Von wegen Automessen sind tot – der Genfer Salon mag Geschichte und die IAA spätestens seit dem Umzug nach München ein Abklatsch ihrer selbst sein – von der Motorshow im Paris ganz zu schweigen. Doch wenn sich die PS-Welt jetzt in Shanghai zur ersten echten China-Messe nach Corona trifft, könnte die Spannung kaum größer sein. Denn nicht nur das Wachstum auf dem größten Automarkt der Welt ist ungebrochen und mit ihm die Bedeutung Chinas für das Wohl und Wehe der Autohersteller aus dem Westen. Sondern auch der Willen zum Wandel: Während die Industrie bei uns noch immer zögert und zaudert und lange an den alten Zöpfen festhält, nimmt die Mobilitätsende in China ungebremst Fahrt auf – und längst zählt jede dritte Neuzulassung in die Kategorie der „New Energy Vehicles“ mit wenig oder ganz ohne Emissionen.
Und jetzt hat sich auch noch die Stimmung gewandelt. Seit China die Elektromobilität mit aller Macht forciert, gelten die Wagen aus dem Westen plötzlich nicht mehr als Unbesiegbar. Ja, beim Luxus alter Schule macht insbesondere den Deutschen keiner etwas vor, und für klassische Sportwagen gibt es aus dem Reich der Mitte auch noch keine Alternative. Doch wenn es um elektrische Mobilität für die Massen geht, scheint der Stern von Mercedes zu sinken und VW ist weit entfernt von der Marktmacht, die die Niedersachsen bei den Verbrennern noch immer haben. Die Ausländer im Abstiegskampf und die Gastgeber im Höhenflug – so kommt es in Shanghai in diesem Jahr zum großen Showdown.
Dabei setzen insbesondere die deutschen Nobelhersteller auf das, was die Chinesen von ihnen am meisten mögen: Luxus und Leistung – nur, dass sie versuchen, diese Mischung ins E-Zeitalter zu übertragen. Nachdem die normalen EQ-Modelle sich trotz lokaler Produktion allenfalls mäßig verkaufen, soll es bei Mercedes deshalb jetzt der erste elektrische Maybach richten, der ganz im Geist der neuen Zeit als SUV daher kommt und mehr sein will als ein EQS mit Lametta im Überfluss: Denn an den Achsen drehen sich zwei Motoren mit 20 Prozent mehr Leistung und im Fond machen wie immer bei Maybach die Lounge-Sessel den Unterschied. Und als wären E-Autos nicht ohnehin schon besonders leise, hat Maybach die Ruhe hier auf ein neues Level gehoben.
Auch BMW setzt auf Starkstrom und macht den i7 mit 660 PS zum M70, der in Shanghai aber weniger wegen seiner Leistung interessiert als wegen seiner mächtigen 5,36 Meter, seiner auffälligen Zweifarblackierung und dem riesigen Klappbildschirm über der Rückbank. Und wer von der alten Welt nicht ganz lassen will, der bekommt in dem bayerischen Gemischtwarenladen gleich noch ein Extrem. Der gerade erst vorgestellte XM dreht sich hier – mit schönen Grüßen an die chinesische Nationalfarbe – als Label Red im Rampenlicht – und lässt sich mit seinem 748 PS starken Plug-in-Hybrid-Antrieb als bislang stärkster BMW in der Firmengeschichte feiern.
Selbst VW fühlt sich zu Höherem berufen und zieht endlich das Tuch vom ID.7, der als Passat der Generation E mit fünf Metern Länge, Fußraum wie im Phaeton bis zu 700 Kilometern Reichweite und Preisen „deutlich unter 60.000 Euro“ die Spitze in der Stromer-Palette markieren soll. Dazu feiert bei Porsche Shanghai ein Cayenne Premiere, der so gründlich überarbeitet wurde, dass man fast von einem neuen Auto sprechen kann – kein Wunder: Er muss ja auch – parallel zum beschlossenen E-Cayenne ab der Mitte der Dekade – noch bis zum Ende des Jahrzehnts durchhalten.
Nur einer fehlt im Neuheitenreigen: Ausgerechnet die VW-Tochter Audi, die das Luxussegment in China einmal begründet hat, übt sich weiter in Stillschweigen und zeigt lediglich lokale Neuheiten wie den e-tron Q5 aus den Joint-Venture-Fabriken. Zwar werden die Bayern nicht müde, auf die „größte Modeloffensive “ des Unternehmens einzustimmen. Doch weil die weiter auf sich warten lässt, dreht sich in Shanghai auf der Messe nur fabrikneues Altmetall im Rampenlicht.
