Der McLaren 675 LT ist nicht bloß ein leichterer und stärkerer 650 S. Der neue Supersportler aus dem Hause McLaren bildet mit dem Monster P1 die Speerspitze in Sachen Performance.
Text: Thomas Geiger
Der McLaren F1 war der König der Überholspur und der „Longtail“ seine Krönung. Denn kein anderer Supersportwagen jener Zeit war so scharf und schnell wie die für den LeMans-Einsatz gebaute Hardcore-Version und der zur Homologation aufgelegte Straßen-Zwilling. Knapp 20 Jahre später meldet sich der Longtail jetzt zurück. Nicht wie es logisch wäre beim F1-Nachfolger P1, sondern als extrascharfe Variante der „Super Series“, die deshalb nach den Sommerferien als 675 LT ausgeliefert wird. Und dabei soll es nicht bleiben. Sondern so, wie Audi seine RS-Modelle hat oder Lamborghini den Superveloce, will McLaren künftig auch bei der Sport Series in der Elfer-Liga einen Longtail anbieten.
Den 675 LT trennen vom 650 S nur magere 25 PS, schon etwas eindrucksvollere 100 Kilo und irrwitzige 75.000 Euro. Auf dem Papier sind die Änderungen marginal und wahrscheinlich werden den Unterschied nur professionelle Rennfahrer tatsächlich herausfahren können. Doch man muss trotzdem kein Profi sein um zu merken, dass die Uhren in diesem Auto anders gehen. Mit mehr Karbon in der Karosse noch steifer, mit weniger Dämmung noch lauter, mit kürzeren Schaltzeiten der Doppelkupplung noch aggressiver und mit der schnelleren Lenkung noch schärfer – es ist als würde man beim Sex die Socken ausziehen, so intensiv und gefühlsecht geht es im McLaren jetzt zur Sache.
Und zu fühlen gibt es einiges: Wenn der Startknopf den 3,8 Liter großen V8-Motor im Nacken zündet, sind beim Fahrer und seinem Wagen alle Nerven gespannt und alle Sinne geschärft. Wenn 675 PS und bis zu 700 Nm das nur einmal 1,2 Tonnen schwere Fliegengewicht dem Horizont entgegen schleudern, schwappt eine Springflut von Adrenalin durch den Körper und bis nach gerade einmal 2,9 Sekunden Tempo 100 erreicht ist, ist das Kleinhirn schon darin versunken. Man erlebt es deshalb wie im Rausch, wenn der McLaren weiter Fahrt aufnimmt, nach atemlosen einmal 7,9 Sekunden die 200er-Marke reißt und ohne Unterlass weiterstürmt, bis einen der Mut verlässt, die Moral doch noch die Oberhand gewinnt oder man tatsächlich die Spitze von 330 km/h erreicht. Zwick mich, ich glaub ich träume!
Obwohl der Longtail mehr Power hat als der stärkste Porsche 911, er jedem anderen Sportwagen aus England locker davon jagt und er in einer Liga mit dem Lamborghini Aventador oder dem F12 fährt, muss man kein Dompteur sein, um dem Wagen Herr zu werden. Im Gegenteil: Perfekt abgestimmt und mit einer eindrucksvoll präzisen Lenkung gesegnet, fährt man den 675 LT selbst dann noch mit dem kleinen Finger, wenn man längst schon das Messer zwischen den Zähnen hat. Erst wenn man im radikal reduzierten Cockpit die beiden Schalter für Handling und Powertrain in den Trackmode dreht und das jetzt dreistufige ESP ganz ausschaltet, sollte man vielleicht besser doch beide Hände an das griffige Lenkrad nehmen. Denn auch 40 Prozent mehr Abtrieb und Semislicks vom Pirelli können nur begrenzt verhindern, dass man nicht irgendwann doch den Abflug macht.
… Auf dem Papier sind die Änderungen marginal und wahrscheinlich werden den Unterschied nur Rennfahrer herausfahren können. Doch man muss kein Profi sein um zu merken, dass die Uhren in diesem Auto anders gehen …
McLaren 675 LT – Der Einfühlsame
So spektakulär die Fahrleistungen sind und so hemmungslos der McLaren den Reiz des Rasens auch auslebt – es fehlt ihm das große Drama, das Spektakel das andere Sportwagen mit so viel Power und Speed machen. Der 675 LT ist laut, aber er lärmt nicht. Er hat brachiale Kräfte, aber keinen brutalen Charakter. Und er ist bei all seiner Potenz kein testosterongetränkter Poser, der nur für den schönen Schein gebaut ist. Stattdessen bietet er trotz der engen Karbonschalen, der noch einmal abgesenkten Trimmlage und dem spürbar versteiften Fahrwerk genügend Restkomfort für die langen Transferfahrten zwischen den Rennstrecken und wird so tatsächlich zu einem Typen für alle Tage. Ein Ferrari ist eine versnobte Diva dagegen und ein Lamborghini eine zickige Furie. Der McLaren dagegen ist Profi durch und durch: Kühn, kühl und kalkulierbar und trotzdem charmant und herzerwärmend – so wie James Bond, der erst ein paar Bösewichte niederringt, bevor er eine Blondine um den Finger wickelt.
Genau wie bei James Bond geht es auch bei McLaren nicht nur um den profunden Antritt, sondern auch um den perfekten Auftritt. Deshalb haben nicht nur die Ingenieure den Longtail nachgeschärft. Auch die Designer haben noch einmal zugelangt und den 650S vor allem an jener Partie überarbeitet, die andere Verkehrsteilnehmer am häufigsten sehen werden: Dem Heck. So thront der Motor jetzt unter einer spektakulären Plexiglasabdeckung mit auffälligen Kühllöchern, die Heckschürze besteht wie beim P1 fast nur noch aus feinem Lochblech und aus der offenen Konstruktion glüht einem der blau angelaufene Titan-Auspuff entgegen. Nur länger ist der Longtail dabei nicht geworden. Denn die knapp vier Zentimeter, die den Unterschied ausmachen und den Namen rechtfertigen, gehen allein auf das Konto des neuen Frontsplitters, der scharf und spitz wie die Klinge eines Rasenmähers aus dem Bug ragt.
Zwar ist der Longtail mit einem Grundpreis von über 350.000 Euro eine extrem teure Angelegenheit. Aber Geld darf bei diesem Vergnügen keine Rolle spielen. Erst recht nicht, wenn man sich erst jetzt mit dem Gedanken an den vielleicht besten Supersportwagen diesseits von Porsche 918, La Ferrari und P1 trägt. Denn die 500 Exemplare, die McLaren vom Longtail bauen will, waren schon ein paar Wochen nach der Premiere auf dem Genfer Salon komplett verkauft. Wer jetzt noch einen will, der muss deshalb mit einem Gebrauchten vorlieb nehmen, braucht viel Geduld und wird noch einmal einen satten Aufschlag zahlen müssen.