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Bentley Flying Spur Hybrid: Luxus in Ruhe

Sie haben zwar in den letzten Jahren mehr Zwölfzylinder gebaut als alle anderen Hersteller zusammen und bis heute macht jeder fünfte Kunde ein Kreuz bei ihrem famosen 6,0-Liter-Triebwerk. Doch auch für Bentley wird es so langsam Zeit zum Umdenken. Weil selbst Superreiche bisweilen ans Klima denken oder zumindest an ihr eigenes Image, wollen die Briten bis zum Ende der Dekade zum ersten CO2-neutralen Luxushersteller werden – und machen auf dem Weg zu diesem ambitionierten Ziel jetzt den nächsten Schritt: Nach dem Bentayga bringen sie auch den Bentley Flying Spur Hybrid zu Preisen ab etwa 211.000 Euro (D) in diesem Sommer als Plug-In-Hybrid und fahren damit Konkurrenten wie Maybach und Rolls-Royce auf der Electric Avenue immerhin runde 40 Kilometer davon. Denn so viel Fahrstrecke lässt sich mit dem 136 PS starken E-Motor aus dem 18 kWh großen Akku pressen, der unter dem Kofferraumboden installiert ist. 

Dabei übernehmen die Briten nicht einfach das Paket aus dem Bentayga, wo der PHEV bereits auf einen Verkaufsanteil von 25 Prozent kommt. Sondern statt des 3,0 Liter großen Mono-Turbos mit seinen 340 PS spannen sie den E-Antrieb mit einem 2,9 Liter großen Doppelturbo zusammen und werfen so immerhin 416 PS in die Waagschale. Zusammen kommen die beiden Triebwerke damit auf 544 PS und 750 Nm und liegen damit auf dem gleichen Niveau wie der V8, der allerdings zehn Prozent günstiger ist. Doch sind das in dieser Klasse nur Marginalien, für die sich die Kundschaft genauso wenig zu interessieren scheint wie für staatliche Förderungen oder Steuerbefreiungen. Deshalb kann Produktionsvorstand Peter Bosch selbst mit den bei gewöhnlichen Plug-Ins mittlerweile eher mageren 40 Kilometern E-Reichweite gut leben, mit denen der Flying Spur an allen Vergünstigungen vorbeischrammt. „Erst wenn die Reichweite zum Beispiel zum Kriterium für Einfahrverbote in die Innenstädte würde, müssten wir schnell reagieren.“

Solange man das riesige Gaspedal im Fußraum entsprechend sanft touchiert, rollt der Luxusliner damit erst einmal flüsterleise vom Hof und beschleunigt in gespenstischer Stille wie von Geisterhand auf bis zu 135 km/h. Nicht dass es bislang laut gewesen wäre in einem Flying Spur. Aber wenn im elektrischen Betrieb kaum mehr der Wind zu hören ist, der an den mehrfach isolierten Scheiben vorbei rauscht, dann wird das Ticken der Uhr zum einzigen Störgeräusch – und selbst das hört man der Elektronik sei Dank nur in der Theorie. 

So wird der Flying Spur zu einem Refugium der Ruhe und umgarnt den gestressten Besserverdiener mit watteweichen Komfort in einer Lounge aus Lack und Leder und je entspannter der Fahrer wird, desto länger lässt sich das genießen. So dauert es nur ein paar Minuten bis man vergessen hat, dass man in einem Sonderling sitzt und man muss schon auf den modifizierten Drehzahlmesser links im Cockpit schauen, wenn man den Betriebszustand erkennen will. Denn viel mehr als ein paar neue Anzeigen gibt es nicht, an denen sich der Plug-In vom normalen Flying Spur unterscheiden lässt. 

Viel öfter allerdings schaut man auf das so genannte Spiegelei, das Bentley in sattem Grün auf die Navigationskarte programmiert hat. Schließlich gibt das viel anschaulicher Auskunft über den Aktionsradius als die Restreichweite, die im großen Bildschirm zwischen Tacho und Drehzahlmesser hinter dem Lenkrad eingeblendet wird. Ist der Akku erst einmal leer, führt an der Ladesäule kein Weg vorbei. Denn im Gegensatz zu anderen Plug-In-Hybriden bietet Bentley kein Fahrprogramm, bei dem die Batterie mit der überschüssigen Leistung des Verbrenners geladen wird. Und allein mit Rekuperation kommen die 18 kWh so schnell nicht zusammen. Aber hey – wer sich einen Flying Spur leisten kann, der hat keine Eile und macht gerne mal 2,5 Stunden Pause. 

Oder er fährt eben mit dem Sechszylinder alleine – was allerdings nur ein eingeschränktes Vergnügen ist. Denn so ordentlich der Motor seinen Job in anderen Konzern-Modellen macht, so wenig will er zum opulenten Bentley passen. Nicht, dass es ihm an Kraft mangeln würde. Selbst mit den 2,5 Tonnen des Luxusliners wird er locker fertig. Und spätestens seit der Einführung der Hinterachslenkung und eines variablen Allradantriebs fühlt sich der 5,30 Meter lange Flying Spur sogar auf einer kurvigen Bergstraße nicht mehr an wie ein Fremdkörper, sondern schnurrt behände die Hügel hinauf. Doch bei einem Auto, das in allen anderen Disziplinen eine solche Opulenz pflegt, dass selbst die Aschenbecher pfundschwer und die Orgelzüge der Klimasteuerung hydraulisch gedämpft sind, passt Zurückhaltung nur schwerlich ins Bild. Unweigerlich stellt sich deshalb die Frage nach dem V8-Hybrid, den sich zum Beispiel das bürgerliche Schwestermodell Panamera leistet. Und gerade, weil die Stille des Stromers so wunderbar zum Flying Spur passt, klingt der V6 beim Kickdown angestrengter und kratziger als er eigentlich ist. Denn bei einem Sprintwert von 4,3 Sekunden und einem Spitzentempo von 285 km/h kann man dem Antrieb nüchtern betrachtet schwerlich einen Vorwurf machen.

Zumal es den Briten und ihren Kunden natürlich nicht in erster Linie ums Klima geht, sondern vor allem ums eigene Gewissen und das Ansehen bei den Nachbarn – selbst wenn der Flying Spur sein grünes Herz in einem Nerzmantel versteckt und sich nur an zwei kleinen Logos und der zusätzlichen Klappe für die Ladebuche zu erkennen gibt. Wie nebensächlich dagegen der reale CO2-Ausstoß ist, zeigt nicht zuletzt das Datenblatt: Während Leistung, Drehmoment und Beschleunigungswerte längst ermittelt sind, klafft beim Verbrauch noch eine Lücke. 

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