Ein bekanntes Gesicht ganz neu
Der Mercedes EQC
Text: Thomas Geiger
Das hat zunächst einmal eine ganze Reihe von Vorteilen: Anders als etwa der Jaguar I-Pace erfordert der EQC damit von der doch eher konservativen Stammkundschaft vergleichsweise wenig Transferleistung. Von außen, weil er zwar mit einem glatten schwarzen Grill im iPhone-Design, blauem Lidstrich in den LED-Scheinwerfern und blauen Speichen in den Felgen das zur Schau trägt, was Designchef Gorden Wagener eine avantgardistischen Elektro-Ästhetik nennt, aber trotzdem verdammt nach GLC aussieht. Der einzige echte Unterschied sind die zehn Zentimeter mehr Überhang am Heck und die ebenso schräge wie schnörkellose Klappe mit einem von Audi abgekupferten Leuchtenband.
Und von innen, weil das 4,76 Meter lange SUV auch da ganz nah im Hier und Heute bleibt: Ja, es flinkert ein bisschen Kupfer oder Rose-Gold in den Konsolen, wie das für Wagener die Elektromobilität symbolisiert, die Materialien wirken etwas technischer, die Lüfter sind moderner und der freistehende Bildschirm hinter dem Lenkrad ist als Übernahmeteil aus der neuen A-Klasse ein bisschen größer und schlanker, zeigt brillantere Grafiken, lässt sich auch mit den Fingerspitzen bedienen und dient als Heimat für die vielleicht beste Sprachsteuerung seit Siri & Co. Aber wer im GLC und der A-Klasse zurechtkommt, der macht sich auch schnell mit dem EQC vertraut.
Vor allem aber ist das Fahren ist typisch Mercedes – extrem komfortabel und gediegen. Flüsterleise und wolkenweich fühlt sich der EQC eher nach S-Klasse an als nach einem SUV. Denn der über 600 Kilo schwere Akku treibt zwar das Gewicht auf 2,5 Tonnen, drückt aber den Schwerpunkt schön tief nach unten und weil der Motor per se geräuschlos ist, haben die Ingenieure besonders gründlich auf Vibrationen und Störgeräusche geachtet. So hört man weder das typische Straßenbahngeräusch beim Beschleunigen, noch das vom Gesetzgeber vorgeschriebene Gefiepe, das draußen aus dem Lautsprecher quäkt.
Sobald man etwas kräftiger aufs Fahrpedal tritt, ist es mit der Gemütlichkeit aber schnell wieder vorbei: Eben noch Luxusliner, wird der EQC dann zum Leistungssportler rund schielt verdächtig Richtung Affalterbach: Wozu hat der Wagen schließlich zwei E-Motoren, die zusammen 300 kW leisten und ihre 760 Nm schon mit dem ersten Wimpernschlag auf den Asphalt bringen? Bei einem Sprintwert von 5,1 Sekunden tut sich deshalb an er Ampel selbst ein C 63 schwer damit, den Anschluss zu halten. Allerdings währt diese Freude nicht lange. Erstens, weil man dem Aktionsradius auf der Navigationsgrafik förmlich beim Schrumpfen zuschauen kann. Und zweitens, weil Mercedes schon bei 180 km/h mit Rücksicht auf die Reichweite die Reißleine zieht. Da zieht nicht nur die Konkurrenz locker und lächelnd vorbei, sondern auch fast jeder noch so schwach motorisierte konventionelle Mercedes. Eilig darf man es in Zukunft also nicht haben.
Lohn der Langsamkeit ist ein Aktionsradius von soliden 471 Kilometern. So viel jedenfalls pressen die Schwaben im NEFZ-Zyklus aus den 80 kWh großen Akkus, die man an der Wallbox binnen elf Stunden und an der Ionity-Säule binnen 40 Minuten wieder aufladen kann. Und damit die Praxis der Theorie möglichst nahe kommt, gibt es ein halbes Dutzend Fahrprogramme samt Eco-Navigation und vorausschauendem Batteriemanagement und fünf Rekuperationsstufen, mit denen man endlos segeln oder ohne Bremse bremsen kann.
Beim Antrieb betreten die Schwaben mit dem EQC zwar Neuland. Doch dass der elektrische Erstling aus Stuttgart sonst vergleichsweise konventionell gestrickt ist, deshalb ein relativ bodenständiges Design hat, vom GLC vorne sogar noch die wuchtige Mittelkonsole sowie hinten den Tunnel im Fußraum übernimmt und damit viele Platzvorteile eines designierten Elektroautos verschenkt, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen will Mercedes in der Produktion maximal flexibel bleiben, um auf die schwer abzuschätzende Marktentwicklung zu reagieren und die Kosten niedrig zu halten, Deshalb ist der EQC so konstruiert, dass er in den Fabriken in Bremen und Peking über das gleiche Band laufen kann wie die C-Klasse oder der GLC und nur für die Batteriemontage eine eigene Station braucht. Und zum anderen wissen die Schwaben offenbar, dass die Mercedes-Kunden nicht zu den risikobereitesten und avantgardistischsten zählen, räumt Baureihenleiter Michael Kelz ein: „Und die wollen wir schließlich mit auf die Reise in die Zukunft nehmen.“