztendlich doch gut handlebar ist, liegt einerseits an der hervorragend abgestimmten Elektronik, anderseits an der stoischen Vorderachse. Die Räder beißen sich arg in den Asphalt hinein. Hier hinkt jetzt der Wolf-Vergleich, weil der nur eine Beißkraft von 60 Bar zusammenbringt, uns das aber eher wie das Dreißigfache vorkommt, also: Weißer Hai. Das ist auch wichtig und gut, weil einem die Hinterachse ja wie erwähnt in Dauerschleife abhanden kommt, so wie ein Kind im Baumarkt. Die Eltern der kleinen Emma bitte zu Kassa 4.
Das Einlenkverhalten ist wirklich beängstigend, der M3 unfassbar steif. Kein Wunder, 38 Kilogramm an Extra-Verstrebungen stecken im Auto. Apropos: Ein Leichtgewicht ist er keines, zumindest auf dem Papier. 1.730 Kilogramm bringt er dort auf die Waage. Aber: Who cares? Solange man das Gewicht in der Kurve nicht spürt, was der Fall ist, jedenfalls auf der Landstraße. Und solange die Bremsen den Wagen fest im Griff haben, was ebenfalls der Fall ist, auch ohne den Keramik-Stoppern. Und solange er gut klingt, was zwar nichts mit dem Gewicht zu tun hat, aber hey, gehört auch erwähnt. Nicht mehr so blechern, dafür basslastiger und erwachsener.
Also ja: Der neue BMW M3 Competition fährt sich wie Sau. Fordernd, aber nicht überfordernd. Oder anders gesagt: Die Sportlimousine mit dem Messer zwischen den Zähnen zu bewegen, ist Arbeit. Aber eine von der Sorte, die Spaß macht, die erfüllt, und für die man auch ordentlich abcasht. Was gut ist, der M3 Competition ist ja kein Schnäppchen, eh klar. Der Basispreis liegt bei rund 104.000 Euro. Unser Testwagen, ausgestattet mit so Feinheiten, wie Volllederausstattung, M Isle of Man Grün metallic-Lackierung, M Carbon Exterieurpaket oder Innovations-Paket, kommt auf 131.400 Euro.
Selten über einen BMW (oder über ein anderes Premium-Auto) geschrieben, aber: eigentlich ganz fair für diesen Adrenalinrausch. Mehr noch: Der M3 gibt theoretisch auch ein relativ zahmes Reisemobil ab, Platz ist vorhanden, er ist sogar 8,5 Zentimeter länger als ein normaler 3er. Also vielleicht nicht ganz so zahm, wie ein herziger Golden Retriever, sondern mehr so deutscher Schäferhund. Aber Wolf muss er nicht ständig sein.
Sollte er aber, es ist ein M3, der gehört in keinen Zwinger, sondern in die freie Wildbahn. Also weiter über die Landstraße, Anker werfen, Einlenken. Versuchen, sich nicht zu wundern, wie heftig das geht, wie unmittelbar der M3 auf Befehle am Volant reagiert. Scheitelpunkt anvisieren, passieren, dann wieder ans Gas und die Kurve mit einem Powerslide im Winkel von zehn Grad verlassen, wie der Drift-Analyzer festhält. Vollstoff. 5.000 Umdrehungen, 6.000, 7.000. Dann noch 200 weitere, bamm, nächster Gang. Und wieder auf die Bremse. Nicht, weil die nächste Kurve bevorsteht, sondern sonst in Geschwindigkeitsbereiche vorgedrungen wird, bei denen die Exekutive keinen Spaß mehr versteht.
Und so geht der Infight weiter, Gerade für Gerade, Kurve für Kurve. Bis wir dann ankommen, dort am Parkplatz. Die Zigarette in der einen zittrigen Hand, den Gurke-Quinoa-Smoothie in der anderen, genauso zittrigen. Schweißgebadet und mit einem Puls von 180. Aber auch mit einem richtig fetten Grinser im Gesicht (das mit dem „jetzt lacht niemand mehr“ war geflunkert, sorry for that). Und der BMW M3 Competition? Der knistert vor sich hin und atmet noch etwas Frischluft durch die Nieren. Lächerlich wirken die jetzt übrigens nicht mehr. Eher: bedrohlich.