Die Aufpreispolitik deutscher Premiumhersteller trieft nicht gerade vor Großzügigkeit. Ausgerechnet der Mercedes-Benz GLE 350 d 4Matic bringt diesen Sachverhalt ins Wanken.
Bevor sich das Dickschiff aus Stuttgart zur Falsifizierung dieser Hypothese aufmachte, manifestierte sie noch der eine Klasse kleinere BMW X3. Fast 90.000 Euro teuer war der Testwagen, allein ein Drittel davon entfielen auf die Extras.
90.000 Euro, so viel kostet in etwa auch dieser Mercedes-Benz GLE 350 d 4Matic. Allerdings werden hier keine 30.000 Euro, sondern „nur“ 10.000 Euro für die Optionen fällig. Was also bleibt, wenn man das zweitgrößte SUV in der Sternenflotte zurückhaltend ausstattet? Was bekommt man für seine 90 Riesen?
Sehr viel Auto jedenfalls: Mit 4,924 Meter Länge, 1,947 Meter Breite und fast 1,8 Meter Höhe ist der Mercedes GLE eine wuchtige Erscheinung. Daran ändern auch die elegant geschnittenen Leuchten nichts. Das Gepäck von vier Personen für einen Kurzurlaub schluckte der Kofferraum achselzuckend weg. Die Trollies wirken dort drin ein bisserl verloren. „Wie Butter, auf zu viel Brot verstrichen,“ würde Bilbo Beutlin sagen.
Öffnet sich die elektrische Heckklappe, tut sich ein Raum von 630 Litern auf. Klappt man dann auch noch die Rücksitze um, passen über 2.000 Liter rein. Platz zum Umfallen haben auch die Insassen: Vorne sowieso, aber auch auf den „billigen“ Plätze hinten thront man königlich.
Bleiben wir gleich im Innenraum. Was dort nämlich schon auffällt: Das Leder ist nicht von der allerfeinsten Sorte. Und besonders ausufernd ist der Einsatz dessen auch nicht. ;an findet es am Lenkrad, den Sitzen und teilweise ist auch die Türverkleidung damit überzogen. Was jetzt nicht heißt, dass man sich im GLE in einem Plastikberg wiederfindet, unter dem ein Dutzend Baby-Robben vergraben sein könnten. Softtouch ist das dominierende Element. Und freilich ist die Verarbeitung auch tadellos, da gibt’s nix.
Weniger tadellos ist das serienmäßige Pre-Safe-System. Entweder fahren wir wie die größte Assis – oder es ist recht sensibel: Wenn man etwa zum Überholvorgang ansetzt, allerdings zuerst beschleunigt und dann erst auf die Gegenfahrbahn wechselt, glaubt das System, man ist auf Rammkurs mit dem Vordermann. Was zur Folge hat, dass sich der Gurt strafft.
Anderseits: Einen geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul. Für die 80.000 Euro Basispreis ebenfalls „geschenkt“ sind ein aktiver Spurhalte- und Bremsassistent, Bergabfahrhilfe, Verkehrszeichenerkennung, Rückfahrkamera und das Widescreen-Cockpit samt MBUX und bestens funktionierendem Sprachassistenten.
Was man für seine rund 80.000 Euro auch noch bekommt: Einen Reihensechszylinder-Diesel, dem das Drehmoment nur so aus den Ohren spritzt. Wenn die 600 Nm anziehen – und das tun sie bereits ab 1.200 Umdrehungen – schießt dieses Automobil wie ein von der Tarantel gestochener Elefant nach vorne. Der Turbo quetscht aus den 2,9 Litern 272 PS, in nur 6,6 Sekunden ist Landstraßentempo erreicht, optimales Reisetempo auf der deutschen Autobahn packt er auch; bei 230 km/h ist Schluss. Dazu serviert Mercedes eine 9-Gang-Automatik, die seidenweich agiert und sich keine Fehler erlaubt.
Wir behaupten: Das ist er, DER Motor für den Mercedes-Benz GLE. Klar, die AMG-Versionen machen sehr viel Spaß, kosten aber auch sehr viel Geld. Natürlich ist der Plug-in-Hybrid auf kurzen Strecken und bei braver Laderoutine sparsamer, allerdings ist der GLE vor allem auf der Langstrecke zuhause. Und als 400 d erwirtschaftet der Reihensechser zwar noch 95 PS und 100 Nm mehr, nur: Ob man in 6,6 oder 5,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h sprintet und 245 statt 230 km/h fahren kann, ist auch schon egal. In Anbetracht der Mehrkosten (rund 7.000 Euro bei Fahrzeuganschaffung und auch die Motorbezogene Versicherungssteuer ist empfindlich höher) erst recht.
Die Nova-Satz ist hingegen der gleiche (17 Prozent), denn beide verbrauchen offiziell 7,7 Liter. Inoffiziell sind es eher an die neun Liter, aber gut, der Brocken wiegt auch satte 2,2 Tonnen und ist so aerodynamisch, wie ein Kühlschrank (den man im GLE locker transportieren kann).
Vom Gewicht bekommt man im Fahrbetrieb weniger mit, als erwartet: Die Verzögerung ist anständig, über die Längsdynamik haben wir schon ausführlich geschwärmt und die Querdynamik ist nicht minder imposant. Letztere beeindruckt vor allem deshalb, weil der GLE nicht nur hoch und schwer, sondern auch wahnsinnig komfortabel ist. Dennoch wankt er kaum. Dazu eine präzise Lenkung, die zwar durchaus mit einer gewissen Leichtgängigkeit besticht, allerdings nicht leblos und entkoppelt wirkt. Beim Mercedes-Benz GLE 350 d 4Matic ist alles auf Komfort getrimmt, da braucht man dann auch keine Lenkung, die an Prä-Servo-Zeiten erinnert.
All diese Tugenden ändern freilich nichts an der Tatsache, dass 90.000 Euro verdammt viel Geld sind. Es zeigt allerdings, dass ein zurückhaltend ausgestatteter GLE alles andere als nackt ist. Er hat mindestens einen Bikini an. Vielleicht sogar einen Badeanzug.