In guten Jahren mehr als eine Million Zulassungen und selbst zu Zeiten von Corona und Chipkrise über 600.000 Verkäufe: Der Ford F-150 ist seit fast einem halben Jahrhundert das meistverkaufte Auto der USA, die mit China nach wie vor um den größten Automobilmarkt der Welt ringen – und macht sich jetzt auf in die Zukunft: Denn Ford elektrisiert sein wichtigstes Modell und bringt den F-150 nun zu Spottpreisen ab 40.000 Dollar auch als Lightning an den Start. Damit leistet der vermeintliche Saurier nicht nur der Elektromobilität einen riesigen Vorschub, weil sie so von der Elite an den Küsten auch beim gemeinen Volk der Farmer und Fabrikarbeiter in der sozialen Mitte der Gesellschaft und der geografischen Mitte des Kontinents ankommt. Sondern es ist zugleich das erste Mal, das einer der längst nicht mehr ganz so großen Big Three aus Detroit eine schlagkräftige Antwort auf den Erfolg von Tesla und den anderen Newcomern aus Kalifornien findet. Schließlich steht der Cybertruck noch immer in den Sternen und der Rivian wird bislang nur in homöopathischen Dosen ausgeliefert und zielt obendrein auf eine andere Kundschaft. „Das ist, als würden man einen Porsche 911 mit einem Ford Mustang vergleichen“, sagt Darren Palmer, der die Elektrifizierung in Detroit verantwortet: „Auf dem Papier sehr ähnlich, in der Praxis aber zwei Welten.“
Anders als die Revolutionäre von der Westküste setzen sie in sie in Michigan deshalb auf einen Truck nach alter Väter Sitte – zumindest beim Auftritt. Denn wo der Cybertruck machtig nach Star Trek aussieht und der Rivian wie das Camping-Auto von Captain Kirk, fährt der Lightning auch weiterhin für die Texas Tangers und spielt lautstark Heavy Metal statt Synthie-Pop und Space-Musik: Mehr als der LED-Bogen am mächtigen Bug, die schwarze Kunststoffblende anstelle des riesigen Chrom-Grills und der Blitz mit der amerikanischen Fahne am Heck ist es nicht, was diesen F-150 von seinen Gattungsgenossen unterscheidet.
Das gilt auch für sein Einsatzspektrum: „Wir wollen in jeder Disziplin mindestens genauso gut sein wie die Verbrenner“, sagt Linda Zhang, der der Job als Projektleiterin für das vielleicht männlichste Auto aus Detroit den Ruf eines Rockstars in der PS-Branche eingebracht hat: Der Lightning hat deshalb genauso viel Nutzlast wie ein normaler F-150, er schleppt gleich viel weg und ist kommt im Gelände mindestens genauso weit.
Nur beim Fahren wähnt man sich in einer anderen Welt: Es bleibt beim erhabenen Gefühl, und man thront über dem Verkehr wie der Cowboy über seiner Herde und mit fünf Metern und drei Tonnen Auto um sich herum fühlt man sich zudem auch im dicksten Stau ziemlich unverwundbar. Doch wo die klassischen Trucks entweder gemütlich sind oder brachial und dann entsprechend vorlaut, ist der Lightning von subtiler Stärke und ohne Vorwarnung explodiert er förmlich in Vortrieb. Von 0 auf 100 in rund 4,5 Sekunden, da fühlt sich der Pick-Up eher nach Ferrari an als nach Ford. Und natürlich hilft das nahezu sofort verfügbare Drehmoment auch im Dreck oder vor dem Trailer, selbst wenn man dabei nicht gleich die Stoppuhr drückt.
Kräftiger, schneller – und wie immer beim Elektroauto nicht mit der Dampframme, sondern leise, unvermittelt, mühelos und deshalb noch imposanter: Möglich wird das mit einem Technik-Paket, das selbst von beeindruckender Üppigkeit ist: Schon die Basisversion hat zwei Motoren mit zusammen 452 PS und im Top-Modell für bis zu 100.000 Dollar klettert die Leistung auf 580 PS. Hier wie dort warten 1.050 Nm darauf, die gesetzmäßige Massenträgheit gehörig durcheinander zu bringen. Und die Energie dafür liefern zwei Batterien, von denen die kleinere mit ihren 98 kW bereits zu den größten zählt, die irgendwo eingebaut werden. Weil aber 370 Kilometer Reichweite in einem Land mit solchen Längen bisweilen ein bisschen knapp werden könnten, gibt es alternativ von einen Akku-Pack von 130 kWh, mit dem dann über 500 Kilometer drin sind.
