Ford Explorer: Geschrumpft und elektrisch
Von wegen American Way of Drive. Zwar will Ford im Kampf als letzter großer US-Hersteller in Europa künftig mehr denn je auf den „Adventurous Spirit“ setzen, seine amerikanische Wurzeln betonen und dafür vor allem Modelle wie den Bronco oder den Mustang ins Rampenlicht rollen. Doch der wahre Hoffnungsträger könnte Deutscher kaum sein. Denn wenn die Kölner zum Jahresende für Preise ab etwa 45.000 € den neuen Explorer in den Handel bringen und damit die Electric Avenue von hinten aufrollen, ist das kein riesiges AMI-SUV mehr, das alle Parkplätze sprengt und trotz Plug-In-Hybrid das Tankbudget in die Höhe treibt. Sondern aus dem Big Mac wird ein handliches Crossover für die Kompaktklasse, das obendrein nicht mehr auf Technik aus Detroit basiert, sondern mit einer Organspende aus Wolfsburg zum Leben erwacht. Denn der Explorer ist der erste von zwei Kooperationsmodellen, die Ford in dem für zwei Milliarden Euro umgebauten Stammwerk in Köln aus dem Modularen Elektrobaukasten des Konkurrenten produziert.
Das soll für beide Hersteller zu einer Win-Win-Situation werden. Für VW, weil die Niedersachsen so die Stückzahlen für den MEB nach oben treiben und über die Skaleneffekte auf geringere Kosten hoffen. Und für Ford, weil die Kölner damit schnell Anschluss finden wollen auf der Electric Avenue. Denn das ist bitter nötig. Schließlich lag bei ihnen der Anteil an elektrischen Pkw im letzten Jahr bei gerade mal vier Prozent, während der Gesamtmarkt auf 18 und Konkurrenten wie VW auf 13 oder Opel gar auf 20 Prozent kamen.
Und es gibt schließlich schlechtere Paten als den europäischen Marktführer, der für den Deal die meistverkaufte E-Plattform auf dem Kontinent zur Verfügung stellt. Zumal Ford aus dem Wolfsburger Baukasten ein erfreulich eigenständiges Auto gezimmert hat. Ja, die 77 kWh-Batterie für runde 500 Kilometer Reichweite klingt genauso bekannt wie die Antriebsauswahl mit 170 oder 265 PS und Heckantrieb oder 340 PS und Allrad-Antrieb für bis zu 180 km/h. Doch das Format des elektrischen Explorer ist mit 4,45 Meter genau zwischen ID.3 und ID.4 gewählt und die Form könnte von der weichen aber hohen Schnauze über die markante Fenstergrafik an der Flanke bis zum kastenartigen Heck eigenständiger kaum sein: Auch ohne die riesigen Explorer-Schriftzüge auf Bug und Heck würde man den elektrischen Hoffnungsträger als zu heiß gewaschenen Ableger des amerikanischen Bestsellers erkennen. Und vieles spricht dafür, dass auch damit endlich auch in Detroit mal wieder Begehrlichkeiten nach einem europäischen Ford-Modell laut werden. Ein Ansinnen übrigens, das Europa negativ bescheiden wird. Erstens, weil der VW-Deal nicht für Amerika gilt und zweitens, weil Ford daheim natürlich weiterhin auf den normalen Explorer setzt.
Mehr noch als außen profitiert der Explorer aber innen vom Eigensinn der Kölner Kooperationspartner. Denn statt das VW-Cockpit zu kopieren, haben die Rheinländer die bei identischer Elektronik maximal mögliche Distanz errungen: Das beginnt beim Wählhebel für die Fahrtrichtung, der vom Bildschirm hinter dem Lenkrad an die Lenksäule wandert, führt über die unpraktischen Sensortasten am Steuer und endet bei den leidigen Slidern für Radio und Klima, die VW so viel Ärger eingebracht haben und bei Ford deshalb verschwunden sind. Und wo sich in Wolfsburg alle Informationen auf einen viel zu kleinen Schirm ballen, haben die Kölner wie bei Mach-E & Co ein riesiges Tablet aufrecht vor die Mittelkonsole geschraubt.
Und damit nicht genug: Um gleich auch noch der VW-Tochter Skoda eines auszuwischen, ist der Explorer „simply cleverer“ als jedes andere MEB-Modell: Die Ablage zwischen den vorderen Sitzen bietet gewaltige 17 Liter Stauraum und kann so vielfältig unterteilt werden wie ein Regalsystem von Ikea, hinter dem Bildschirm im Cockpit gibt es ein mit der Zentralverriegelung gekoppeltes Schließfach für Werstsachen und weil es beim MEB keinen Platz für einen Frunk gibt, hat Ford im Heck stolze 450 bis gut 1.400 Liter Kofferraum und unter der Fronthaube zumindest noch eine kleine Ablage für Warndreieck und Verbandskasten untergebracht.
Zwar könnte dieser Explorer für Ford tatschlich zu einem Hoffnungsträger taugen und die Rheinländer wieder ein Stück voran bringen bei der elektrischen Revolution. Doch ist die Freude darüber am Stammsitz – nun ja – zumindest geteilt. Denn es sind Autos wie diese, die den immerhin seit 1925 in Köln ansässigen Hersteller dazu bringen, über 2.000 Entwickler zu entlassen. Schließlich haben das Gros der Arbeit am Explorer und dem zweiten MEB-Ableger die Kollegen in Wolfsburg gemacht. Um so stolzer sind die Kölner auf ihren Eigenanteil und um so deutlicher tragen sie ihren Lokalpatriotismus zur Schau. Das erkennt man spätestens beim Blick in ihre pfiffige Mittelkonsole – wo einem die Silhouette des Kölner Doms entgegen lacht.