Das könnte sich als fataler Fehler erweisen. Denn auch wenn die Deutschen mit ihrem Shanghai-Programm etwa auf der IAA in München mächtig abräumen könnten, gehen sie in China damit vollkommen unter und werden zu bedauernswerten Nebendarstellen, die wie Hollywood-Altstars mit ihrem verblassenden Ruhm noch einmal eine neue Netflix-Produktion schmücken dürfen. Nicht Mercedes hat den imposantesten Stand auf der Messe, sondern Nio und die Musik spielt nicht in Halle vier oder fünf bei den Deutschen. Sondern nirgendwo wird die Macht der Marken aus dem Reich der Mitte so deutlich wie in den Halle 6 und 7, wo neben Nio auch Zeekr auffährt, Polestar, Lynk&Co, Geely, Haval, Honqui und BYD.
Dabei wird nach drei Jahren Beinahe-Pause um so deutlicher, mit welch dramatischen Tempo und welch gigantischem Ehrgeiz die chinesischen Hersteller gereift und gewachsen sind. Denn die Zeiten, in denen jedes zweite Auto entweder eine billige Kopie war oder eine irrwitzige Karikatur, sind längst vorbei. Ja, man sieht nach wie vor ein paar Plagiate, weil etwa Ora unverhohlen den VW Käfer kopiert und weil es der Porsche Panamera vielen Chinesen offenbar arg angetan hat. Und auch besonders martialisch gezeichnete Monster-SUV wie aus einem Comic stehen dieses Jahr offenbar hoch im Kurs. Doch egal ob spaciges Stufenheck, knuffiger Kleinwagen, luxuriöser Van, smartes SUV oder flügeltürige Performance-Flunder – die überwiegende Mehrheit der Messemodelle hat ein stimmiges und schlüssiges Design, das vermeintliche Neuheiten wie den ID.7 oder den EQS ins PS-Pleistozän zurück katapultiert. Und diesmal stimmen dazu auch noch Ambiente und Ausstattung der Innenräume und die Technik unter dem Blech.
Wenn Polestar seinen neuen Vierer als erschreckend flaches SUV-Coupé mit bis zu 600 Kilometern Reichweite präsentiert, wirkt der BMW i4 dagegen deshalb wie von gestern: Der Nio ES6 sieht besser aus, als man es von einem elektrischen Porsche Macan erwarten würde. Und der Stern des Mercedes EQA geht gar völlig unter, wenn man daneben Autos wie den Zeekr X sieht. Denn der 4,50 Meter lange Crossover sieht nicht nur frischer aus und hat mit dem Riesen-Tablet im Cockpit, das sich auf Fingerzeig vor den Beifahrer schiebt, die cooleren Gadgets. Sondern es fährt mit 560 Kilometern Reichweite auch noch weiter, hat mit über 400 PS mehr Leistung, lädt schneller und beschleunigt besser.
Selbst das Stuttgarter Sorgenkind Smart hat offenbar die Kurve bekommen, seitdem Joint-Venture-Partner Geely mindestens bei jedem zweiten Wort das Sagen hat. Denn auch wenn es vorbei ist mit dem modischen Minimalismus und plötzlich viele dem früher so schwer verkäuflichen Bonsai-Benz hinterher weinen, sieht das erwachsene SUV-Coupé #3 einfach um Längen besser aus als jedes bisherige Modell und erreicht mit Reichweite jenseits von 400 Kilometern mehr als die woke urbane Elite.
Und als wären die schier unschlagbaren Heimspieler nicht schon gefährlich genug für die deutschen Hersteller auf dem wichtigsten Markt der Welt, laufen sich viele der Chinesen immer deutlicher für ihre ersten Auswärtssiege warm. Zwar bleibt die vielerorts befürchtete Schwemme an bezahlbaren elektrischen Kleinwagen aus dem Reich der Mitte wohl erst mal aus, selbst wenn Discount-Minis wie der BYD Seagull erschreckend gut und solide aussehen. Und viele der ebenso unbekannten wie unaussprechlichen E-Marken, die hier in China wie Pilze aus dem Boden schießen, wird man im Ausland nie zu Gesicht bekommen. Doch allein das, was sich bei Herstellern wie BYD, Great Wall, Nio, Polestar, Lync&Co, MG und nun also als nächstem aussichtsreichem Premium-Kandidaten Zeekr im Rampenlicht dreht, sollte reichen, um den Bossen in Wolfsburg, Stuttgart und München nachhaltig den Schlaf zu rauben.
Hier ein paar Joker in Kampf gegen den Abstieg, dort jede Menge Hoffnungsträger für den Heimsieg und kommende Stars fürs Auswärtsspiel und dazwischen wie immer bei den China-Messen fürs Auge und das Amüsement ein paar Kopien und Kuriositäten – egal wie der Showdown in Shanghai ausgeht, soviel ist jetzt schon sicher: Die goldenen Jahre ungebremsten Wachstums sind für die Ausländer im Reich der Mitte vorbei, während die Newcomer aus China immer reifer, seriöser und damit gefährlicher werden. Und noch etwas macht der Branchengipfel mehr als deutlich: Während die Automessen in Europa und Amerika ihre Daseinsberechtigung längst eingebüßt haben, hat die Auto China ihre Position als Nabel der PS-Welt einmal mehr gefestigt.