„Aber uns war es nicht genug, einfach nur eine Elektro-Version des erfolgreichsten Pick-ups in den USA zu bauen,“ sagt Chef-Ingenieurin Zhang. Sondern wir haben einen echten Mehrwert geschaffen und den Pick-Up so neu erfunden. Im Grunde sogar zwei. Denn da ist zum einen der riesige Frunk, unter dessen elektrischer Klappe sich 400 Liter Stauraum und jede Menge Steckdosen verbergen. Zum ersten Mal lässt sich damit auch in einem Pritschenwagen empfindliches oder wertvolles Gepäck vor Dreck und Dieben geschützt transportieren und der Wechsel zum SUV wird genauso überflüssig wie der hässliche Kunststoffkasten, den viele sonst auf ihren Pick-Up schrauben.
Und zum anderen ist da die Batterie, die den Strom eben nicht nur speichern, sondern auch wieder abgeben kann. Und zwar nicht nur an Bohrmaschinen, Pumpen, Wohnanhänger, E-Bikes, Kühlboxen oder Musikanlagen, was draußen in der Pampa schon ein Gewinn ist. Sondern der F-150 ist auch eine Art privates Notstrom-Aggregat für den Familienwohnsitz und versorgt einen Haushalt mindestens für drei Tage mit Strom. Wer sich ein bisschen einschränkt, den Fernseher auslässt und die Klimaanlage runter dreht, soll sogar zehn Tage über die Runden kommen. Bei uns eher ein therapeutischer Vorteil, ist das in Amerika gelebter Alltag. Denn kleinere Blackouts sind dort an der Tagesordnung, und als im Februar 2021 ein Wintersturm über Texas hinwegfegte, war der zweitbevölkerungsreichste US-Staat über mehrere Tage ohne Strom – und hatte viele hundert Tote zu beklagen. „Das bleibt den Leuten in Erinnerung“, nennt Palmer das ein wichtiges Kaufargument für den Lightning. „Die Menschen kaufen einen Pick-Up weil sie für alles gewappnet sein wollen – und jetzt sind sie das sogar bei Naturkatastrophen.“
Zwar ist der Lightning alles andere als perfekt: denn für seine mehr als sportlichen Fahrleistungen wankt der Wagen in den wenigen Kurven, die man in den USA finden kann, gewaltig und die Lenkung gibt vergleichsweise wenig Rückmeldung. Aber vor allem ist die Ladeleistung mit 150 kW für so einen Koloss zu klein, weil Ford es eilig hatte und aufs Geld schauen musste und sich deshalb für 400 statt 800 Volt Betriebsspannung entschieden hat.
Doch das wenig bestimmte Fahrverhalten oder die 40 Minuten für den Hub von 10 auf 80 Prozent sind Nickligkeiten, die Ford-Kunden genauso wenig stören werden wie die Musk-Fans die lausige Verarbeitung und die ständigen Lieferverzögerungen bei den Tesla-Modellen.
Und zumindest fürs erste muss sich Detroit um den Absatz ohnehin keine Sorgen machen. Schon im Dezember hatten die Amerikaner so viele Bestellungen in den Büchern, dass sie die bei 200.000 erst einmal wieder zu gemacht haben und jetzt mächtig schuften müssen, bis die abgearbeitet sind. „Hoffentlich machen sie die Orderbücher wenigstens im vierten Quartal wieder auf“, stöhnt Ford-Händler Casey Ogletree aus San Antonio, der allein 200 Bestellungen offen hat und nochmal so viele Kunden vertrösten musste.
Natürlich ist der Pick-up ein zutiefst amerikanisches Phänomen, erst recht als Fullsize-Truck à la F-150. Doch wenn über die freien Importeuer schon mit Verbrenner jedes Jahr 1.000 Autos nach Europa kommen, müsste der Markt für die e-Version noch größer sein. Zumal es aktuell kein anderes Elektroauto für Gewerbetreibende gibt, dass auch nur ansatzweise so gut schleppen, ziehen und durchs Gelände pflügen kann und dabei auch noch so cool aussieht, dass es jeder G-Klasse und erst recht jedem gewöhnlichen SUV die Schau stiehlt . Das wissen sie natürlich auch in Köln, haben längst ihre Liebe zum Lightning entdeckt und hoffen darauf, dass der Blitz eher früher als später auch bei uns bald einschlägt. Schließlich würde das gut in die Strategie passen, wonach bis 2030 alle Pkw und fünf Jahre später auch die Nutzfahrzeuge auf E-Antrieb umgestellt sein sollen.
Aber es wird wohl eher später als früher werden. Denn bei einer Produktionskapazität von gerade einmal 150.000 Autos im Jahr wird es wohl ein bisschen dauern, bis für den Rest der Welt ein paar Autos abfallen. Selbst wenn Trump langst abgewählt ist, gilt sein Slogan „America First“ in dieser Hinsicht erst einmal weiter.