Flach, breit und schon im Stand ungeheuer schnell – auf den ersten Blick sieht der Artura aus wie jeder andere McLaren. Doch spätestens, wenn der Fahrer die wie eh und je so spektakulär nach oben schwingenden Türen schließt und auf den Startknopf drückt, ist es vorbei mit der gelernten Vollgas-Routine. Im Auto schauen sie irritiert und draußen legt sich wahlweise Enttäuschung der Erleichterung auf die Gesichter: Statt wütend aufzubrüllen und mit mächtigem Getöse davon zu stürmen, schwirren bei dieser Flunder nur die Lüfter und mit leisem Surren zischt das Coupé davon. Diese Überraschung ist Programm. Denn der elektrische Start gehört zum Programm bei einem der ersten Plug-In-Hybriden unter den Supersportwagen, zumindest unter den massentauglichen. Oder dem, was man in diesen Kreisen so „massentauglich“ nennt, wenn nicht von exklusiven Exoten wie dem McLaren P1 oder dem Porsche 918 die Rede ist, die fast in die Million gehen, sondern von einem Tiefflieger, der schon ab 230.500 Euro (D) aufwärts zu haben ist.
Doch keine Sorge: Es braucht nur einen beherzten Tritt, dann ist die PS-Welt wieder in Ordnung und kaum hat der Artura die Stadtgrenze erreicht, schallt aus der Ferne der heisere Sound eines Verbrenners herüber. Für dieses Wechselspiel zwischen alter PS-Welt und neuer Zeit haben die Briten einen komplett neuen Antrieb entwickelt und ihren lieb gewonnenen V8 über Bord geworfen. Stattdessen gibt es nun einen V6 mit noch immer ziemlich soliden 3,0 Litern Hubraum, der auf imposante 585 PS kommt. Ihm zur Seite steht eine E-Maschine mit 70 kW, die in die neue Achtgang-Automatik integriert ist und gerade einmal 15 Kilo wiegt. Gespeist wird sie aus einem 90 Kilo schweren Akku mit einer nutzbaren Kapazität von 7,4 kWh, der an jeder Haushaltssteckdose binnen 2,5 Stunden geladen werden kann. Alternativ nutzt die Batterie auch überschüssige Motorleistung und füllt sich so während der Fahrt.
Wer seinen Nachbarn eine Freude machen oder emissionsgeplagte Innenstädte entlasten will, kann mit dem Artura deshalb lautlos starten, auf Knopfdruck bis zu 31 Kilometer stromern – und zumindest überall außer in Deutschland damit sogar das lokale Limit erreichen. Denn 130 km/h schafft die E-Maschine auch alleine.
Doch versteht McLaren den E-Motor nicht nur als Appetitzügler, der den Normverbrauch auf konkurrenzlose und in der Geschichte der Marke unerreichte 4,6 Liter drückt. Sondern die Briten haben den Antrieb so programmiert, dass auch mächtig etwas vorwärtsgeht. Zusammen 680 PS stark, reißt der Doppelpack im besten Fall mit bis zu 720 Nm an der Hinterachse. Und weil der Artura mit einem Trockengewicht von 1.490 Kilo – einem gerade mal 130 Kilo schweren Hybrid-Paket und dem neuen Karbon-Chassis sei Dank – leichter ist als mach ein konventioneller Sportler dieser Leistungsklasse, schafft er den Sprint von 0 auf 100 in nur drei Sekunden. 200 km/h sind nach 8,3 Sekunden erreicht, und erst bei 330 km/h zieht die Elektronik den Stecker.
