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Jaguar I-PACE: Fauchen statt Brüllen

Fauchen statt Brüllen

Der Jaguar I-PACE

Abgesehen von ihrem potentiell wahnwitzigen Antritt sind Elektroautos nicht gerade als Spaßmacher bekannt. Zu schwer wiegt der Motor in rasanten Kurven, zu starr ist der Antrieb für Offroadabenteuer und zu leise säuselt die ganze Geschichte vor sich hin – so heißt es zumeist. Der Jaguar I-PACE nimmt nun jedoch all diese Vorurteile, knüllt sie zusammen und wirft sie in die Altpapiersammlung. Denn diese Elektromieze ist und bleibt eine waschechte Raubkatze – auch wenn sie faucht, statt zu brüllen.

Text: Jakob Stantejsky
Okay, leise ist der I-PACE natürlich immer noch – zumindest, wenn der Fahrer das möchte. Denn per Slider am eleganten Touchscreen kann man jederzeit die Geräuschkulisse regulieren, von nahezu vollkommener Stille bishin zum wütendem Raumschiffantrieb. Logischerweise ist der Sound dann nur künstlich generiert, hört sich aber gar nicht so schlecht an und gibt einem ein gutes Gefühl für Speed und Beschleunigung. Am eindrucksvollsten finde ich es jedoch, den I-PACE tatsächlich total stumm durch die Gegend fetzen zu lassen, da der Kontrast zwischen Power und Silenzium ein besonders erhebendes Feeling verbreitet. Bei Jaguar haben sie ihren Kunden genau gelauscht und festgestellt, dass manche sowieso am allerliebsten ein Elektroauto haben wollen, mit allem, was dazugehört, während wiederum andere zwar prinzipiell mit dem Strom schwimmen würden, aber nur, wenn das Konzept auch im Vergleich zur Verbrenner-Raubkatze überzeugt.

Wer also auf Sound nicht verzichten will, muss dies nicht tun. Wer Vehicle Creep (das langsame Anfahren ohne Gaspedal bei Lösen der Bremse) schätzt, kann auch dieses Feature künstlich aktivieren. Der Jaguar I-PACE ist zwar durch und durch ein Elektroauto, reibt es einem aber nicht unter die Nase und stellt sich auch nicht als etwas grundsätzlich Besseres hin. Dieser Stromer hat das auch gar nicht nötig, denn er überzeugt mit Leistung – in jeder Hinsicht und auf jedem Parkett.
Davon konnte ich mich beim allerersten Antesten des I-PACE gleich selbst überzeugen, denn von Autobahnen und kurvige Landstraßen über Offroadklettereien bis hin zur Rennstrecke war alles dabei. Und auch wenn mancher E-Skeptiker das jetzt nicht glauben kann oder will; dieser Jaguar meistert alle Herausforderungen ebenso souverän, wie es ein beliebiger Benziner oder Diesel tun würde. In der Stadt und auf der Autobahn gibt er sich unaufgeregt, aber allzeit bereit zum Spurt. Dank variabel einstellbarer Rekuperation lässt er sich außerdem nach kurzer Eingewöhnungszeit quasi mit nur einem Pedal fahren. Auf Kurvenhatz gibt er sich trotz eines 2,2 Tonnen-Gewichts unfassbar agil und geht mit ein Bisschen gutem Willen auch gerne ein Stückchen quer – ein Spaßverderber schaut anders aus! Abseits der Straße pflügt er durch tiefe Wasserlachen ebenso mühelos wie einen wirklich wahnsinnig steilen unbefestigten Feldweg hinauf und hinunter. Gripprobleme kennt der Allradantrieb nicht, der sich stetig und sicher seinen Weg durch das Geröll bahnt.

Auf der Rennstrecke heißt es dann endgültig „Let it rip!“ und der I-PACE mutiert zum Sportfreak. Denn wenn die 400 PS mit 700 Nm Drehmoment in den Asphalt beißen, dann reißt es einen in bester Supersportlermanier in den Sitz. Erste enge Kurve – scharf anbremsen, einlenken, Ideallinie suchen und finden und zack – schon zerren die Kräfte eifersüchtig an den Insassen, die der E-Jaguar geschmeidig auf die nächste Gerade katapultiert. Egal ob auf und ab oder rechts und links, der I-PACE lässt nicht nur die Muskeln spielen, sondern kann auch handlingtechnisch mit sich selbst mithalten. Nie hat man das Gefühl, dass das hohe Gewicht oder die SUV-Form dem Vergnügen hinderlich ist. Die Raubkatze gibt einfach gerne Gas und beherrscht das Spiel mit der Raserei verdammt gut.
Vom Fahrerischen her ist also auch der elektrische I-PACE durch und durch ein echter „Jaaaag„. Innen gibt es sowieso keine Zweifel, dass die edlen Materialien und das superfeine Design den hohen britischen Ansprüchen auf Eleganz und Komfort Genüge tun. Das Infotainment aus dem Range Rover Velar fügt sich perfekt ein in dieses Hightechauto, das trotz aller Technisierung einfach auf dem Boden bleiben will. Für Letzteres sorgt auch das Außendesign, und zwar in zweierlei Hinsicht. Einerseits mutet die futuristische Formensprache mit klaren Jaguar-Zitaten vielleicht auf den ersten Blick sehr avantgardistisch an, wächst dem Betrachter jedoch mehr und mehr ans Herz, bis man auch den I-PACE als unverkennbaren Jaguar sieht und das Design des großen Ian Callum (der den E-Jaguar übrigens als sein ganz besonderes Baby sieht) fügt sich tatsächlich fugenlos in die Markenlinie. Andererseits folgt bei der E-Mieze, wie bei allen Elektroautos, die Form der Funktion – genauer gesagt der Aerodynamik. Dennoch wollte man bei Jaguar ein beeindruckendes Auto bauen und hat nach langer Tüftelei einen goldenen Mittelweg zwischen schön und windschlüpfrig gefunden, der auf beiden Seiten eigentlich kaum Kompromisse eingeht.

Das gilt auch für den Preis, der mit 78.380 Euro schon einen eher börserlintensiven Einstieg bietet. Dafür sind allerdings auch schon die vollen 400 Pferde mit an Bord, denn den I-PACE gibt es vorerst nur mit dieser einen Motorisierung. Von einer SVR-Variante träume ich derweil noch im stillen Kämmerchen.
Wo andere Elektroautos zuallererst einmal heftig darauf pochen, ein ebensolches zu sein und darüber das Autosein oftmals vergessen, gibt sich der Jaguar I-PACE ganz natürlich. So nach dem Motto: Ja, ich bin eh ein Elektroauto, aber eigentlich ist mir das wurscht. Heraus kommt dabei ein sportliches Crossover in bester Jaguartradition – Wie bitte?! Elektro, Crossover, Jaguar und Tradition in einem Satz? Ja, das geht! Denn abgesehen von momentan noch nicht behebbaren Details wie der Reichweite von 380 km (die meiner Erfahrung nach tatsächlich drin sind) und den Ladezeiten ist der allererste Strom-Jaguar gleichzeitig auch das bisher möglicherweise beste Elektroauto der Welt. So macht mir der Blick in die Zukunft definitiv schon viel mehr Freude als noch vor einigen Tagen. Denn wer brüllt, ist zwar lauter, aber hinter einem subtilen Fauchen steckt in diesem Fall keine große Klappe, sondern wahre Größe.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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