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Lamborghini Countach LPI 800-4: Donnerkeil is back

Er zierte die Kinderzimmerwände einer ganzen Generation pubertierender Petrolheads. Denn als Lamborghini vor ziemlich genau 50 Jahren den Countach enthüllte, war er vom Start weg der Star unter den Sportwagen. Gezeichnet wie ein Donnerkeil von einem anderen Stern, hat er das Segment der Supersportwagen neu definiert und alles, was sie bis dato bei Ferrari, Aston Martin oder Porsche gebaut haben, zahm und zierlich aussehen lassen. Und alles von Lamborghini auch. Weil der coolste Keil der linken Spur bis heute nachwirkt und nicht nur das Design aller nachfolgenden Modelle bestimmt hat, sondern bis heute zu den Traumwagen der Schnellfahrer zählt, feiert der Posterboy der Siebziger jetzt ein rasendes Comeback: Ein Jahr nach der Premiere in Pebble Beach beginnt Lamborghini deshalb in diesem Sommer zu ganz und gar unbescheidenen Preisen ab 2,4 Millionen Euro mit der Auslieferung von 112 Stück des Countach LPI 800-4, die den keilen Geist der Siebziger heraufbeschwören und sogar ein bisschen in die Zukunft beamen. Diese Zahl stammt übrigens nicht von ungefähr, sondern war der Code für die Entwicklung jenes Autos, mit dem Maurizio Gandini die Sportwagenwelt aus den Angeln gehoben hat. 

Entsprechend nah bewegt sich Lamborghini bei seiner knapp fünf Meter langen aber nicht einmal 1,20 Meter hohen Hommage am Original, auch wenn der neue Countach alles andere als retro sein will. Stattdessen hat Designchef Mitja Borkert über die Plattform des Aventador einen coolen Keil aus Karbon gestülpt, der zwar bis hin zu den Fledermausohren um den Lufteinlass’ die gleiche klare und messerscharfe Linie nutzt, trotzdem aber weit ins Hier und Heute weist. So gibt es zum Beispiel statt der Halogen-Funzeln von einst natürlich LED-Scheinwerfer, und wo früher eine Art Persikop trotz des ultraflachen Dachs den Blick nach hinten ermöglicht hat, gibt es für die ungewöhnlichen Ausblicke nun ein kleines Glaselement, das sich auf Knopfdruck völlig verdunkelt.

Und überhaupt der Innenraum: Wo das Original schon beim Einsteigen eine gewisse Gelenkigkeit erfordert hat, wenn man sich über den endlos breiten Schweller hinweg und unter der guillotinengleichen Tür hindurch in den nur 1,07 Meter hohen Flachmann fädeln wollte, kommen jetzt auch Millionäre in der Midlife-Crisis bequem hinters Steuer. War der Fußraum früher schon mit Schuhgröße 36 wegen Überfüllung geschlossen, passen nun auch 46er-Treter locker auf die beiden verbliebenen Pedale. Statt auf billiges Plastik und schmucklose Uhren hinter trüben Gläsern blickt man auf Bildschirme und digitale Displays und die Finger spielen mit schmeichlerischen Schaltern von denen der schönste und verführerischste der wie immer hinter einer Schutzkappe verborgene Startknopf ist. Vor allem aber erlaubt der neue Countach endlich eine menschenwürdige weil aufrechte Sitzposition und zwingt die eiligen Besserverdiener nicht mehr in die Haltung einer WC-Ente auf Speed. 

