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MG4: Der echte Volks-Wagen

Sie sind so etwas wie der stille Shooting-Star unter den chinesischen Newcomern. Denn während andere Start-Ups aus dem fernen Osten mächtig auf die Pauke hauen und dabei augenscheinlich viel Lärm um noch nicht viel machen, hat sich MG bereits (wieder) fest auf dem Kontinent etabliert: Knapp zwei Jahrzehnte, nachdem die britische Traditionsmarke im chinesischen SAIC-Konzern aufgegangen ist und nicht einmal zwei Jahre nach dem offiziellen Verkaufsstart in Deutschland, sind die Exil-Briten gerade an Marken wie Alfa Romeo oder Subaru vorbeigezogen und haben sich zugleich an die Spitze der Neueinsteiger gesetzt .

Und das war nur der Anfang. Denn nachdem sie bislang ziemlich konventionelle und allenfalls halbherzig elektrifizierte Autos wie den MG5 oder den MG ZS und den schon etwas moderneren Marvel R ins Land geholt haben, bereiten sie nun mit dem MG4 ihren ersten richtig großen Coup vor: Als erstes Auto auf ihrer ersten dezidierten E-Plattform zielt er direkt auf Volkswagens ID.3 und will mit der besseren Technik zum günstigeren Preis zum wahren Volks-Wagen werden. Diese Positionierung entbehrt nicht einer gewissen Brisanz –schließlich sind VW und MG-Mutter SAIC in China enge Partner und bauen gemeinsam die Volkswagen für die Volksrepublik.

Zwar kommt der MG4 bei uns wohl erst zum Jahreswechsel in den Handel und bei den Preisen gibt es bislang nur eine vorsichtige Schätzung irgendwo in den unteren 30.000ern. Doch schon bei der ersten Begegnung mit einem noch gründlich getarnten Prototypen macht der chinesische Herausforderer einen guten Eindruck: Das Design unter der fleckigen Folie wirkt gefällig und beweist mehr Charakter als die rundgelutschten VW-Modelle, wenngleich der mächtige Spoiler an der Dachkante sportliche Erwartungen weckt, die das Elektromodell so gar nicht erfüllen will. Hinter den Gummimatten im Cockpit lugen ganz ähnlich wie bei den ID-Modellen ein kleiner Bildschirm hinter dem Lenkrad und ein größerer über der Mittelkonsole hervor hinter, auf denen die Bedienung schon jetzt leichter fällt als beim noch immer ziemlich verkorksten VW-System mit seiner unglücklichen Slider-Leiste. Erst recht, weil es auf einem kleinen Vorsprung darunter neben einer Ladeschale fürs Smartphone noch einen klassischen Drehregler gibt. Und die Platzverhältnisse sind bei knapp 4,30 Metern Länge, großem Radstand und kurzen Überhängen sowie der komplett im flachen Boden verstauten Elektrotechnik mehr als ausreichend. Wie alle dezidierten E-Autos macht auch der MG4 so einen Klassensprung und ist innen geräumiger, als man es ihm von außen zutraut. 

Beim Fahren gibt sich der Wagen keine Blöße. Die Lenkung ist zwar für den europäischen Geschmack sehr stark unterstützt, wirkt aber hinreichend präzise und zusammen mit der ausgeglichenen Gewichtsverteilung und dem tiefen Schwerpunkt macht der ID-Gegner so einen ziemlich agilen Eindruck. So lockt schnell die Landstraße, auf der sich das Fahrwerk von seinen erfolgreichen Mühen mit den urbanen Unpässlichkeiten erholen und locker flockig über die wenigen Wellen hinweg bügeln kann. 

Nur die Assistenzsysteme sind noch ein bisschen nervös und greifen öfter und vor allem fester ins Geschehen ein, als es dem Fahrer lieb ist – aber genau deshalb sind die Entwickler ja gerade in China und 120.000 Kilometer kreuz und quer durch Europa unterwegs und bis zum Marktstart sind es ja noch sechs Monate. Da werden sie der Elektronik schon noch die nötige Gelassenheit beibringen.

Mag ja sein, dass VW seine ID-Modelle noch aufwändiger entwickelt und noch gründlicher abgestimmt hat, und vielleicht ist der ID.3 am Ende womöglich auf den allerletzten Zehnteln auch das bessere Auto. Doch wo der Golf mal als unangreifbar galt, kommt der MG4 den ID-Modellen zumindest auf der ersten Fahrt im Prototypen so nahe, dass die Unterschiede für den Endkunden nicht mehr ins Gewicht fallen. Wären es nicht auch Markenstärke, Image, Händlernetz und Restwert, die den Kauf mit bestimmen, gäbe es bei dem vermuteten Preisvorteil der Chinesen nicht mehr viele gute Gründe, die für den VW sprechen würden.

Treibende Kraft im Prototypen ist eine E-Maschine, die genau wie bei VW 150 kW/204 PS leistet und an der Hinterachse montiert ist. Sie ist stark genug, den Fünftürer in weniger als acht Sekunden auf Tempo 100 zu bringen und jene 160 km/h zu erreichen, bei denen zumindest der Testwagen erst einmal abgeregelt wird. Wobei da das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen ist.

Gespeist wird der Motor aus einer neuen Batterie, die mit gerade mal elf Zentimetern ungewöhnlich flach ist und deshalb eine sehr natürliche Sitzposition ermöglicht. Sie hat 64 kWh und sollte für rund 450 Kilometer reichen. Genau wie der Modulare Elektro-Baukasten MEB ist auch die Mudular Scalable Platform (MSP) der Chinesen, die dem MG4 als Basis dient, ausgesprochen flexibel. Für den Erstling bedeutet das die Option auf eine zweite Version mit 125 kW/170 PS und einen Akku mit 51 kWh für 350 Kilometer sowie wenig später eine Variante mit Allradantrieb und dann wohl um die 300 kW/400 PS. Und für seine Schwestermodelle hat SAIC alle Möglichkeiten: „Mit Radständen von 2,65 bis 3,10 Metern können wir vom Kleinwagen bis zum großen SUV alle Segmente abdecken“, sagt Entwicklungschef Zhu Jun. „Und bei den Batteriegrößen reicht das Spektrum von 40 bis 150 kWh.“ Wo der MG4 aktuell noch mit einem 400 Volt-Netzwerk arbeitet, könnte die Spannung bald auf 800 Volt steigen und selbst für Batterie-Wechselsysteme sei die Plattform vorbereitet.

Natürlich wissen sie auch bei MG, dass VW ein Koloss ist, dem sie nicht so schnell am Zeug flicken werden. Zumal der in seiner Zwitterrolle als Konkurrent in der Ferne und als Kooperationspartner in der Heimat auch politisch kein leichter Gegner ist. Doch hat der Newcomer auf dem Weg aus dem Zulassungskeller ja noch ein paar andere Hürden zu nehmen – und zumindest die Elektro-Umbauten aus dem Stellantis-Konzern sind mit ihrem schwachen Motor, ihrem kleinen Akku und ihrem eingeschränkten Platzangebot da schon sehr viel dankbarere Gegner. Noch bevor er überhaupt im Handel ist, sieht etwa ein elektrischer Opel Astra verglichen mit dem MG4 deshalb ziemlich alt aus – und wird im Preisgefüge auf der Electric Avenue um so leichter zu packen sein.

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