Mehr noch als auf dem Papier beeindruckt der Artura damit in der Praxis, weil sich der E-Motor immer genau dann einmischt, wenn der V6 doch mal kurz luftholen muss und in seinem Elan deshalb nachlässt. Wie selbstverständlich buttert der Artura deshalb Power aus der Batterie bei und beschleunigt so nahtlos, samt und seidig, das es auf eine unspektakuläre Art spektakulär ist: Ohne großes Drama und ohne Spektakel, dafür einfach nur schnell und druckvoll, will der Elan schier niemals enden. Und falls der Fahrer ihm doch mal ein Ende machen muss, stoppen die Bremsen mit der Bisskraft einer britischen Bulldogge – eisern, endgültig und vor allem ehrlich. Denn Albernheiten wie das regenerative Bremsen haben sich die Briten gespart. Nichts, absolut nichts, soll das Pedalgefühl verwässern und dem Fahrer den Eindruck vermitteln, er sei hier nicht der alleinige Herr im Ring. Diese Philosophie gilt auch für die Lenkung, für das Fahrwerk und sogar für die Elektronik, selbst wenn die Erstaunliches leistet, um den Wagen auf der Ideallinie oder zumindest auf der Straße zu halten. Erst wer mit den unterschiedlichen Modes spielt und Runde für Runde größere Driftwinkel auf den Asphalt zaubert, der spürt die segensreiche Wirkung der Elektronik.
McLaren geht für den Artura aber nicht nur beim Antrieb neue Wege, sondern auch im Design. Von außen sieht der Tiefflieger zwar weniger revolutionär aus, als man es bei einem derart großen technischen Schritt erwartet hätte. Doch zumindest innen beginnen moderne Zeiten: Es gibt ein komplett neues, natürlich digitales Cockpit und alle Schalter sind nun – inklusive der für das Set-Up von Motor und Fahrwerk – so platziert, dass man sie endlich erreichen kann, ohne die Finger vom Lenkrad zu nehmen. Und alles, was an sekundären Funktionen zu bedienen ist, oder der Unterhaltung dient, läuft über einen Touchscreen, der wie eine überdimensionale Smartwatch vor der Mittelkonsole prangt. Und neue Elektronik haben die Briten auch eingebaut. Zum ersten Mal hält der McLaren nicht nur automatisch das Tempo, sondern auch den Abstand und warnt sogar beim Verlassen der Fahrspur, wobei das ziemlich anstrengend werden kann, wenn der Fahrer die Ideallinie sucht und deshalb bisweilen die Kurven schneidet.
Neue Eindrücke und vertraute Erlebnisse, stille Momente fürs gute Gewissen und für die Lust den Ritt auf der Schneide eines Messers, das schärfer ist denn je: Auch wenn es Plug-In-Hybriden mit einem leistungsfähigeren E-Modul gibt und Supersportwagen mit stärkeren Verbrennern, ist McLaren in der Kombination aus alter und neuer Welt ein nahezu perfektes Auto gelungen. Man muss es deshalb schon in den Krümeln suchen, wenn man dem Artura ans Leder will. Zum Beispiel, dass es anders als in jedem popeligen VW e-Up oder Plug-In-GLA keine App zum Auto gibt, mit der man den Wagen an der Ladesäule zum Beispiel schon mal klimatisieren könnte. Dass der Sechszylinder halt nicht mehr ganz so kehlig, lasziv und verrucht klingt wie der V8. Oder dass vom ohnehin schon kleinen Kofferraum nicht mehr viel übrigbleibt, wenn man brav das Ladekabel an Bord lässt. Aber ersteres lässt sich mit einem Update erledigen, das beim Artura jetzt erstmals auch „over the air“ möglich ist, und zweiteres ist ein Luxusproblem, das auch mit ein paar beherzten Gasstößen gelöst ist. Nicht umsonst hat der V6 schon alleine mehr Power, als man meist zum Fahren braucht, so dass es auch während der Fahrt noch zum Laden reicht.
Bleibt deshalb am Ende nur der späte Start, den man den Briten vorwerfen kann. Denn wäre der Artura wie geplant im letzten Herbst gekommen, wäre er tatsächlich der erste seiner Art gewesen. Jetzt dagegen teilt sich McLaren die Pole Position mit dem Erstrivalen Ferrari und muss sich im direkten Vergleich mit dem 296 GTB bewähren. Schade für die Briten, um so spannender für die Kunden. Denn Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft.