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Mercedes-AMG G 63 4×4²: Der Gipfelstürmer

Hat mal jemand eine Leiter für mich? Wer den neuen G 63 4×42 entern möchte, der muss schon verdammt gut klettern können. Aber warum sollte es dem Fahrer anders gehen als dem Auto. Schließlich ist dieser G der ultimative Klettermax: „Mehr G geht nicht“, sagt Peter Schoren, der den Verkauf, oder angesichts von zwei Jahren Lieferfrist und Bestellstopp wohl besser: die Verteilung des kantigen Bestsellers verantwortet: „Kein anderer G ist so gut im Gelände und keiner fährt besser auf der Straße“, schwärmt der Vertriebsmann und erklärt damit auch die Nomenklatur: 4×42 – das ist potenzierter Fahrspaß oder die G-Klasse zum Quadrat. 

Hat man erst einmal das Trittbrett erklommen und sich am Lenkrad auf den Sitz gezogen, fühlt man sich wie Reinhold Messner auf dem Mount Everest – höher hinaus geht es nicht mehr am Steuer eines Geländewagens. Wer bei Mercedes mehr von der Welt sehen will, der muss schon Unimog fahren oder Zetros. Und das gilt im übertragenen wie im wörtlichen Sinne. Denn genau so, wie Hannibal mit seinen Elefanten problemlos die Alpen erklommen hat, kraxelt auch dieses 2,25 Meter hohe Dickschiff so behände über die Geröllhalden, dass einem am Steuer immer mal wieder der Atem stockt: Die grobstolligen Reifen auf den 21-Zöllern greifen in den Matsch wie gute Wanderstiefel, die Untersetzung potenziert die Kraft und die drei Differentiale sperren unerbittlich. So gibt der G den Gipfelstürmer und lässt sich von nichts und niemandem aufhalten: Kniehohe Felsbrocken, riesige Stufen im Stein, Büsche oder Baumstämme – wo es anderen Geländewagen längst die Ölwanne aufreißt, kitzelt es diesen G nicht mal am Bauch – kein Wunder, bei der um eine Handbreit vergrößerten Bodenfreiheit.

Möglich machen das die Portalachsen, die Mercedes sonst nur im Unimog einbaut. Weil sie nicht mittig in der Nabe im Rad münden, sondern über ein Zwischengetriebe weiter oben angeflanscht sind, fährt der G jetzt wie auf Stelzen: 35 statt bis dato 21 Zentimeter misst der Luftraum unter dem Wagenboden und die Spurweite wächst um mindestens das gleiche Maß. Die martialischen Kotflügelverbreiterungen aus Karbon sind deshalb keine Show, sondern eine sachliche Notwendigkeit – selbst wenn sie einfach spektakulär aussehen – genauso übrigens wie die serienmäßige LED-Leiste über der Frontscheibe, das offene Stahlgestell fürs Ersatzrad und die aufpreispflichtigen, dafür aber expeditionstauglichen Dachträger samt Leiter am Heck. 

Dass dieser G im Gelände keine Grenzen kennt und bei einer Wattiefe von 90 Zentimetern im Ernstfall auch mal einen Baggersee queren kann, ist zwar beeindruckend. Aber eine Überraschung ist das eigentlich nicht. Denn dafür haben die Schwaben die G-Klasse, das vergisst man angesichts der vielen Poser auf dem Boulevard der Eitelkeiten gerne, ja vor über 40 Jahren mal entwickelt. Und spätestens seit dem ersten 4×42 von 2017 weiß jeder, dass es der Vierkant aus Graz noch immer nicht verlernt hat und nur zwischendurch mal vor dem Grandhotel oder der Shisha-Bar parkt – selbst wenn der aufgebockte Erstling sogar noch mehr Bodenfreiheit und Wattiefe hatte.

Was dagegen neu ist, das ist das Fahrgefühl diesseits des Schotters im Herzen der Zivilisation. Ja, man ist mit den Truckern auf Augenhöhe, bleibt aus Tiefgaragen besser draußen und braucht etwas mehr Umsicht als üblich – nicht umsonst hat Mercedes sogar erstmals einen digitalen Rückspiegel eingebaut. Doch wenn die Straße frei ist und die Kurven weit sind, dann kennt der 4×42 mittlerweile selbst auf Asphalt keine Grenzen mehr. Schon nach wenigen Minuten fühlt sich die Fahrt deshalb an, als säße man im neuen GLE Coupé und nicht auf einem Hochsitz aus Panzerstahl.

Das liegt zum einen am neuen Fahrwerk und den vielen Regelsystemen die beim großen Update vor drei Jahren in der G-Klasse Einzug gehalten haben. Und das liegt zum anderen natürlich am Motor. Denn statt wie früher den bürgerlichen V8 einzubauen, montiert Mercedes hier – vermutlich zum letzten Mal – den famosen Achtzylinder aus Affalterbach: Das heißt, die 2,8 Tonnen und der cW-Wert eines Garagentors treffen auf 585 PS und 850 Nm – und werden deshalb zu einer reinen Nebensächlichkeit.

Ja, der 4×42 ist mit 5,0 Sekunden von 0 auf 100 fünf Zehntel langsamer als das Standardmodell und bei Vollgas sind nur 210 statt 240 Sachen drin. Doch so viel höher über der Straße fühlt sich das so viel imposanter an, dass man nicht nur den Flachbau freiwillig stehen lässt, sondern auch von keinem Sportwagen mehr was wissen will.

Dass der G dabei einen gewaltigen Durst entwickelt, wird von den Kunden keinen stören. Schließlich werden die meisten buchstäblich an der Quelle sitzen. Und alle anderen seien damit vertröstet, dass Mercedes es nicht ewig so wild treiben wird, sondern bereits letzte Hand an die elektrische G-Klasse legt, die dann mit anderen Finessen wie einer Panzerkehre auf der Stelle locken wird. 

Genial im Gelände und gewaltig auf der Straße – die Quadratur der G-Klasse kommt auch bei der potentiellen Kundschaft gut an. Obwohl der Koloss mit einem Grundpreis von 300.000 Euro (D) rund 50 Prozent mehr kostet als der normale AMG und dreimal so viel wie das Einstiegsmodell, ist er deshalb schon jetzt für die gesamte Produktionszeit ausverkauft.

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