Der Start hätte holpriger kaum seinen können. Da setzen sie in Köln alles aufs große E, opfern für den Aufbruch in die elektrische Zukunft sogar einen Dauerbrenner wie den Ford Fiesta und lassen sich zwecks Zeitersparnis auch noch auf die Übernahme des Wolfsburger MEB ein – und dann verstolpern sie den Produktionsstart so heftig, dass der vermeintliche Rettungswagen nur noch im Rückspiegel zu sehen ist, wenn er als europäischer Explorer zu Preisen ab zunächst ziemlich selbstbewussten 48.790 Euro jetzt dann endlich doch noch auf die Straße kommt.
Fotos: Hersteller
Dabei darf man sich vom Namen nicht in die Irre führen lassen: Zwar will Ford als letzter großer US-Hersteller in in Europa künftig mehr denn je auf den „Adventurous Spirit“ setzen, will seine amerikanische Wurzeln betonen und dafür vor allem Modelle wie den Bronco oder den Mustang ins Rampenlicht rollen. Doch der wahre Hoffnungsträger hat mit dem amerikanischen Explorer nichts gemein. Sondern aus dem Big Mac wird ein handliches Crossover, das mit 4,46 Metern Länge perfekt in die Kompaktklasse passt und sich trotz der Wolfsburger Gene einen erfreulich eigenständigen Auftritt leistet: Der Länge nach genau zwischen ID.3 und ID.4 platziert, kontert Köln die niedersächsische Konturlosigkeit von der weichen aber hohen Schnauze über die markante Fenstergrafik an der Flanke bis hin zum eckigen Heck mit einem kantigen Charakter.
Mehr noch als außen profitiert der Explorer aber innen vom Eigensinn der Kölner Kooperationspartner. Ja, sie haben das VW-Cockpit kopieren müssen, haben noch Sensortasten auf dem Lenkrad und den Fahrtrichtungsschalter dahinter. Und natürlich muss man den Startknopf auch beim Explorer rief unten an der Lenksäule suchen. Doch aufrecht vor der Mittelkonsole thront wie bei Mustang und Mach-E ein riesiges Tablet, auf dem obendrein die verständigere Software läuft.
Und damit nicht genug: Um gleich auch noch der VW-Tochter Skoda eines auszuwischen, ist der Explorer „simply cleverer“ als jedes andere MEB-Modell: Die Ablage zwischen den vorderen Sitzen bietet gewaltige 17 Liter Stauraum und kann – auf Wunsch auch mit offiziellem Zubehör aus dem heimischen 3D-Drucker so vielfältig unterteilt werden wie ein Regalsystem von Ikea, hinter dem Bildschirm im Cockpit gibt es ein mit der Zentralverriegelung gekoppeltes Schließfach für Wertsachen und weil es beim MEB keinen Platz für einen Frunk gibt, hat Ford im Heck stolze 450 bis gut 1.400 Liter Kofferraum und unter der Fronthaube zumindest noch eine kleine Ablage für Warndreieck und Verbandskasten untergebracht.
Beim Antrieb ist es dann allerdings Schluss mit den Eigenheiten – schließlich müssen irgendwo ja die Skaleneffekte und mit ihnen die Einsparungen her kommen. Los geht es deshalb mit einer aus der ID-Familie hinlänglich bekannten Paarung aus dem 286 PS starken Heck-Motor und einer Batterie mit 77 kWh, die mit maximal 135 kW geladen wird und für bis zu 602 Kilometer reicht. Wer flotter beschleunigen und Traktion an allen vier Rädern will, für den gibt es zwei Motoren mit 340 PS und einen 79 kWh-Akku, der zwar mit 566 Kilometern weniger Reichweite bietet, dafür aber mit 185 kW schneller laden kann. Und weil der Explorer zum Start nominell noch bald 10.000 Euro über ID.3 und ID.4 liegt, folgt später ein Einstiegsmodell miut 170 PS und 54 kWh, das den Preis um rund 7.000 Euro drückt.
Auf dem Papier geben sich Köln und Wolfsburg zwar nicht viel und auch die Höchstgeschwindigkeit ist hier wie dort die selbe. Doch in der Praxis fühlt man doch einen kleinen Unterschied. Natürlich fährt der Explorer nicht ganz so engagiert und einnehmend wie einst der Focus oder der selige Fiesta, dafür ist er nicht zuletzt zu groß und zu schwer. Doch wo VW es allen recht machen will und damit in eine maximal ausgewogene aber eben auch relativ beliebige Abstimmung abdriftet, beweist Ford ein Herz für den Fahrer und kitzelt ihn zumindest ein kleines bisschen an den Nerven.
Zwar könnte dieser Explorer für Ford tatsächlich zu einem Hoffnungsträger taugen und die Rheinländer wieder ein Stück voran bringen bei der elektrischen Revolution. Doch ist die Freude darüber am Stammsitz – nun ja – zumindest geteilt. Denn mit der Übernahme des VW-Baukastens sorgen sie nicht eben für Vollbeschäftigung im eigenen Entwicklungszentrum. Und dass für die Stromer der Fiesta gehen musste, haben sie auch noch nicht alle verschmerzt. Um so stolzer sind die Rheinländer auf ihren Eigenanteil und um so deutlicher tragen sie ihren Lokalpatriotismus zur Schau. Das erkennt man spätestens beim Blick in ihre pfiffige Mittelkonsole – wo einem die Silhouette des Kölner Doms entgegen lacht.