Ein bisschen Bequemlichkeit kann schließlich nicht schaden, wenn man solch einen Boliden in Zaum halten muss. Immerhin übernimmt der Countach die Technik des Sian und wird damit so ziemlich zum stärksten Stück, das sie in Sant’Agata aktuell zu bieten haben. Auch beim Antrieb orientiert sich Lamborghini damit am Original und mischt zugleich eine Prise Zukunft ins Konzept: Denn unter der Glasscheibe im Nacken röhrt auch heute ein Zwölfzylinder, selbst wenn der mittlerweile auf 6,5 Liter Hubraum gewachsen ist und statt der einstmals 375 jetzt mit 780 PS mehr als das Doppelte leistet. Vor allem aber schraubt Lamborghini noch einen kleinen E-Motor von 34 PS ins Getriebe, erhöht die Bordspannung auf 48 Volt und installiert statt vermeintlich lahmer und vor allem schwerer Lithium-Ionen-Zellen so genannte Supercaps. Diese Kondensatoren nehmen schneller Energie auf und geben sie schneller ab und kommen bei gleichem Gewicht auf die dreifache Menge an Energie. So erzeugt die E-Maschine selbst bei so einem starken Grundmotor noch einen spürbaren Boost, der immer dann einsetzt, wenn sich der Countach während des Gangwechsels eine Tausendstelsekunde Bedenkzeit gönnt. Und auch das Anfahren und das Rangieren wirken irgendwie geschmeidiger. Doch allein fahren kann die E-Maschine nicht, und bei 130 Sachen meldet sie sich ohnehin ab – zwei Dinge, die sich bis 2025 ändern werden, wenn der erste vollelektrische Lamborghini kommt.

Und 130 km/h sind schnell erreicht. Denn völlig mühelos und nimmt der Countach Fahrt auf und krallt sich dabei so fest in den Asphalt, dass ihn selbst enge Kurve und Kehren nicht schrecken. Und seinen Vorgänger stempelt er dabei mit jedem Gasstoß zu einem lahmen Oldtimer. Schließlich reichen dem Donnerkeil bei einer Systemleistung von 814 PS Systemleistung und bei mehr als 750 Nm gerade mal 2,8 Sekunden für den Sprint auf Tempo 100 und bei Vollgas flimmern bis zu 355 km/h über den Tacho, während 1971 „nur“ 300 Sachen drin waren. Allerdings haben die sich damals angefühlt wie ein Raketenstart in Cape Canaveral und wie ein wackeliger Ritt auf Messers Schneide, während der neue Countach auf seinen breiten Pirellis so satt und souverän über den Asphalt schmalzt wie eine Luxuslimousine. 

Klar gibt es handlichere Kurvenräuber als diesen Donnerkeil, selbst wenn der Allradantrieb und mehr noch die Allradlenkung dem Lamborghini-Fahrer das Leben heute sehr viel leichter machen als damals, wo die Raserei mit dem Countach ein kräftezehrendes Ringen war. Aber kaum ein Auto lässt sich so leidenschaftlich über die Landstraße treiben. Da der einzigartige, mit Titan ertüchtigte V12-Sauger, der lässig über 7.000 Touren dreht und mit Wolllust und Wehmut auch noch die letzten Tropfen Super Plus in Adrenalin und Endorphine verwandelt, dort die Erinnerung an eine glorreiche Zeit, als das Weltklima noch in Ordnung war und das Tempolimt kein Thema: Wenn so aus dem ersten Supersportwagen der Neuzeit der vielleicht der letzte dieser Ära wird, dann wäre das zumindest ein mehr als würdiger Abschluss – selbst wenn der Countach heute nur noch einer von vielen ist und keine außerirdische Ausnahmeerscheinung wie 1971. 

Zwar gilt der Countach vielen als der Lamborghini schlechthin und hat Design wie Technologie der Marke bis heute geprägt. Doch in einem Punkt hat der Tiefflieger mit der Tradition der Italiener gebrochen: Sein Name ist einer der wenigen in der Lamborghini-Historie, die nicht von einem Stier stammen. Sondern „Kun-Tatsch“, so will es die Lamborghini-Legende, steht im Dialekt des aus dem Piemont stammenden Designers Maurizio Gandini für das ungläubige Erstaunen, wenn man zum ersten Mal etwas besonders Spektakuläres erblickt. Das würde angesichts des Designs wahrscheinlich auch heute wieder funktionieren. Nur dass er diesseits der Alpen dafür einen anderen Ausruf gäbe, der nicht minder passend wäre: „Wie Keil ist das denn?“.

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